„Dann wird es dort ziemlich langweilig“

Samariterkiez Veränderung gibt es doch überall in der Stadt, sagt Knut Beyer. Der MieterInnen-berater hält das Samariterviertel aber für relativ stabil – noch

Knut Beyer

Foto: privat

54, ist MieterInnenberater; bis 2008 vermittelte Beyer im Samariterkiez zwischen Investoren, Bezirk und Mietern.

taz: Herr Beyer, Sie sagen, das Samariterviertel liege Ihnen sehr am Herzen. Nur geschäftlich oder auch privat?

Knut Beyer: Zunächst kam ich mit dem Samariterviertel über die Arbeit in Kontakt. Die Mieterberatungsgesellschaft ASUM hat die Sanierungsphase des Kiezes begleitet, vermittelte zwischen Land, Bezirk, Bestandsmietern und Investoren. Ziel war unter anderem, den Mietern zu ermöglichen, in ihrem Kiez zu bleiben. Darüber haben sich auch enge private Kontakte ­ergeben. Dank dieser Freundschaften bekomme ich immer wieder neue Einblicke in den Kiez. Einer meiner Freunde etwa wohnt dort schon seit 1997 …

… und hat die Veränderungen im Kiez damit hautnah miterlebt. Wie erlebt er den Wandel?

Er sagt, sein Kiez sei kleiner geworden. Man konnte früher einfach so die Höfe betreten, über Grundstücke gehen. Heute geht das nicht mehr. Außerdem meint er, die Anwoh­ner seien damals „freakiger“ gewesen. Jetzt sei das Viertel bürgerlicher. Lustigerweise stört ihn das nicht besonders. Er ist eben auch älter geworden. (lacht)

Sie deuten es an: Die soziale Struktur hat sich gewandelt. Was ist übrig geblieben von dem bunten Kiez?

Eine gewisse Durchmischung ist immer noch da. Das liegt zum einen daran, das viele der Häuser, die ehemals zum Umfeld der besetzten Häuser gehörten – etwa die „Villa Felix“ – es geschafft haben, über die Runden zu kommen. Etwa indem sie Genossenschaften gegründet haben. Zum anderen gibt es Förderwohnungen mit gedeckelten Mieten, in denen Menschen auch ohne üppiges Einkommen leben. Aber abgesehen davon nimmt der Mietdruck durch den Zuzug von Besserverdienenden natürlich zu. Noch ist zwar eine Durchmischung gegeben, allerdings bei Weitem nicht mehr so wie vor etwa 15 Jahren.

Hat sich dieser Prozess in den letzten Jahren beschleunigt?

Dass Leute wegziehen, ist normal. Veränderung gibt es überall in der Stadt, also auch im Samariterviertel. Ich halte das Gebiet noch für relativ stabil. Als es noch ein Sanierungsgebiet war, als die Mietobergrenze auslief, als die Mieten erstmals stark stiegen – da war das anders. Damals standen regelmäßig Umzugswagen vor den Türen.

Aber zumindest optisch hat sich doch zuletzt viel verändert. Brachflächen werden bebaut, historisch wertvolle Bausubstanz wird für Neubauten abgerissen.

Die Brachen waren wunderbare Treffpunkte für die Anwohner. In diesen teilweise unregulierten Räumen konnte sich die durch den Sanierungsprozess durcheinandergewirbelte Nachbarschaft kennenlernen. Heute fehlen diese Flächen, das stimmt. Aber sowohl bei der Bebauung der Brachen als auch etwa beim Abriss des Gewerbehofs in der Rigaer Straße versucht der Bezirk, Strukturen zu retten.

Aber kann die Politik denn wirklich eingreifen? Oder ist der Kiez dem freien Markt überlassen?

Beim Gewerbehof spielte dem Bezirk in die Hände, dass das Gelände als Mischgebiet ausgewiesen war. Das stärkte seine Verhandlungsposition gegenüber dem Investor, der Wohnungen bauen wollte. An anderen Stellen hat die Politik den Fuß nicht in die Tür bekommen. Es ist eben schwierig, Interessen durchzusetzen, wenn man keinen Hebel hat. Gehört das Gelände dem Investor komplett oder ist es planungsrechtlich im Sinne des Investors ausgewiesen und hält er sich an die Vorgaben, ist nichts zu machen.

Wie bewerten Sie persönlich die Bebauung der Brachen?

Wie gesagt, Brachen können eine Nachbarschaft stabilisieren. In funktionierenden Nachbarschaften gibt es weniger Vandalismus, weniger Angsträume, weniger Anonymität. Wenn man die Brachen doch bebaut, sollten es vor dem Hintergrund der Wohnungsnot auch Wohnungen sein. Allerdings sollten die auch bezahlbar sein. Das sind sie aber im Samariterviertel nicht.

Baugruppen sagen: Wir schaffen Wohnraum.

Fragt sich nur: Für wen?

Das fragen sich Kritiker auch im Samariterviertel. Können Sie den Konflikt und seine Schärfe verstehen?

Die Gewalt, mit der der Konflikt ausgetragen wird, lehne ich ab. Die bringt nur böses Blut in die Nachbarschaft. Wenn die Gewalt auch noch von Menschen befürwortet oder sogar ausgeführt wird, die dort gerade einmal ein halbes Jahr wohnen, weil’s eben schick ist, dann fehlt mir dafür ohnehin jegliches Verständnis. Vielen, die in der Rigaer Straße wohnen, geht das genauso. Der Konflikt selbst ist notwendig und richtig. Er muss ausgetragen werden.

Wer ist in diesem Konflikt der, an den man sich wenden müsste?

Die aktuelle Gesetzeslage gibt meiner Meinung nach wenige Anhaltspunkte. Man kann eigentlich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur an das Verständnis von Investoren und Hauseigentümer appellieren. Die muss man mit ins Boot nehmen. Darüber hinaus müssen die Bestandsmieter noch viel mehr durch den Gesetzgeber geschützt werden. Insgesamt werden sich die Spannungen ohne staatliche Eingriffe wohl verschärfen …

… oder irgendwann wohnen im Samariterviertel nur noch Besserverdienende.

Dann wird es dort ziemlich langweilig, da bin ich mir sicher.

Interview:Matthias Bolsinger