Münte seine Partei

Der Machtkampf um den Posten des Generalsekretärs führt den Genossen vor Augen, dass ihr Vorsitzender möglicherweise autoritärer und konservativer ist, als der Partei gut tut

AUS BERLIN JENS KÖNIG

„Ich glaube nicht, dass es viele Geheimnisse um mich gibt.“ Das ist so ein Satz von Franz Müntefering, den er vermutlich bitterernst meint, den ihm viele aber nicht abkaufen werden. Darin besteht ja gerade Münteferings Kapital: dass alle denken, hinter seiner Schweigsamkeit und Glanzlosigkeit verstecke er irgendein großes Geheimnis. Nur so können sie sich den lautlosen Aufstieg des Mannes erklären, der von Gerhard Schröders treuestem Helfer in nur sechs Jahren zum mächtigsten Parteivorsitzenden geworden ist, den die SPD je hatte. Als Vizekanzler, Arbeitsminister und SPD-Chef ohne jeden innerparteilichen Gegenspieler von Format vereint Müntefering eine Machtfülle auf sich, von der Willy Brandt und Helmut Schmidt nicht zu träumen wagten, von den Herren Engholm, Scharping, Lafontaine und Schröder mal ganz abgesehen.

In diesen Tagen ist Müntefering seiner Partei ein ganz großes Geheimnis, und das liegt daran, dass der Vorsitzende besonders schweigsam und besonders glanzlos ist. Vor einer Woche kündigte er im Spiegel an, seinen Vertrauten Kajo Wasserhövel zum neuen Generalsekretär der Partei machen zu wollen. Zur Begründung lieferte Müntefering nur einen einzigen seiner berühmten kurzen Sätze: „Er kann auch Generalsekretär.“ Seitdem brodelt es in der Partei.

Die junge Parteilinke Andrea Nahles ist zu einer Kampfkandidatur um den einflussreichen Posten bereit, sie wird dabei – zur Überraschung Münteferings – von einem generationen- und flügelübergreifenden Bündnis in der Partei gestützt. Der SPD-Chef hat zu dieser Auseinandersetzung öffentlich eine Woche lang nichts gesagt. Je mehr Warnsignale an Müntefering gesandt wurden, den Streit doch bitte zu entschärfen und eine Machtprobe der Partei mit ihrem Vorsitzenden auf offener Bühne zu vermeiden, desto mehr verfestigte sich seine Position. Sein Schweigen entwickelte sich zur autoritären Geste. Gestern dann erneut nur ein dürrer Satz, und wieder über die Medien. „Ich habe mich für Kajo Wasserhövel entschieden, weil er für den Job die beste Wahl ist“, sagte Müntefering der Bild am Sonntag.

Für den gestrigen Abend – nach Redaktionsschluss – hatte der Vorsitzende den engsten Führungskreis der Partei, das Präsidium, zusammengerufen. Viel sprach nicht dafür, dass Müntefering in diesem Gremium noch eine Entschärfung des Konflikts gelingen sollte. Und so droht heute im 45-köpfigen Parteivorstand ein Showdown, den man unter innerparteilicher Demokratie abbuchen kann, den es aber in der jüngeren SPD-Geschichte so noch nicht gegeben hat: der offene Kampf um einen wichtigen Posten, bei dem es einen Sieger und einen Verlierer geben wird – gegen den Willen des Parteichefs. Der Vorstand muss sich entscheiden, wen von beiden er dem Parteitag Mitte November als Generalsekretär vorschlagen wird.

Wasserhövel (43) oder Nahles (35)? Der organisationserfahrene Bundesgeschäftsführer, der seit über zehn Jahren so etwas wie Münteferings Schatten ist, oder die kämpferische Sprecherin der Parteilinken, die von ihrem Parteichef bislang stets gefördert wurde, wenn es Not tat sogar gegen den erklärten Willen Schröders? Die Härte der Auseinandersetzung zwischen den beiden ist beileibe nicht mit ihrer Vita oder ihren politischen Ansichten zu erklären. Es geht, wie so oft in Parteien, die an der Regierung sind, um ihr Selbstverständnis – und um die Macht des Vorsitzenden dabei. Braucht die SPD, die in den sieben Jahren rot-grüner Regierung fast völlig ihre Orientierung verloren hat, wieder mehr Eigenleben und programmatische Unabhängigkeit von einem Koalitionsvertrag, zumal in der ungeliebten großen Koalition? Das ist die Frage aller Fragen, und der Parteivorsitzende gibt darauf eine für viele Genossen erschreckend autoritäre und konservative Antwort: nein, braucht sie nicht. Müntefering, der nach seiner Inthronisierung als SPD-Chef im Februar 2004 seiner Partei stets das Gefühl gab, es geht nicht nur um Schröder und die Agenda 2010, sondern auch um die Seele der ruhmreichen Sozialdemokratie, derselbe Müntefering wünscht sich jetzt als Vizekanzler der großen Koalition eine disziplinierte, ruhig gestellte Partei. Deswegen hält er so vehement an Wasserhövel als Generalsekretär fest. Er braucht jemanden, der die SPD straff von oben nach unten durchorganisiert. Dafür ist sein Adlatus die perfekte Besetzung. Müntefering kann keine laute, impulsive Generalsekretärin gebrauchen, die die Partei wieder zum Leben erwecken will und dafür im Zweifelsfall sogar die eigene Regierung attackieren würde.

„Ich wähle Doris ihr Mann seine Partei“ – mit dieser witzigen Parole rief die Partei einst zur Wahl der Schröder-SPD auf. Jetzt ist es Münte seine Partei. Und so benimmt sich der Vorsitzende auch.