Bosnien-Herzegowina Golf in Sarajevo ist eine besondere Form der Bewältigung des Krieges. An der früheren Frontlinie werden Fairways gebaut, dabei sind noch nicht alle Minen beseitigt
: „Du weißt nie, was da noch liegt“

Golfen an der Frontlinie und mit Blick auf Sarajevo Foto: Ziyah Gafic/laif

aus Sarajevo Bernd Müllender

Jasna Šahbegović, Jugendpädagogin bei der Staatsanwaltschaft in Sarajevo, suchte nach einer neuen sportlichen Herausforderung. „Was hast du noch nie gemacht?“, hatte sich die heute 31-Jährige, geboren in Sarajevos Olympiajahr 1984, vor vier Jahren gefragt. Golf zum Beispiel. Sie kannte niemanden, der das mal versucht hätte. Aber war da nicht ein Platz mit ein paar Bahnen, oberhalb der Stadt? Sie fuhr hoch, probierte und fing Feuer. „Tolle Sache“, sagt sie, „von Anfang an.“

Zwei Plätze gibt es in Bos­nien-­Herzegowina, einen mit 9 Loch im Süden nahe der kroatischen Grenze und eben diesen hier. Der Platz hat 6 Löcher. Zusammen sind das landesweit 15. Die übliche Turnieranlage eines Golfplatzes besteht aus 18 Spielbahnen mit 18 Löchern. Man kann also sagen: Bosnien-Herzegowina verfügt über 0,83 Golfplätze.

Dejan Saran stört das wenig. „Wir sind froh, dass wir diese kleine, hübsche Anlage haben“, sagt der 48-jährige Golflehrer des Golf Klub Sarajevo bei Kaffee und Käsekuchen auf der ausladenden Klubhausterrasse. Bis zur Jahrtausendwende war das neu entstandene Land noch ganz ohne jedes Fairway. „Es gab ja in ganz Jugoslawien keinerlei Golftradition.“ Nur der Platz im slowenischen Bled existierte damals schon und einer nahe Titos Landsitz Brioni im heutigen Kroatien, kaum genutzt allerdings.

„In Brioni“, schelmt Dejan, „gab es Pitchmarken, die waren 50 Jahre alt.“ Pitchmarken sind die kleinen Abdruckstellen eines Balles, wenn er von hoch oben auf dem Grün landet.

Sarajevo, die Wiege der Ćevapčići, die Stadt, in der am 28. Juni 1914 das Attentat stattfand, das den Ersten Weltkrieg auslöste, ist eine multiethnische Stadt. Klanglich ist das heute ein Erlebnis. Besonders abends und im Ramadan ruft der Muezzin sehr lange und eindringlich. Genaugenommen rufen vie­le Muez­zins bei Sonnenuntergang durcheinander. Wenn dann noch die katholischen und die orthodoxen Kirchen die Glocken läuten lassen, entsteht eine besonderer multireligiöser Vielklang.

Vor 20 Jahren dröhnten hier noch die Mörser und MG-Salven. Heute ist Sarajevo mit seinen 300.000 Einwohnern eine Stadt unzähliger Mahnmale, Erinnerungsorte und immer noch sichtbarer Wunden der Belagerung 1992 bis 1996. Während des Kriegs gab es mehr als 10.000 zivile Opfer, darunter 2.000 Kinder. Es gab 50.000 Verletzte, davon viele, die lebenslang traumatisierte und verkrüppelt sind.

Beim Hinflug ab Köln waren acht Rollstuhlfahrer allen Alters an Bord: Acht von 150 Passagieren! Eine zynische Folge des Kriegs. Die sportliche Folge: Das kleine Bosnien-Herzegowina ist seit Jahren eine Weltmacht im Rollstuhlbasketball und, noch mehr, im Sitzvolleyball. Da gewann Bosnien mit seinen Kinder- und Jugendopfern des Kriegs Paralympics-Gold in Athen 2004 und in London 2012. (2008 triumphierte mit dem Iran ein anderes Land mit Kriegsgeschichte).

Die Gemetzel auf dem Balkan sind Geschichte, wie auch Sarajevo als Olympiastadt; im Winter 1984 fanden die Spiele hier statt. In den Andenkenläden hängen heute Tito-Poster neben Vučko-­Plüsch­tieren, dem heulenden Maskottchen von damals. Vučko, das Wölfchen, wurde übrigens von einem Slowenen kreiert.

Die Olympiastätten sind verrottet, teils wird noch vor Minen gewarnt. Auf dem Gelände im Südosten auf dem Berg Trebević versuchen engagierte Bürger, die alten Rodelpisten wieder vom Gestrüpp zu befreien, zu kitten, zu spachteln, abzuschleifen. Irgendwann wollen die Enthusiasten des Rennrodelverbands von Bosnien-Herzegowina sie wieder nutzen. Bis zu funktionierenden Eiskanälen ist es zwar noch ein weiter Weg. Ein bisschen immerhin klappt schon.

Zurück zum Golf. Begleitet von tollem Blick auf die Minarette der Stadt spielen wir die ersten sechs Löcher, lassen wegen der brütenden Hitze spitzfindig die Bahnen 7 bis 12 aus und machen uns dann an den Rest.

Dejan, der 2006, wie er stolz berichtet, mit dem damals 17-­jährigen Rory McIlroy in Südafrika bei der Amateur-WM gespielt hat, jagt den Ball fast bis ins Tal, Jasna schwingt mit auffälliger Eleganz. Der Platz ist durchaus abwechslungsreich und wegen seiner immensen Schräglagen nur mit besonderer Demut zu spielen. Wer das missachtet, kann den Ball im tiefen Gebüsch suchen.

Dejan ist einer von exakt fünf bosnischen Profis, von denen zwei in der Türkei arbeiten. Er erzählt von 2004, als sie hier den Platz von den ersten vier auf sechs Loch erweitert hatten: Da suchten, während Menschen ihre Bälle schlugen, UNO-Minensuchtrupps mit Metalldetektoren das Gelände ab; ein CNN-Team filmte das Spektakel. „Die Leute vom Fernsehen hatten vielleicht einen Spaß!“ Gefunden wurde zum Glück nichts.

Zehn Jahre zuvor lagen in diesen Hängen die serbischen Tschet­niks, der spätere Golfplatz war Frontlinie. Heute ist hier zwischendrin sogar ein Biotop angelegt – betreten verboten wegen Naturschutz. Gerade sind alle Sprinkler kaputt: Blitz­einschlag, Elektronik zerstört, 20.000 Euro Schaden. „Viel Geld für unseren kleinen Club“, klagt Dejan. Er hat nur knapp hundert Mitglieder.

Minensucher der UNO suchten gründlich das Gelände mit Metalldetektoren ab. Trotzdem wurde derweil Golf gespielt

Jasna lernte ihren runden Schwung bei Dejan. Längst ist sie seine Assistentin beim kostenlosen Schulgolf einmal die Woche. „Die Kinder kommen klassenweise mit dem Bus hier hoch“, sagt Jasna, „und die finden das ganz toll.“ Beim bosnisch-herzegowinischen Golfverband mit seinen 133 aktiven Mitgliedern ist Jasna Šahbegović mittlerweile ehrenamtliche Generalsekretärin.

Und welche Rolle spielen die Politik, die Religion, die Ethnien, die das Land auch 20 Jahre nach dem Krieg noch spalten? „Hier auf dem Golfplatz spielt das überhaupt keinerlei Rolle“, sagt Jasna. Oft wisse man gar nicht, wer Bosniake sei und wer serbischer Herkunft. Und wolle es auch gar nicht wissen. „Ist ja auch nicht wichtig beim Abschlagen und Putten.“

Ihr Name, sagt Jasna, habe zum Beispiel einen kroatischen Klang, ihre Eltern seien aber Muslime. Und sie selbst? „Athe­is­tin.“ Dejans Vater ist Muslim, die Mutter halb katholische Kroa­tin, halb Orthodoxe. „Und ich bin Bosnier, fertig“, sagt er. Ja, Muslim auch. Aber auch jetzt im Ramadan dem Genuss zugetan: „Noch ein Bier bitte.“

Nein, sagt Jasna, Vorbehalte gebe es nicht. Bei den Leuten in Sarajevo nicht gegen Golf und untereinander im Klub sowieso nicht, egal welcher Herkunft oder Religion man sei. Ist Golf völkerverbindend? „Ja“, sagen beide wie aus einem Mund. Hier eher: volksverbindend.

Nur ein Vorbehalt sei bei ihr geblieben, sagt Jasna – gegen einzelne dichte Gebüsche am Rande Platzes. „Da gehe ich lieber nicht rein einen Ball suchen. Du weißt nie ganz sicher, was da noch liegt.“