Zu Hause bei Gianis

PRIVAT ReporterInnen von „Spiegel“, „Stern“ und „Zeit Magazin“ haben den früheren griechischen Finanzminister Varoufakis nach seinem Rücktritt getroffen. Ihre Texte erschienen in den vergangenen Tagen. Eine Analyse

Foto: Christian Hartmann/reuters

von Anne Fromm, Enrico Ippolito und Paul Wrusch
undAnne Fromm, Enrico Ippolito und Paul Wrusch

Der Spiegel

FORM: viereindrittelseitige Porträt-Gesprächsniederschrifts-Hybridform. Dafür schickt der Spiegel zwei Reporter für ein zweistündiges, mehrfach verschobenes Gespräch nach Athen. Varoufakis sprach mit ihnen in seiner „heißen“ Wohnung. „Alle schwitzen“.

INFOGEHALT: niedrig. Wenig Substanzielles zu Theorien, seiner Arbeit und Europa. Dafür umso mehr Heldenmythos. Wir erfahren, die „Linke hatte lange keinen Helden mehr. Der letzte, Fidel Castro aus Kuba, ist sehr alt und lebt zurückgezogen. Nordkoreas Tyrann Kim Jong Un ist selbst für Hartgesottene nicht vermittelbar“. Was für Varoufakis spricht: „Er sieht, so finden manche, gut aus und fährt Motorrad. Immer noch ein Symbol der Freiheit. Auch Ernesto Che Guevara fuhr Motorrad und er ist der ewige Held der Linken.“

SELBSTINSZENIERUNG DER REPORTER: sehr hoch. Lange hat das führende Nachrichtenmagazin Europas versucht, Varoufakis zu interviewen. Er wollte nie, nannte einen Spiegel-Kollegen „son of a bitch“. Mit hartnäckigen Verhandlungen haben sie es doch noch geschafft. Und dann das: Ein „Gespenst“ (Stern-Kollege) war seit Tagen in der Wohnung und „hatte sich in der Nähe der Tür aufgehalten. Wollte er mithören, wie der Spiegel ein Gespräch führt?“. Die Beschreibung der Umstände ist wichtiger als Varoufakis selbst.

KLISCHEEFAKTOR: sehr hoch. Varoufakis fährt Motorrad (viermal erwähnt und zudem prominent im Bild), trägt keine Krawatte, ist Rebell, Rockstar und liebt den Film „Matrix“. Und seine Frau bringt Kaffee und Wasser und hat nur einen Vornamen.

STÄRKSTER SATZ: „Patsch.“

Der Stern

FORM: vierseitiges Interview, Gesamtumfang sieben Seiten. Dafür hat sich Stern-Starreporter Arno Luik („das Gespenst“) drei Tage in der Wohnung von Varoufakis eingenistet. Das Gespräch fand in neun Etappen statt. Tags, nachts, nachmittags. Mal hier, mal dort.

INFOGEHALT: hoch. Varoufakis erzählt aus seiner Sicht über die Verhandlungen mit der Euro-Gruppe, spricht vom „Kriegskabinett“ innerhalb von Syriza, die den Grexit geplant haben, verteidigt sich gegen den Vorwurf, gegen die Armut in Griechenland wenig getan und die Reichen verschont zu haben. Ansonsten: keine persönliche Frage.

SELBSTINSZENIERUNG DES REPORTERS: kaum vorhanden. Im Vorspann wird darauf hingewiesen, wie häufig und zu welchen Tages- und Nachtzeiten Arno Luik mit Varoufakis und seiner „Frau Danae Stratou“ gesprochen hat. Zudem liebt Luik das „ich“ in seinen Fragen: „Ich höre“ – „Das habe ich noch nie gehört.“ Und wie beim Stern üblich: das gemeinsame Making-of-Foto am Ende. Eher unfreiwillig nimmt Luik das „Gespenst“ auf. Allerdings das von Marx, nicht das der Spiegel-Kollegen.

KLISCHEEFAKTOR: kaum vorhanden. Motorrad nur im Bild. Keine Fragen zum Aussehen, zur Inszenierung. Einziger Klischeemoment: „Sie sollen häufig durch Ihr Besserwissertum genervt haben – Varoufakis, der superkluge Professor“.

STÄRKSTER SATZ: „Ja und nein.“

Die Zeit

FORM: zehn Seiten inklusive vier ganzseitiger Fotos von Varoufakis im Sessel, seinem Schreibtisch, seinem Gesicht und seinen Büchern. Die Zeit-KollegInnen haben nur zwei Stunden mit ihm. Treffen ihn nicht in seiner Wohnung, sondern im Hotel Titania. Aus zwei Stunden zehn Seiten fabriziert – hoch effiziente Arbeit.

INFOGEHALT: mittel. Mehr Persönliches als politisch Relevantes. Wir erfahren über seine Eltern, die in den 1960ern Deutsche Welle hörten. Über seinen Bomben bauenden („keine wirklich gefährlichen“) Onkel, den er im Gefängnis besuchte. Und dass die Griechen „die Schwarzen Europas sind“. Zum Abschluss noch: „Ich verehre Nina Hagen“.

SELBSTINSZENIERUNG DER REPORTERINNEN: niedrig. Wobei der Stolz, mit Rockstar Varoufakis zwei Stunden verbracht zu haben, durchaus lesbar ist: „Es ist sein erstes Gespräch mit einem deutschen Magazin nach seinem Rücktritt“. Wow. Einige Aussagen der Reporterinnen sind belehrend: „Sie übertreiben.“ – „Wir haben uns gewundert, dass Sie als Minister dennoch Zeit dafür hatten, Ihre Mails zu beantworten.“

KLISCHEEFAKTOR: phänomenal hoch. Motorrad (zweimal erwähnt), Außenseiter (zweimal erwähnt). Und auch sonst ist alles da, gebündelt in einer Frage: „Sie fahren Motorrad, tragen nie Krawatten und gelten als Sexsymbol. Das entspricht nicht gerade dem gängigen Bild eines Finanzministers.“ Ergibt ja auch Sinn, denn die Zeit-KollegInnen suchen „den Menschen hinter den Thesen“.

STÄRKSTER SATZ: „Griechenland ist bankrott. Wir hatten noch nicht einmal Geld für Toilettenpapier.“