Streit Jeder Vierte in Deutschland glaubt Nahrungsmittel wie Milch, Weizen oder Zucker nicht zu vertragen. Werden wir immer sensibler oder folgen wir einem Ernährungstrend?
: Sind wir alle essgestört?

Foto: Rocio Alba/EyeEm/getty images

Wir sind sicher nicht alle essgestört. Die exzessive Beschäftigung mit Ernährung kann man sich nur im Nahrungs-mittelüberfluss leisten. Sie ist ein Ersatz für fehlende religiöse oder weltanschauliche Bindungen. Und eine Verschiebung von Gefühlen der Unübersichtlichkeit und Ohnmacht gegenüber anderen persönlichen, beruflichen oder sozialen und globalen Problemen.

Professor Dr. Günter Reich

Diplompsychologe bei der Ambulanz für Familientherapie und für Essstörungen, Universitätsmedizin Göttingen

Essen ist Meinungsfreiheit, Essen ist Genuss, manchmal auch Plage, aber immer gelebte Demokratie. Wer verzichten will, soll dies tun. Wer genießen will, soll auch dazu das Recht haben, ohne vorwurfsvolle Blicke zu ernten.

HOLGER BEECK

Vorstandsvorsitzender von McDonald‘s Deutschland

Als Betroffene einer Zöliakie finde ich es ätzend, mit Leuten, die „essverstört“ sind, in einen Topf geworfen zu werden. Landet auch nur ein Brotkrümel auf meinen Teller, geht es mir schlecht. In Deutschland sind nicht alle Nahrungsmittel auf allergene Stoffe gut gekennzeichnet. Die „Frei von“-Produkte sind teuer, und die Auswahl ist gering. Das erlebe ich als Diskriminierung!

Christiane Quandt

taz- Leserin aus Berlin. Sie hat die Streitfrage per E-Mail beantwortet.

Jein! Wir stehen zwischen einem Überangebot der Fast-Food-Kultur und einem Fitness- und Diätwahn. Das ruft zwei Extreme hervor: das Überessen bis zur Adipositas und das krankhafte Gesundessen, auch Orthorexie genannt. Ein unnatürlich schlankes Schönheitsideal bei Frauen und ein muskulöser Männerkörper stehen im Gegensatz zu Verkaufsstrategien mit Slogans wie „Gönn dir was!“.

Martina Hartmann

Geschäftsführerin des Beratungszentrums bei Essstörungen Dick & Dünn e. V., Berlin

Aufgrund der durch die Globalisierung bedingten Vielschichtigkeit unserer Nahrungsmittel sind Unverträglichkeiten oder allergische Reaktionen zunehmend häufiger. Jede Außenseiterdiät aber, sei sie vegan, steinzeitlich oder anders definiert, birgt die Gefahr von Nährstoffdefiziten und kann ohne fachliche Begleitung insbesondere bei Kindern zu schweren Mangelerscheinungen führen.

ProfESSOR Dr. med. Johannes G. Wechsler

Präsident des Bundesverbands Deutscher Ernährungsmediziner e. V.

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Redaktion:Kim von Ciriacy, Christina zur Nedden, Luciana Ferrando