Mit Minzöl und Yoga

Integrative Pädiatrie Jedes zweite Kind in Deutschland wird naturheilkundlich behandelt, zumindest im eigenen Elternhaus. Jetzt testen auch erste Kliniken ganzheitliche Konzepte bei kleinen Patienten. In einer Studienreihe werden dafür 400.000 Euro investiert

Chronische Kopfschmerzen? Zuerst MRT, erst danach alternative Methoden Foto: Christophe Fouquin/REA/laif

Von Angelika Sylvia Friedl

Aus Umfragen weiß man: Etwa die Hälfte der Eltern wünscht sich zusätzlich zur schulmedizinischen Behandlung in der Klinik eine naturheilkundliche Therapie für ihre Kinder. Die Nachfrage ist also groß, das Angebot aber bisher bescheiden. Das Projekt Integrative Pädiatrie will das ändern. Zwei Ziele hat die Carstens-Stiftung dabei im Visier: zum einen wirksame und sichere Therapien aus der Naturheilkunde und Homöopathie finden. Zum anderen untersuchen, wie man Kinder vor schädlichen Nebenwirkungen schützt. Denn Kinderärzte wissen zum Beispiel bei vielen Erkrankungen nicht, wie stark pflanzliche und homöopathische Mittel für Kinder dosiert werden müssen oder ob Wechselwirkungen mit konventionellen Arzneien bestehen. Mehr als 400.000 Euro ist der Stiftung die auf drei Jahre angelegte Studienreihe wert.

Das Studiendesign orientiert sich an Fallberichten. „Das heißt, wir fragen nach den Symptomen vor und nach der Behandlung sowie nach deren Wirkung, wie also die Kinder die Behandlung empfunden haben“, erläutert Studienleiter Holger Cramer von der Klinik für Naturheilkunde und integrative Medizin der Kliniken Essen-Mitte, die das Projekt wissenschaftlich begleitet. Weitere kleinere Studien werden auch Kontrollgruppen einbeziehen. Zum Beispiel plant die Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Elisabeth-Krankenhauses in Essen eine Studienreihe für Kinder mit chronischen Kopfschmerzen. Eine Gruppe übt zusätzlich zur üblichen Behandlung Yoga. Die Kinder aus der Vergleichsgruppe müssen dagegen ohne Yoga auskommen. So können Wissenschaftler überprüfen, ob die Kinder aus der Yogagruppe von den Übungen – wie Hund-, Kobra- oder Baumstellung – profitieren oder nicht.

Im Elisabeth-Krankenhaus liegt der Schwerpunkt der ganzheitlichen Behandlung bei Kopf- und Bauchschmerzen. Aus gutem Grund, denn kleine, aber auch ältere Kinder klagen häufig über Bauchweh und Spannungskopfschmerzen. In der Regel handelt es sich um sogenannte funktionelle Schmerzen, weil keine organischen Ursachen zu finden sind. Für solche Fälle bietet die Essener Kinderklinik einmal im Monat eine interdisziplinäre Sprechstunde an. Hier kümmern sich eine Kinderärztin und eine Psychologin um ratsuchende Eltern und ihre kranken Kinder. Zunächst untersuchen sie, ob organisch alles in Ordnung ist. Leidet ein Kind zum Beispiel seit Monaten unter chronischen Kopfschmerzen, wird eine MRT-Aufnahme angeordnet. Um einen Tumor, die größte Angst der Eltern, auszuschließen. Erst danach schaut das Team, ob und wie neben einer schulmedizinischen Behandlung die Naturheilkunde helfen kann.

Auch bei chronischen Erkrankungen von Kindern machen Kinderärzte gute Erfahrungen mit komplementärer Therapie – so bei Reizdarm, chronisch entzündlichen Darm­erkrankungen, Asthma oder auch Atemwegsinfekten wie Husten, Bronchitis und Mittel­ohrentzündung. Hier können sie aus dem großen Schatz der Naturheilkunde schöpfen. „Wir verordnen Spitzwegerich und Eibisch bei trockenem Reizhusten, Thymian und Efeu bei produktivem Husten, Minzöl bei Kopfschmerzen“, sagt Melanie Anheyer, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin an der Essener Klinik. Auch andere Verfahren haben die Essener im Angebot, wie zum Beispiel die Hydrotherapie von Kneipp, Akupunktur und die Schröpfkopfmassage. Oder auch die Mind-Body-Medizin. Sie legt Wert auf gesundes Essen, Bewegung und auf Entspannungsübungen wie Yoga und Quigong. Und sie schult die Fähigkeit, Geist und Körper achtsam wahrzunehmen. Claudio Finetti, Chefarzt der Essener Kinderklinik, ist überzeugt: „Naturheilkunde eröffnet uns Ärzten eine neue Welt. Weil wir nicht mehr nur auf Schmerzmittel angewiesen sind.“

Ein weiterer Standort des Projekts Integrative Pädiatrie ist das Haunersche Kinderspital der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Dort ist Homöopathie bereits in den ambulanten und stationären Alltag integriert. Für das Projekt werden jetzt weitere Therapien aus der Naturheilkunde und Mind-Body-Medizin geprüft. Im Kinderkrankenhaus St. Marien in Landshut konzentrieren sich die Studien vor allem auf Homöopathie und Naturheilverfahren in der psychosomatischen Abteilung und auf die stationäre Behandlung chronisch kranker Kinder. „Die Erkenntnisse aus den Studien sollen dazu beitragen, integrative Pädiatrie in die Regelversorgung zu bringen“, hofft Cramer.