Keiner soll entwischen

WELTKRIEG Das Zeughauskino widmet sich dem 70. Jahrestag des Auftakts der Nürnberger Prozesse mit einer Filmreihe

André De Toths Drama „None Shall Escape” schildert 1944 den Werdegang eines Nazibefehlshabers in rückblendenden Zeugenaussagen Foto: Park Circus

von Thomas Groh

„None Shall Escape” – keiner soll entwischen. Ein Filmtitel als programmatische Losung und damit ein passender Einstieg für die von taz-Autor Fabian Tietke kuratierte Filmreihe, in der sich das Zeughauskino ab dem 20. November, dem 70. Jahrestag des Auftakts der Nürnberger Prozesse, mit dem Niederschlag dieses einschneidenden Ereignisses in Spiel- und Dokumentarfilm befasst. Als Bestandteil des Reihenzyklus „Die Welt in Waffen” nimmt auch dieses Filmprogramm den Zweiten Weltkrieg nicht als eindeutig abgrenzbare Phase, die am 8. Mai 1945 zu Ende geht, in den Blick, sondern zeitliche Überlappungen, globale Asynchronitäten und Verstetigungen: Der Zweite Weltkrieg reicht weit über die deutsche Kapitulation hinaus – in politischen Verwerfungen, neuem Hochrüsten oder der Sortierung der begangenen Gräueltaten, wie etwa der juristischen Aufarbeitung, die im Völkerstrafrecht bis heute nachwirkt: Der von den Alliierten eigens eingerichtete Internationale Militärgerichtshof findet seine heutige Rechtsnachfolge im Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag.

Das historische Novum, die Befehlshaber persönlich und ungeachtet der in ihrem Land herrschenden Gesetze für auf ihr Geheiß begangene Verbrechen haftbar zu machen, kündigten die Alliierten schon 1943 an. Weshalb das vom ungarischen Exilanten André De Toth realisierte Gerichtsdrama „None Shall Escape” dem US-amerikanischen Publikum bereits 1944 einen Nazi vor Gericht präsentieren konnte: Stellvertretend für das „Dritte Reich” ist der Nazikommandant Wilhelm Grimm angeklagt, dessen Werdegang vom gedemütigten Veteranen des Ersten Weltkriegs zum schneidigen Nazibefehlshaber, der die Bewohner eines polnischen Dorfes erst ausnehmen und dann massakrieren lässt, in Form von rückblendenden Zeugenaussagen geschildert wird.

In seinen heute teils naiv wirkenden Herleitungen lässt der Film zwar keinen Zweifel daran, dass Nazis vor Gericht gehören; doch machen sich in diesem „Nürnberg-Film vor Nürnberg” auch erste Anzeichen einer abwägenden Haltung bemerkbar, die sich dafür interessiert, warum und unter welchen Bedingungen jemand zum Nazi wird. Dies expliziert sich vor allem in der Figur eines Ziehsohns, der sich von Grimm faszinieren lässt, dessen rechte Hand wird, doch schließlich im dramatischen Konflikt seine Menschlichkeit wiederfindet. Grimm hingegen ist die ewig unbelehrbare Bestie: Wenn er am Ende von der Ewigkeit des deutschen Kampfs schwadroniert, haftet dem angesichts der heutigen Dummköpfe aus dem Milieu der „besorgten Bürger” etwas Gespenstisches an.

Im 1959 vergleichsweise lange nach den Nürnberger Prozessen entstandenen, gekonnt mit den Mitteln der grellen Kolportage spielenden „Verboten!” (24. 11.) wirft Sam Fuller, der große Poet beherzter B-Movie-Unsubtilität und seines Zeichens selbst Weltkriegsveteran, einen ganz eigenen Blick auf die Problemlage im frischen Kapitulations-Deutschland: Wie unterscheiden zwischen Nazis, opportunistischen Liebkind-Machern und aufrichtigen Widerstandskämpfern? Wie umgehen mit der frisch entzahnten Bestie Nazideutschland, in dessen Untergrund noch manch Hitler-Treuer vom Endsieg träumt? Worauf sich persönlich einlassen?

Der Zweite Weltkrieg reicht weit über die deutsche Kapitulation hinaus

Die Nürnberger Prozesse dienen hier als pädagogisch-heilsame Maßnahme: Ein deutscher Junge, der unter den Einfluss einer Naziterrorgruppe geraten ist, sieht sich erstmals mit den Naziuntaten konfrontiert, entsagt dem Widerstand und trägt zu dessen Zerschlagung bei.

Wie überhaupt richten, fragt sich schließlich Marcel Ophüls im vierstündigen Essay-Dokumentarfilm „The Memory of Justice” von 1976 (22. 11.), ein Glücksfall jüngerer Archiv- und Restaurationsarbeit, galt dieses Dokument einer eingehenden Betrachtung und Überprüfung der moralischen Kategorien der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts doch seit langem als verloren. Die Nürnberger Prozesse werden dabei selbst zum Maßstab für die anklagenden Parteien: Kann sich ein Land danach noch Vietnam leisten, ohne seine Integrität zu verlieren? Der Zweite Weltkrieg, so viel steht fest, strahlt bis heute fort.

Die Welt in Waffen: Zeughauskino, 20.–27. 11., www.dhm.de