Kolumne Macht: Eine Frage zum Gepäck

Der Flugverkehr über dem Sinai ist eingestellt. Eine hysterische Maßnahme – falls die Verantwortlichen nicht mehr wissen.

Touristin im Flughafen Scharm el-Scheich

Flug gecancelt. Britische Touristen in der Abflughalle von Scharm el-Scheich. Foto: AP

Vieles im Zusammenhang mit dem Absturz der russischen Passagiermaschine über dem Sinai ist merkwürdig. Aber das vielleicht Seltsamste ist, wie gelassen Entscheidungen westlicher Regierungen und Fluggesellschaften hingenommen werden, die eigentlich Anlass zu kritischen Fragen sein sollten. Zu sehr kritischen Fragen.

Natürlich möchte sich niemand vorwerfen lassen, die Sicherheit von Flugpassagieren zu vernachlässigen, falls die Möglichkeit besteht, dass ein Terroranschlag für den Tod von 224 Menschen verantwortlich war. Aber das allein rechtfertigt noch keine Maßnahmen, die als hysterisch bezeichnet werden müssen, wenn nicht – ja, wenn nicht den Zuständigen weitere Informationen vorliegen, die öffentlich nicht bekannt sind.

Man muss es sich noch einmal vor Augen führen: Weil vieles dafür spricht, dass die Miliz „Islamischer Staat“ eine Bombe an Bord eines Flugzeugs geschmuggelt hat, fliegen zahlreiche internationale Gesellschaften das ägyptische Scharm al-Scheich nicht mehr an. Tausende von Touristen sitzen am Roten Meer fest. Die besonders große Gruppe der Briten hätte bei der Evakuierung ihr Gepäck nicht mitnehmen dürfen; das sollte gesondert zurücktransportiert werden.

Im Klartext: Die britischen Sicherheitsbehörden glauben nicht nur, dass Mitarbeiter des Flughafens an dem Anschlag beteiligt waren – sie trauen es darüber hinaus der ägyptischen Regierung nicht zu, die Kontrollen jetzt so zu verschärfen, dass kein Grund mehr zur Besorgnis besteht. Das ist die Nachricht hinter der Nachricht. Weswegen Ägypten sich jetzt mit einem Landeverbot für manche Evakuierungsflieger rächt.

Tiefschlag für den Tourismus

Verständlich. Dem autoritär regierenden Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi, früher Oberbefehlshaber der Streitkräfte, ist nämlich vieles vorzuwerfen, eines aber steht außer Frage: An einem Niedergang des Tourismus, eines der wichtigsten Wirtschaftszweige in Ägypten, hat er kein Interesse. Vor allem deshalb, weil selbst sein Regime gefährdet ist, wenn die ohnehin großen wirtschaftlichen Probleme des Landes noch größer werden. Ein schlimmerer Tiefschlag für die Tourismusindustrie als die Ereignisse in Scharm al-Scheich ist nicht vorstellbar.

Das ägyptische Militär verfügt über ein Jahresbudget von 2,4 Milliarden Dollar, größtenteils finanziert von den USA. Die Streitkräfte gehören zu den am besten ausgerüsteten und ausgebildeten Armeen der Region. Und die sollten es nicht schaffen – wenn sie den Befehl dafür erhalten –, Reisende, ein paar Koffer und die Bordmenüs so zu überprüfen, dass ein Attentat ausgeschlossen werden kann? Das ist lächerlich.

Keine Einladung für Terroristen

Hinter dem möglichen Anschlag auf das russische Flugzeug scheint sehr viel mehr zu stecken, als der Öffentlichkeit bisher bekannt ist. Das steht jedenfalls zu hoffen. Denn falls lediglich Spontaneität für die Entscheidungen verantwortlich war, dann wäre das ein Geschenk an alle Terrororganisationen: Sie dürften hoffen, mit sehr viel geringeren Mitteln sehr viel größere Wirkung zu erzeugen als selbst die Attentäter vom 11. September.

Wenn die Massen auf die Straße gehen, können Regime fallen. Neue Hoffnung wächst. Und dann? Wir fragen Menschen aus der ehemaligen DDR, der Ukraine und Tunesien, was von ihrer Revolution geblieben ist. Die Titelgeschichte „Was bleibt von einer Revolution“ lesen Sie in der taz. am wochenende vom 7./8. November. Außerdem: Wer über Müll spricht, muss auch über Design reden. Eine Sachkunde der guten Verpackung. Und: Die schaffen das! Unsere KorrespondentInnen haben FlüchtlingshelferInnen besucht. Das und mehr gibt es am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.

Was, wenn die somalische Miliz al-Shabaab ein Flugzeug explodieren lässt, das in Nairobi abgehoben hat? Wird dann der Flugverkehr nach Kenia eingestellt? Und kann Boko Haram die internationalen Verbindungen nach Nigeria lahmlegen? Das kann’s ja wohl nicht sein. Wenn man Terroristen nicht ermutigen will, dann müssen die Karten jetzt offen auf den Tisch gelegt werden. So schwer das Geheimdiensten auch fällt.

Nein, ich habe keine Ahnung, wie diese Karten aussehen könnten. Ich raune hier nicht. Aber ich hoffe eben, dass es bessere Gründe gibt für dramatische Aktionen als Aktionismus.

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Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).

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