Terrortatort Delhi

aus Delhi BERNARD IMHASLY

„Delhi 29/10“ lautete die Schlagzeile einer Sonntagzeitung in Delhi. Die Überschrift brachte die Meinung vieler Einwohner der indischen Hauptstadt zum Ausdruck, dass sich mit der Bombenserie vom Vorabend auch Delhi in die Orte des weltweiten Terrors eingereiht hat. Vermutungen über die Urheber der Sprengstoffanschläge richteten sich schnell gegen kaschmirische Untergrund-Terrorgruppen (siehe Text unten).

Zwei von insgesamt drei Sprengsätzen gingen am frühen Samstagabend fast gleichzeitig mitten im vorfestlichen Einkaufsgedränge viel besuchter Märkte hoch. Eine dritte Bombe explodierte, als ein Busfahrer eine verdächtige Tasche aus seinem Gefährt entfernt hatte. Insgesamt 59 Menschen waren bis am Sonntagabend ihren Verletzungen erlegen, und von den über 200 Verletzten schweben viele weiterhin in Lebensgefahr.

Innerhalb von Stundenfrist riefen die Behörden die Bevölkerung auf, ihre Einkäufe für das bevorstehende Diwali-Fest einzustellen, und die Straßen der Hauptstadt, um diese Jahreszeit ein dichtes Verkehrsgewühl, leerten sich. Der Lärm der Knallkörper, sonst ein leidiges Begleitfeuer des Diwali-Lichtfestes, verstummte.

Doch am Sonntag öffneten die Märkte wieder, wenn auch unter verstärkter Polizeipräsenz, und zwischen die zahlreichen Neugierigen mischten sich erste Konsumenten. Ein Vertreter der Händlervereinigung von Paharganj erklärte, Indien lasse sich nicht einschüchtern und Diwali – das indische Weihnachtsfest – werde stattfinden.

Die schwerste Explosion ereignete sich in Sarojini Nagar mitten in einem Mittelklasse-Wohnviertel in Süd-Delhi. Die Bombe ging in der Nähe offener Verkaufsstände am Eingang zum Basar hoch. Unter den 43 Opfern befanden sich eine Reihe von Rikschafahrern, die dort auf ihre Klientel warteten.

Der Sprengstoff war in der Nähe von Verkaufsständen von frittierten Süßigkeiten platziert worden, die in der Zeit des Diwali-Festes besonders beliebt sind. Die Druckwelle brachte mehrere Kochgaszylinder zur Explosion und erhöhte die Zerstörungen.

In Paharganj in der Nähe des Hauptbahnhofs – bei ausländischen Rucksacktouristen für seine preisgünstigen Hotels bekannt – ereignete sich die Explosion vor einem Juwelierladen, mitten im Gedränge einer engen Basarstraße. Ein dritter Sprengsatz war etwa zehn Minuten später von einem Busfahrer einige Kilometer südlich von Sarojini Nagar auf einem leeren Sitz gefunden worden. Er hielt sein Gefährt an, ließ die Passagiere aussteigen und brachte die Tasche ins Freie. Als er und weitere Umstehende den Inhalt untersuchen wollten, kam es zur Explosion.

Die Behörden verhängten über das ganze Land erhöhte Sicherheitsmaßnahmen, nicht zuletzt wegen des starken Ferienverkehrs vor dem Hindu-Fest und dem Ende des islamischen Fastenmonats.

Um die Flughäfen, Bahnhöfe und öffentlichen Gebäude wurde ein zusätzlicher Sicherheitsring gelegt mit verstärkten Personenkontrollen. Nach Medienberichten wurden mindestens zwanzig Menschen festgenommen und verhört, was von der Polizei allerdings nicht bestätigt wurde.

Premierminister Manmohan Singh brach seine Reise im Osten des Landes ab und kehrte für eine Kabinettssitzung nach Delhi zurück. Er verurteilte die Anschläge und erklärte, es handle sich um einen „zynischen und wohl überlegten Terrorakt gegen unschuldige Menschen und das indische Volk“. Unter den zahlreichen Verurteilungen aus aller Welt stach die rasche Stellungnahme der pakistanischen Regierung hervor, welche die „terroristischen Explosionen“ scharf verurteilte. Die Oppositionspartei BJP kritisierte die Regierung und stellte einen Zusammenhang mit der Politik der „Aufweichung der Grenzen“ her.