„Die Angst vor der Geburt nimmt zu“

Einschätzung Hebamme Brunhild Rataj hält wenig von zusätzlichen Untersuchungen. Meist sei das ein Wunsch der Schwangeren

Brunhild Rataj

54, arbeitet seit über 30 Jahren als Hebamme. Derzeit betreut sie Neugeborene und werdende Mütter in ganz Berlin.

taz: Frau Rataj, ein Großteil der Schwangeren lässt zusätzliche Vorsorgeuntersuchungen durchführen, die in den Richtlinien nicht vorgesehen sind. Warum bieten die Frauenärzte das an?

Brunhild Rataj: Nach meiner Erfahrung sind es weniger die Ärzte, die das vorschlagen. Vielmehr fragen die Schwangeren diese Leistungen vermehrt nach. Wir führen die Untersuchungen nur durch, wenn die Frauen das unbedingt möchten. Und das sind einige. Nach meiner Einschätzung nehmen die Frauen im Schnitt zwei zusätzliche Ultraschalluntersuchungen in Anspruch.

Warum werden diese Zusatz­untersuchungen von schwangeren Frauen immer stärker nachgefragt, wenn sie doch eigentlich nicht notwendig sind?

Einerseits liegt das daran, dass Schwangerschaften wesentlich früher erkannt werden. Schon in den ersten Wochen kommen die Frauen regelmäßig. Anderseits werden die Mütter immer unsicherer. Das liegt auch am Internet. Sobald die Schwangerschaft festgestellt wird, fangen sie an zu googeln und wollen dann möglichst jede Untersuchung, die dort als hilfreich dargestellt wird. Bei Beratungsterminen mit mir herrscht oft große Enttäuschung, dass der Arzt nicht noch einmal alles durchcheckt.

Werden diese zusätzlichen Leistungen von der Kassegezahlt?

In den meisten Fällen nicht. Wenn Frauen diese zusätzlichen Tests unbedingt wollen, müssen sie das in der Regel selbst bezahlen.

Kritiker fürchten, dass Schwangere durch die zahlreichen Zusatzuntersuchungen pathologisiert werden. Teilen Sie diese Sorge?

Definitiv. Ich stelle oft fest, dass die Frauen mit jeder zusätzlichen Untersuchung unsicherer werden. Die Angst vor der Geburt nimmt zu. Ich versuche ihnen dann zu sagen, dass sie sich auf ihr Körpergefühl verlassen sollen und dass eine Geburt etwas ganz Natürliches ist. Der Versuch, werdende Mütter zu entpathologisieren, scheitert aber oft an den Schwangeren selbst.

Interview: Josephine Schulz