Wie halten wir’s mit Israel, Genossen?

LINKER ANTISEMITISMUS Einige Hamburger Linke verhindern die Aufführung eines Lanzmann-Films und sorgen für einen Skandal – auch innerhalb der Linken

■  Der Regisseur: Claude Lanzmann wurde mit dem neunstündigen Dokumentarfilm „Shoah“ (1985) berühmt. Der heute 83-Jährige war Kämpfer der Résistance. Im Interview mit der taz erklärte er, sein Film „Tsahal“ (1994) beantworte die Frage, warum die Armee Israels mit anderen Augen betrachtet werden müsse als andere Armeen.

■  Der Film: „Warum Israel“ (1972) ist Lanzmanns Debüt. In dem Film fragt der Regisseur Israelis – Intellektuelle, Polizisten, Dockarbeiter und Gefängnisinsassen – nach ihren Gründen, in Israel zu leben. „Warum Israel“ ist seit 2008 auf DVD erhältlich.

AUS HAMBURG DORIS AKRAP

Andreas Blechschmidt ist immer mittendrin. Ob Studentenproteste, Schanzenfest oder Bambule-Demo, wenn Hamburger Linke auf der Straße sind, ist der 43-Jährige oft genug der Anmelder. So auch am Sonntag – und das bei einer Demonstration, bei der er sich vor zwanzig Jahren nicht hätte träumen lassen, auch nur mitzulaufen. Damals habe er als junger Autonomer, flüstert er verschmitzt, noch „Boykottiert Israel!“ an Wände gesprüht.

Blechschmidt ist Sprecher der Roten Flora. Das große, mit Graffiti übersäte ehemalige Theater in der Hauptgeschäftsstraße des aufgehübschten Schanzenviertels, am Schulterblatt, ist das politisch-kulturelle Zentrum der Hamburger Linken und eines der wenigen sichtbaren Relikte, das hier an bewegte Zeiten erinnert. Die Demonstration am Sonntag wird hier beginnen. Ihr Motto: „Antisemitische Schläger unmöglich machen – Auch Linke!“

Anlass ist der Vorfall am 25. Oktober, als die Vorführung des Films „Warum Israel“ des Regisseurs Claude Lanzmann im Kino „B-Movie“ gewalttätig verhindert wurde. Kinobesuchern wurde ins Gesicht geschlagen, sie sollen als „Judenschweine“ beschimpft worden sein. Die Täter: Linke. Genauer: Leute aus dem „Internationalen Zentrum B5“ in der Brigittenstraße 5, nur wenige Meter vom Kino im Viertel St. Pauli entfernt.

Seit Lanzmann in einem Interview erklärte, dass nie zuvor irgendwo die Aufführung eines Filmes von ihm verhindert worden sei, sorgt der Vorfall nicht nur in Hamburg für Empörung. Den Demonstrationsaufruf haben neben etlichen linken Gruppen auch Akademiker wie Micha Brumlik und Norbert Finzsch oder Popbands wie Tocotronic und Superpunk unterzeichnet. Noch mehr Unterstützer findet die Erklärung „Es darf keine antisemitische Filmzensur in Hamburg geben“, darunter Cem Özdemir, Franziska Drohsel, Detlef Claussen, das Hamburger Institut für Sozialforschung und der Musikclub „Uebel & Gefährlich“, der den Film im Januar in Anwesenheit des Regisseurs zeigen will.

„Es ist das erste Mal, dass sich eine solche Initiative gegen antisemitische Übergriffe von links gebildet hat“, sagt Andreas Benl von der Hamburger Studienbibliothek, Mitinitiator der Demo. Dabei ist dieser Übergriff nicht der erste seiner Art aus dem Umfeld der B5. Und es ist nicht das erste Mal, dass die Hamburger Linke über ihr Verhältnis zu Israel diskutiert.

Der erste Streit tobte Ende der Achtzigerjahre, ausgelöst von einer Demonstration zur ersten Intifada, die der damals in Hamburg einflussreiche Kommunistische Bund (KB) als zu einseitig kritisierte. Und von der Wandmalerei an einem der besetzten Häuser in der Hafenstraße in St. Pauli, die in haushohen Lettern zum Boykott Israels aufrief.

Zwanzig Jahre später vor der Hafenstraße 108: Von dem Wandbild ist längst nichts mehr zu sehen, 1988 ließ der Senat es übermalen. Eine Mittvierzigern mit Dreadlocks und einem Pappkarton mit Lebensmitteln unterm Arm rollt mit den Augen: „Hätte es dieses Wandbild nur nicht gegeben, dann würden nicht immer wieder Leute danach fragen“, lacht sie. Ob sie auf dem Plenum über den jüngsten Hamburger Antisemitismus-Streit diskutiert haben? „Wir reden nicht mehr so viel über Politik, mehr über Miete und so. Aber jetzt, wo du’s sagst: Da hätten wir mal drüber reden sollen.“ Eine andere Bewohnerin, die damals schon dabei war, sagt: „Wir haben es uns damals mit dem Antisemitismusvorwurf sehr einfach gemacht. Die Antisemiten waren für uns nur die Nazis.“

Karl-Heinz Dellwo hat die Debatten um die Hafenstraße nur aus seiner Zelle in Celle verfolgt, wo er wegen seiner Beteiligung an der Geiselnahme in der deutschen Botschaft in Stockholm 1975 seine zweifach lebenslängliche Strafe absaß. Das ehemalige RAF-Mitglied ist heute Filmemacher und hat sein Büro im Schanzenviertel. „Einen Film zu verhindern heißt ihn zu vernichten, und einen jüdischen Film zu verhindern heißt einen jüdischen Film zu vernichten“, sagt der 57-Jährige. Er findet Sartres Überlegungen zur Judenfrage wichtig. „Wer den Juden ihren Ort, Israel, in der Welt streitig macht, erklärt, dass sie nicht zu ihr gehören sollen“, sagt er bestimmt. Die B5 mache auf ihn den Eindruck eines „politischen Altersheims mit Katakombenmentalität“.

Wer sich mit diesen Leuten unterhalten will, muss tatsächlich in Katakomben steigen. Genauer: In den Keller der B5. Hier trifft sich die Gruppe Sozialistische Linke (SOL), die maßgeblich an der Verhinderung der Filmvorführung beteiligt war. Ein Mann in den Fünfzigern mit langem grauen Zopf sagt zu den SOL-Aktivisten: „Eure Aktion fand ich ja nicht so gut. Lanzmann ist zwar Zionist, aber trotzdem.“ Offensichtlich kennt man sich, will diese Diskussion aber lieber untereinander führen.

Ein Aktivist von SOL – Ende zwanzig, schwarzer Kapuzenpullover mit der Aufschrift „Antikapitalismus“, meint: „Es gibt in Palästina Leute, die alle Juden töten wollen, und es gibt zionistische Kräfte, die einen Staat von Nordafrika bis zur Türkei wollen.“ An einer Wand hängt ein Palästinenserschal, zurechtgeschnitten in der Form des israelischen Staatsgebietes einschließlich der Palästinensergebiete. Der junge Mann fährt fort: „Uns ging es nicht um den Film, sondern um die Gruppe ‚Kritikmaximierung‘, die den Film zeigen wollte. Dieser Gruppe geht es nicht um Israel, die wollen uns provozieren.“ Heute Abend will SOL selbst den Film zeigen. „Nicht weil Lanzmann etwas gesagt hat, sondern weil wir ihn zeigen wollen.“

Martin Schnitzer, Sprecher des Kinos B-Movie, das am kommenden Sonntag zum zweiten Mal versucht, den Film vor ausverkauftem Haus zu zeigen, kann darüber nur lachen: „Auf dem Flugblatt der B5, das sie vor Ort verteilt haben, wird der Film als zionistischer Propagandafilm bezeichnet.“

Für die Gruppe „Kritikmaximierung“, eine Handvoll junger Intellektueller, die sich in den Räumen des freien Radios FSK treffen, ist klar, warum sie so ein Hassobjekt sind: „Dass solche Leute uns der antideutschen Zersetzungsarbeit bezichtigen, gehört zu deren wahnhaften Momenten ihres Weltbildes, das sich immer zeigt, egal ob es um Israel oder die USA geht,“ sagt ein Mittzwanziger. Aus dem Umfeld der B5 würde man sie als „Partyzionisten“ beschimpfen, fügt er lachend hinzu. Er scheint ein bisschen stolz darauf zu sein.

Auf die Unterstützung der als Zentralorgan der Antideutschen verschrienen Berliner Zeitschrift Bahamas müssen sie am Sonntag übrigens verzichten. Begründung: Die falsche Präposition. Anders als im Demonstrationsaufruf formuliert, sei „Warum Israel“ kein Film zu Israel, sondern einer für Israel.

Dabei sind Stimmen für Israel in der Hamburger Linken keine kleine Minderheit; mit der „Karo Ecke“ gibt es sogar eine Bar, in der die Fahne mit dem Davidstern an der Wand hängt und die sich selbst als „antideutsche Kneipe“ bezeichnet. Doch ganz so selbstverständlich toleriert wird diese Haltung nicht: „Ich krieg hin und wieder mal Drohungen, dass mir die Fenster eingeschmissen werden“, erzählt die Wirtin, die ehemalige DJ Luka Skywalker. Auch Lars Quadfasel von der Hamburger Studienbibliothek sieht ein Aggressionspotenzial unter den linken Antizionisten: „Die haben eine geringe Affektkontrolle.“ Er weiß, wovon er spricht: Drei Tage nach dem Vorfall vor dem Kino wurde ihm auf einem U-Bahnhof ins Gesicht geschlagen.

Thomas Ebermann, 58, Mitgründer der Grünen und 1987/88 Abgeordneter im Bundestag, betrachtet diese Leute aus der B5 dennoch als Randfiguren. „Wenn ich denen in der Fußgängerzone begegne, weil die da Material auslegen, geh ich an denen vorbei wie an den Zeugen Jehovas.“ Ebermann, in den Siebzigerjahren einer der Wortführer des KB, verteidigt im Rauchabteil des Schanzen-Bäckers seine frühere internationalistische Kritik. So blöd, wie manche sie heute darstellen würden, seien sie damals nicht gewesen. Und sie hätten sich nicht wie die Antiimperialisten von heute blind mit jeder Bewegung in der Dritten Welt solidarisiert: „Wir haben in den Befreiungsbewegungen Mosambiks sehr wohl nach Sozialrevolutionärem gesucht und mit roten Wangen darüber diskutiert, wie viel recht Rosa Luxemburg in ihren antinationalen Schriften hatte.“

Christiane Schneider, 61, hielt länger als Ebermann am antiimperialistischen Weltbild fest. Über diverse K-Gruppen fand sie den Weg zur Linkspartei, deren stellvertretende Fraktionssprecherin in der Hamburger Bürgerschaft sie heute ist. Im roten Rollkragenpulli sitzt sie im Fraktionsbüro am Domplatz und erzählt, warum sie öffentlich gegen Verhinderung der Filmvorführung protestiert hat. Auf der Homepage des Hamburger Landesverbandes sei ein Pamphlet veröffentlicht worden, das die Gewalt gegen die Kinobesucher gerechtfertigt habe. „Da war in einem menschenverachtenden Jargon von ‚Backpfeifen‘ und einer ‚milden und besonnenen Reaktion‘ die Rede. Etliche Leute haben mir dann gesagt, dass sie meine Stellungnahme schon okay fanden, aber dass ich auch Israel hätte kritisieren sollen.“

Nur eine halbe S-Bahn-Stunde, aber eine gefühlte halbe Welt vom Schanzenviertel entfernt liegt Pinneberg, von wo aus Wolfgang Seibert diese Vorgänge verfolgt. Seibert ist 62 Jahre alt und Vorsitzender der kleinen Jüdischen Gemeinde, die in einem der typischen Pinnerberger Reihenhäuser residiert. Der kleine, grauhaarige Mann mit Brille und Bauchansatz erzählt heiter von seiner Zeit beim Frankfurter SDS und bei der DKP, wo er wegen „bürgerlichem Anarchismus“ rausflog. Genüsslich zieht er an seiner Zigarette, ehe er ernst wird: „Der Antizionismus schlug immer mehr in Antisemitismus um“, erzählt er, irgendwann in den Siebzigern, inzwischen bei den Spontis, habe er es sattgehabt. „Ich war selber strammer Antizionist, aber dass der Staat Israel existieren musste, davon war ich überzeugt. Mein anarchistischer Großvater, der Auschwitz überlebt hatte, hat mich zusammengestaucht und mir klargemacht, welche Bedeutung Israel für die Juden hat.“

Resigniert verabschiedet sich Seibert aus der Politik. Später beginnt er sich mit dem Judentum zu beschäftigen und entdeckt darin Elemente von Befreiung und Gerechtigkeit. 30 Jahre lang interessiert er sich kein bisschen mehr für die Linken. Bis letztes Jahr, als Neonazis am 1. Mai in Hamburg demonstrieren wollen und er sich nach langem Zögern dazu durchringt, zur Gegendemonstration zu gehen. Er nimmt eine Israel-Fahne mit und wird deswegen von Teilnehmern angepöbelt. „Doch dann kamen zwei Leute aus dem Schwarzen Block und sagten denen, dass sie sich verdrücken sollen. Ich könne selbstverständlich mit meiner Fahne mitlaufen und zwar in der ersten Reihe. Da war ich baff. Verdammt, dachte ich, bei den radikalen Linken hat sich aber was geändert.“