Wir feiern die Vergabe des Literaturpreises der „Welt“ an KARL OVE KNAUSGÅRD
: Gestern noch las ich über seine Erektionsprobleme

Ausgehen und rumstehen

von Lucy Fricke

Wir lassen unsere Namen auf Listen finden, uns Bändchen geben, das Gepäck durchleuchten, uns von Hostessen zum Fahrstuhl begleiten und in die oberste Etage des Springer-Gebäudes fahren. Der Literaturpreis der Welt wird verliehen, dieses Jahr an Karl Ove Knausgård . Zuvor waren Franzen und Murakami dran. Es sind Preisträger zum Angeben, das Buffet ist immer vorzüglich und der Wein endlos. Oben angekommen jede Menge Links-rechts-Küsse, Glas Sekt in die Hand, Plätze suchen.

Letztes Mal sang Patti Smith. Dafür singt dieses Jahr niemand. Sybille Berg hält die Laudatio, und die ist fantastisch. „Früher fragte ich mich immer, ob ich eine gute Schriftstellerin sein möchte oder glücklich“, sagt sie, und dabei höre ich M. und mich erst lachen, dann schlucken. An diesem Abend wollen alle Frauen mit Knausgård ins Bett. Besonders die, die ihn nicht gelesen haben. Da alle wissen, dass ich für keinen lebenden Autor je mehr geschwärmt habe, versuchen sie mich in seine Richtung zu schieben. Gestern noch las ich in „Träumen“ über seine Erektionsprobleme, wie er mit neunzehn Jahren lernt zu wichsen, wie er trainiert. Jetzt geh endlich hin, sagt E. Aber was zum Teufel soll man da sagen. S. versucht mir auf die Schnelle ein paar Brocken Norwegisch beizubringen. Das Einzige, was ich mir merken kann ist: å klemme. Das heißt umarmen. Dann sagt S. einen sehr langen Satz, der in der Übersetzung bedeutet: Man muss viele Frösche küssen, bevor man einen Prinzen findet. Als Drittes sagt sie: å knulle. Das heißt ficken. Ich bin ihr wirklich sehr dankbar. Wieder fällt jemandem auf, dass er überragend gut aussieht. Die Norweger verfallen günstig, sagt S.

Wir tragen hohe Absätze, Lippenstift und Kleider, wir rutschen immer tiefer in die Ledersessel, während die Kellner unsere Weingläser nachfüllen. Wir betrinken uns, es ist umsonst. Wir machen Witze und Komplimente, blicken auf die Stadt hin­unter. Irgendjemand hat immer Liebeskummer, das kennen wir schon, das geht vorbei. Wir können uns schließlich auch in Länder verlieben, in Texte, Autos oder Katzen. Und dann sind da noch die Kinder. Wir können eine Menge, wir haben die Möglichkeiten. Aber das letzte Buch ist Jahre her, und jetzt auch noch alleinerziehend. Das hatten wir uns alles anders vorgestellt. Wir sind nicht Knausgård, wir sind keine Sensation, wir waren Talente. Wir küssen ein paar Kritiker. Wieder hat jemand geheiratet, ist einer Vater geworden. Es geht alles seinen Gang. Wieder fällt jemandem auf, dass da Hakenkreuze im Teppichmuster sind. Knausgård ist immer noch da und raucht. Die Frauen vor ihm wechseln. Ich habe mir so oft das Glas nachfüllen lassen, dass ich den Unterschied zwischen Umarmen und Ficken vergessen habe. Wir fahren mit dem Taxi um vier noch ins Drei. Eine Bar, die immer schon eine schlechte Idee gewesen ist.

Am nächsten Morgen will ich zum Open Mike. Es ist Nachmittag, als ich endlich dort ankomme, und Pause. Das Jury-Mitglied sagt: Frag mich nicht nach den Texten, und B. ist richtig wütend: Alles langweilig, engstirnig, bieder. Aber auch das lässt sich wegfeiern. Am Abend, bei der Party der Literaturmagazine, ist es brechend voll. Überall junge, betrunkene Dichter. Jung und betrunken und Dichter zu sein ist etwas sehr Schönes. Ich gehe früh. Zu der anderen Party, wo die anderen sind, gehe ich nicht, es ist die Fortsetzung der Party von gestern. Es gibt nichts zu verpassen. Alles ist längst passiert und passiert wieder. Jemand wird gewinnen, es wird neue Talente und neue Bücher geben. Wir wünschen ihnen Glück, mindestens so viel Glück, wie wir hatten.