Die Musik hebt ab

Kosmostage Der brasilianische Klangenzyklopädiker Hermeto Pascoal und das Andromeda Mega Express Orchestra gaben im Radialsystem V zwei Konzerte zwischen lebensfroher Unterhaltungsmusik und Irrsinn

Gelöste Euphorie: Die Musiker Hermeto Pascoal (vorne) und Daniel Glatzel (hinten links) verstehen sich kosmisch gut Foto: Gianmarco Bresadola

von Franziska Buhre

Die stille Hoffnung, von den Gestirnen geküsst zu werden und auch als Agnostiker aus dem Weltenraum einen Schauer von Ewigkeit zu empfangen, treibt musikversessene Seelen immer und immer wieder zu Konzerten. Sie ist äußerst rar, diese Erfahrung, aber in keiner Kunst so wahrscheinlich wie in der Musik.

Als die Nasa-Raumsonde am vergangenen Mittwoch die ersten Bilder von dem Planeten Pluto zur Erde sandte, erlebte das gemeinsame Projekt des Andromeda Mega Express Orchestra mit Hermeto Pascoal seine Weltpremiere bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen. Zweifellos ein gutes Omen für das 18-köpfige Orchester unter Leitung des Tenorsaxofonisten Daniel Glatzel und des brasi­lianischen Klangenzyklopädikers Hermeto Pascoal.

Über 40 Lebensjahre liegen zwischen den beiden, aber mit dem Herzen Plutos wird in den beiden Konzerten des Orchesters mit Pascoal, seinem Sohn Fabio Pascoal und der Sängerin Aline Morena bei den „Kosmos­tagen“ im Radialsystem spürbar: Es ist Liebe, die den Ton angibt. Denn nur durch Zuneigung, Vertrautheit und Achtung, Wissbegier und Entdeckerlust kann live dieses abgründig irrationale Moment aufflackern, an dessen Kante sich ein schwarzes Loch oder eine neue Galaxie auftut.

Jubilierende Raserei

Ein solcher Augenblick ereignet sich im mehrdimensionalen Solo von Aline Morena, das sie am Freitag und Samstag performt: Während ihre Schuhabsätze in einem schnellen Rhythmus auf den Boden niederprasseln, schlägt sie die Handflächen rhythmisch auf die Oberschenkel oder über dem Kopf zusammen, in der permanenten Sprungbewegung singt sie durchdringend hell, und ihr Blick macht sich vom Geschehen auf und davon. Ihre flatternden Silben, fast nie gesungene Texte, orchestrieren die Besetzung aus Streichern, Holz- und Blechbläsern, Vibrafon, einer Harfe, Schlagzeug, diversen Perkussionsinstrumenten Fabio Pascoals, Klavier, Schlagzeug, Gitarre und Bass in den meisten Stücken aus dem geradezu universelles Schaffen von Hermeto Pascoal.

Wer von den MusikerInnen eine Hand frei hat, schlägt ein Tamburin oder rasselt perkussive Handschmeichler, wer gerade einen Mund frei hat, bläst eine Tröte, Pfeife, gefüllte Glasflasche oder singt mit, wer steht, stampft munter von einem aufs andere Bein. Der Schlagzeuger Andi Haberl wird zur allumfassenden Samba-Lokomotive, die Triangel Fabio Pascoals zur hypnotischen Rattenfängerin. Als er eine lebhafte Bossa nova in jubilierende Raserei treibt, löst sich die Musik für einen Moment von den Spielenden und hebt ab.

Sein Vater tänzelt zwischen Zügellosigkeit und Zurückhaltung auf und von der Bühne weg, er spielt die Synthesizer-Legende DX7, ein geschwungenes Horn und durch den Hals eines Teekessels, er singt durch den Hut vor seinem Gesicht oder setzt sich an den Flügel, um die Arie der Königin der Nacht, von Morena mit lodernder Stimme inklusive Koloraturen vorgetragen, als lockere Unterhaltungsmusik aus den bunten Hemds­ärmeln zu schütteln.

Am zweiten Abend bittet er die solierenden Trompeter nach vorne ans Mikrofon, und sie übertreffen sich da­raufhin selbst. Solche Improvisationen sind eher rar gesät im Programm, das Glatzel aus 300 Kompositionen des Meisters ausgewählt und fürs Orchester streckenweise allzu fest an die Kandare seiner Arrangements genommen hat. Den Pascoals und Morena kann das nichts anhaben, sie zelebrieren ihre zutiefst lebensbejahende Musik mit gelöstem Irrsinn. Schade, dass sie an beiden Abenden erst in den dritten Sets alle Register ziehen konnten – auf Pascoals Überraschungen hätte man sich ewiglich gern eingelassen.

Stattdessen kamen die Schulmusiksausen in den Sets vorab – mit Musik vom 13. Jahrhundert bis heute – arg oberlehrerhaft daher, die miese Akustik tat ein Übriges zur Vorspiel-Erschöpfung. Aus Respekt vor den MusikerInnen hätten alle Namen und alle Instrumente bereits zu Beginn der „Tage für universelle Musik“ genannt werden sollen. Und nicht erst auf Nachfrage der Autorin dieser Zeilen.