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Erinnern an den Porajmos

Genozid Hamze Bytyci, Mitinitiator der Roma-Selbstorganisationen Amaro Drom, Amaro Foro und Roma Trial, organisiert das Gedenken zum Sinti- und Roma-Holocaust

Am erst 2013 eingeweihten Mahnmal wird am Sonntag der Toten gedacht Foto: Marko PriskeMarko Priske

Interview Sybille Biermann

Am 2. August jährt sich die „Liquidation des Zigeunerfamilienlagers“ in Auschwitz-Birkenau zum 71. Mal. 3.000 Menschen wurden an diesem Tag ermordet. Seit 2013 findet auch in Berlin eine Gedenkveranstaltung statt. Hamze Bytyci hat sie mitinitiiert.

taz: Wie kam es zu der Gedenkveranstaltung in Berlin?

Hamze Bytyci: Ich war 2009 über eine Jugendveranstaltung des Zentralrats der Deutschen Sinti und Roma in ­Auschwitz und traf Romani Rose, den Vorsitzenden des Zentralrats. Ich habe ihn um ein Foto gebeten und ihm dafür versprochen, den 2. August als eine Art Pilgerfahrt für Jugendliche zu etablieren. Das haben wir dann auch europaweit organisiert, bis ich angeeckt bin – und irgendwann war ich draußen. Da wurde mir klar, dass ich auch in Berlin einen 2. August haben und mein Versprechen zu gedenken auch hier einlösen kann. So kam die Idee, im Land der Täter ein Gedenken zu etablieren.

Der offizielle Begriff für den Genozid an den Roma und Sinti während der NS Zeit, „Porajmos“, ist lange nicht so präsent wie der Begriff „Schoah“, der Begriff für den Genozid an den Juden. Ist das symptomatisch für eine Nichtbeschäftigung mit den „anderen“ Opfern des Holocaust?

Nicht ausschließlich. Der Begriff ist auch kontrovers, weil er zum einen „Verschlingen“ heißt, zum anderen aber auch „Entjungferung“ und mit Obszönität assoziiert wird. Ein Professor an der Universität Texas mit Roma-Wurzeln, Ian Hancock, kam auf den Begriff. Und so ist das eben manchmal: Wenn man es braucht, ist man Rom, und wenn er als Herr Doktor Wissenschaftler das sagt, dann wird das schon so sein. In der Roma-Jugendbewegung passiert europaweit aber gerade ganz viel, und es wird Druck gemacht. Gleichzeitig haben wir jetzt in Deutschland das Konstrukt der „sicheren Herkunftsländer“ Serbien, Mazedonien und Bosnien, und in Bayern gibt es die ersten gesonderten Erstaufnahmelager für die, „von denen wir wollen, dass sie unser Land wieder verlassen“, wie es Innenminister de Mazière formuliert hat.

Bis in die 80er wollte man nicht von einem Genozid sprechen …

Da hat sich kaum was verändert, das sieht man doch am Fall der Herero und Nama. Deutschland hat so viel Dreck am Stecken. Und unsere Überlebenden wurden mit Peanuts abgefertigt, als es um Entschädigungszahlungen ging.

Hamze Bytyci

geboren 1982 in Prizren im Kosovo, ist Theater- und Medienpädagoge Schauspieler und Bürgerrechtler in Roma-Selbsthilfeorganisationen

Warum ist die Erinnerung am 2. August so wichtig?

Erinnern ist immer wichtig. Mit dem Gedenken in Auschwitz fing die Sintibewegung, die es bereits seit den 70er Jahren in Deutschland gibt, schon früher an. Jetzt kommt der Impuls auch von der Romabewegung. Nun gilt es, ein politisches „Wir“ zu finden und den Begriff „Sinti und Roma“ mit Leben zu füllen. Als ich zum Beispiel während der Eröffnungsrede von Frau Merkel am Tag der Mahnmalseinweihung einen Zwischenruf gemacht habe, ob für die Abgeschobenen nicht Artikel 1 des Grundgesetzes gelte, fanden das nicht alle gut.

Was passiert am 2. August?

Es wird eine interaktive Lesung von Zeitzeugengeschichten geben, Musik, wir legen Rosen nieder, und dann können wir alle nach Hause gehen.

Das klingt, als würdest du das selbst nicht wertschätzen.

Es wird jetzt halt ritualisiert, und das war auch meine Angst. Wenn man möchte, dass wirklich darüber geredet wird, dann braucht man mehrere Plattformen. Zum Beispiel, dass Schulklassen, nicht nur Romaschüler, an diesem Tag präsent sind und sich selbst damit auseinandersetzen. „Aber wer soll das denn machen?“, heißt es dann.

Sonntag, 2 AugustErinnern an die Ermordung der letzten Sinti und Roma in ­Auschwitz-Birkenau 1944: „Phagedo Dschi – Zerrissenes Herz“, 20 Uhr, Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas, Simsonweg

Und das Gedenken an den Widerstand?

Drei Monate vor dem 2. August haben die Menschen in ­Auschwitz sich mit Holzknüppeln und sonstigen verfügbaren Materialien versucht zu wehren. Das wird am 16. Mai gefeiert. Wobei ich sagen muss, dass ich solche Tage auch skeptisch sehe. Brauchen wir so einen 16. Mai, einen 2. August? Ich bin mir nicht sicher. Das verkommt mitunter zu einem Facebook „I like“ – und dann Feier­abend.

Warum initiierst du dann dennoch das Gedenken?

Weil mir selbst das „Like“ noch wichtig ist. Wir haben keine andere Wahl. Aktuell warten alle noch auf ein neues Hoyerswerda einerseits und auf einen Sinto-Bundestagsabgeordneten andererseits, der versuchen würde, Roma-Kontingente durchzusetzen. Kontingent, so wie beim Discounter: 100 Gramm getrocknete Zwiebeln, wie viele sind denn da drin? Wie viele nehmen wir da? Ja, ja die Balkan-Onions.