Josef-Otto Freudenreich
: Selig und real

Warum nicht gleich eine Seligsprechung? Professor Doktor Wolfgang Schuster (CDU, 63) auf dem Weg ins Licht, in dem es keine Schatten mehr gibt. Wer's nach den Heldensagen in den Stuttgarter Blättern immer noch nicht glaubt, möge sich auf den Stadtspaziergang mit ihm begeben, auf die Reise zur „nachhaltigsten Stadt“ und darüber staunen, in welcher Welt wir leben.

Tücher schwingende Kinder, endlose Lobpreisungen, der Ehrenbürger, der Professor – das mag den Schmerz des Abschieds beim Betroffenen lindern. Und den Laudatoren Wohlgefühl bereiten. Aber beim offiziellen Abgang im Rathaus das zentrale Thema der Stadt zu verschweigen – das ist, im besten Fall, eine reife Verdrängungsleistung. Kein Wort zu S 21 in Schusters Niederschrift, zu jenen BürgerInnen, die zu Zehntausenden auf der Straße gestanden und den Begriff der „Stuttgarter Republik“ geprägt haben. Ein Oberbürgermeister ist doch für alle da, oder? Selbst wohlmeinende Gäste haben über so viel Ignoranz den Kopf geschüttelt.

Gesagt hat's dann sein Nachfolger Fritz Kuhn (Grüne, 57). In freier Rede und einer Deutlichkeit, die manche überrascht haben mag, aber eigentlich nur sein Selbstverständnis dokumentieren sollte: Ich bin ein unabhängiger Kopf. Auch in der eigenen Partei. Keine politische Lyrik, sondern Klartext. Die Botschaft zum Bahnhof: Kein Vertrauen in die Bahn, so lange sie nicht den Beweis liefert, es überhaupt zu können, so lange sie nicht in der Lage ist, Alternativen aufzuzeigen. Kein Kommunikationsbüro, das mit „Desinformationen“ arbeitet, und keine gefällten Bäume im Rosensteinpark. Wann waren solche Sätze zuletzt aus den oberen Etagen der Grünen zu hören?

Nicht von ungefähr strahlte Brigitte Lösch wie ein verspäteter Weihnachtsbaum. Die Landtagsvizepräsidentin ist eine der letzten Mohikanerinnen beim grünen Staatspersonal, die sich bei S 21 nicht weggeduckt hat, und bezieht dafür regelmäßig Hiebe. Selbst Hannes Rockenbauch, Kuhns einstiger Gegenkandidat, zeigte sich angetan, und Altaktivist Gangolf Stocker, sonst eher mürrisch, wollte sich den Superlativ nicht verkneifen, der am Montagabend bei den Gegnern die Runde machte: super. Sozialdemokrat Peter Conradi inklusive.

Die Latte liegt also hoch, aber der Befürworter schläft nicht. Die Feiertagslaune bei winterlichem Wirsingstrudel, garantiert bio, war noch nicht verflogen, da meldete sich bereits die SPD, in Gestalt von Minister Nils Schmids Sprecher Andreas Reißig. Der sprach von einem „Foulspiel gegen den Koalitionspartner“, wissend, dass sein Chef nun Probleme hat, den Gestattungsvertrag zum Fällen der Bäume zu unterschreiben. Und der grün-schwarze Porsche, den CDU-Fraktionschef Alexander Kotz dem Neu-OB überreichte, dürfte auch nicht nur ein Symbol für künftige Koalitionen gewesen sein. Die Christdemokraten setzen immer noch auf ungebremste Geschwindigkeit, auf Straße wie Schiene, Feinstaub hin oder her, Kuhns Versprechen, dagegen zu arbeiten, her oder hin.

Das wird kein leichter Gang. Die einen werden Kuhn bremsen wollen, die anderen treiben. Für den Politprofi ist das zwar nicht neu, und seine Fähigkeit, die Dinge vom Ende her zu denken, wird ihn vor vielen Fallen schützen. Aber tröstlich ist schon mal, dass er die Welt nüchtern betrachtet. Er wolle für die Stadt arbeiten, nicht am eigenen Denkmal, sagt er. Und das gilt es jetzt zu beweisen.