Ewiges Hoffen auf den Schub

Halbfinale Vor dem Spiel des US-Teams gegen die Deut-schen nimmt die Frauenfußball-Euphorie im Land von Solo, Wambach und Co. Fahrt auf. Doch jenseits der Popularität des Nationalteamssieht es mau aus

Reisefreudige Frauenfußballfreunde: US-amerikanische Fans in Vancouver Foto: imago

AUS NEW YORK Sebastian Moll

Abigail Feldman und ihre Freundinnen hatten es nicht leicht am vergangenen Freitag bei ihrem Versuch, gemeinsam bei einem Pint oder zweien das Fußball-WM-Viertelfinale gegen China anzuschauen. Als die fünf Frauen eine halbe Stunde vor Anpfiff in den Soccer-Pub Smithfield Hall ankamen, war es bereits unmöglich, noch durch die Tür des Lokals im Stadtteil Chelsea zu kommen. Auch bei der nächsten Kneipe, die sie aufsuchten, war es nicht besser, dort hatte eine große Gruppe Latino-Frauen den Schankraum besetzt, um sich das Deutschland-Spiel gegen Frankreich anzusehen. Schließlich konnten sie in einer Pizzeria den Wirt überreden, einen der Bildschirme auf den Fix-Soccer-Kanal einzustellen.

Das Fußball-WM-Fieber in den USA, zumindest in den urbanen Zentren, in denen man Soccer mag, wächst so langsam mit dem Beginn der K.-o.-Runde. Ein eher schleppender Turnierstart, nicht zuletzt durch eine wenig überzeugende Leistung der amerikanischen Damen um Hope Solo und Abby Wambach verursacht, hatte in der Vorrunde die Begeisterung für das Turnier in Kanada gehemmt. Das Viertelfinale gegen China schauten sich beinahe sechs Millionen an – es war das am drittmeisten geschaute Frauenfußballspiel der Geschichte.

Den Rekord hält freilich noch immer das Endspiel von 1999, das die Amerikanerinnen vor 90.000 Zuschauern im Rose Bowl von Los Angeles im Elfmeterschießen gewannen. 17 Millionen haben damals vor den Fernsehbildschirmen gesessen. Das Bild, wie sich die Siegschützin Brandi Chastain das Trikot vom Leib riss und zu Boden sank, wurde zu einem ikonischen Moment des amerikanischen Sports. „Danach wollte jedes Mädchen in Amerika Teil dieses Teams werden“, sagt die damals acht Jahre alte Caroline Miller, die heute beim US-Proficlub Washington Spirit spielt.

Doch die Begeisterung von damals in eine stabile Anhängerschaft für den Frauenfußball in Amerika zu übersetzen, war weitaus schwieriger, als man das ursprünglich geglaubt hatte. Die 2001 mit viel Euphorie gegründete Profiliga Wusa hielt gerade einmal drei Spielzeiten lang durch. Als die Sponsoren und Investoren merkten, dass das Spiel nicht so rasch profitabel sein wird, zogen sie sich wieder zurück.

Auch die zweite Inkarnation einer Frauen-Profiliga hielt nicht viel länger durch. Die Spielerinnen des US-Teams, das bei der WM 2011 das Endspiel knapp gegen Japan verlor, kehrten zu einem Spielbetrieb zurück, der in den letzten Atemzügen lag. 2012 machte auch die WPS zu. Die Kosten waren nicht in den Griff zu bekommen. „Es ist einfach nicht möglich, eine Frauenliga zu betreiben, die sich finanziell voll trägt“, sagte danach resigniert der Präsident von US-Soccer, Sunil Gulati.

Dennoch hat man hierzulande einen dritten Anlauf genommen und versucht das im Prinzip Unmögliche – mit extrem niedrigen Kosten dem Zuschauer eine möglichst hohe Qualität zu bieten. Die Budgets der Clubs sind gerade einmal ein Drittel so hoch wie in der vergangenen Liga. Um dennoch Qualität zu sichern, übernehmen die Verbände von Mexiko, Kanada und den USA die Gehälter der Nationalspielerinnen.

Ob die dritte Inkarnation des US-Profifußballs dauerhaft überlebensfähig ist, ist bei diesem Spar- und Subventionsmodell jedoch noch lange nicht sicher. Früher oder später, sagt die langjährige Nationalspielerin Julie Foudy, müssen Gehälter bezahlt werden, von denen die Frauen auch leben können.

Dass sich der Profifußball in den USA so schwertut, ist indes verwunderlich. Unter jungen Amerikanerinnen ist Fußball überaus beliebt – geschätzte 1,6 Millionen Mädchen spielen Fußball – 48 Prozent aller Fußball spielenden Jugendlichen. Unter den beliebtesten fünf Sportarten ist Fußball derjenige, der am raschesten wächst.

Das Duell USA gegen Deutschland ist auch das Spiel des Zweiten ­gegen den Ersten der Welt­rangliste. Beide Teams ­k­ennen das Gefühl, Weltmeister zu sein, sehr gut – auf beiden Seiten stehen bisher zwei Titel zuBuche. Beim aktuellen Turnier in Kanada hat sich die Verteidigung um Hope Solo als Abwehrbollwerk entpuppt. Erst ein Mal musste die Torhüterin hinter sich greifen, sie ist seit 423 WM-Minuten ohne Gegentreffer.„Dann wird es Zeit, dass sie noch eines kriegt“, formulierte DFB-Trainerin Silvia Neid eine Kampfansage. Dafür spricht: Deutschland stellt mit bisher 20 Treffern die beste Offensive der aktuellen Weltmeisterschaft (der Elfenbeinküste sei Dank). (rom)

Hinzu kommt, dass das Nationalteam seit mehr als 15 Jahren konstant zu den besten der Welt gehört. Doch der Enthusiasmus für die großen Turniere, wie die WM und Olympia, lässt sich bislang, wie auch bei den Männern, schwer in den Alltag übersetzen.

Dennoch erhofft man sich von der laufenden WM einen erneuten Schub für den Frauenfußball. Und die Zeichen stehen bislang nicht schlecht. Die Einschaltquoten beim Sender Fox Sports, der alle Spiele des Turniers zeigt, liegen jetzt schon höher als beim Turnier von 2011. Abby Wambach, Hope Solo und vor allem die hübsche Stürmerin Alex Morgan rücken mit ihren Werbeauftritten in das Bewusstsein einer breiteren Bevölkerung: Am Times Square flimmert seit Turnierbeginn ein überlebensgroßes Nike-Banner mit Morgan als Werbeträgerin.

Um dem US-Frauenfußball wirklich einen nachhaltigen Kick zu verpassen, glauben die Experten, müssen die Damen um Wambach, Solo und Morgan aber schon den Pokal gewinnen. „Wenn sie nicht den Titel holen, wird das hier in Amerika als Enttäuschung betrachtet“, sagt der Sportmarketing-Experte Bob Dorfman von der Firma Baker Street Advertising. Ein Titelgewinn hingegen könnte Hope Solo oder Alex Morgan zu Superstars weit über die Fußballwelt hinaus machen.

Dazu müssen die US-Frauen freilich erst einmal an den starken Deutschen vorbeikommen – nach Ansicht vieler ein vorgezogenes Endspiel. Abigail Feldmann und ihre Freundinnen werden sich dieses Spiel nicht entgehen lassen. Und sie haben dazugelernt: „Wir gehen mindestens anderthalb Stunden vorher in die Kneipe.“ Schließlich könnte es einer der größten Augenblicke des US-Frauenfußballs werden, ein Moment, der den Sport endgültig auf die Landkarte setzt. Und da will man nicht in irgendeiner Pizzeria sitzen.