Und die Russen?

GASKRISE Vor einem Jahr fürchtete Europa, wegen der Ukrainekrise im Winter im Kalten zu sitzen. Heute ist die Lage entspannter

BERLIN taz | Erst Ende November 2015 kam mal wieder eine Warnung aus Moskau. Damals weigerte sich die Ukraine, Erdgas direkt aus Russland zu kaufen, weil es über den Umweg Europa billiger zu haben sei. Prompt warnte Gazprom-Chef Alexei Miller, die Versorgungssicherheit in Europa sei gefährdet. Interessiert hat das niemanden.

Erdgas ist billig wie seit über einem Jahrzehnt nicht mehr – daran ändert auch der fast schon ritualisierte Lieferstreit zwischen Moskau und Kiew nichts. „Als preisbeeinflussendes Element ist das Thema raus“, sagt Rainer Wiek, Analyst beim Hamburger Energie Informationsdienst. „Wir sind in Europa in einer äußerst komfortablen Versorgungssituation.“

Dabei hat sich in Deutschland grundsätzlich nichts an der Abhängigkeit vom russischem Erdgas geändert. Nach wie vor kommt laut Bundesnetzagentur 57 Prozent des deutschen Imports von dort oder aus anderen GUS-Staaten. Allerdings hat sich die Abhängigkeit Russlands von Exporten nach Europa eher verstärkt: Die erst kürzlich verlängerten EU-Sanktionen setzen dem Land zu. Laut einem Weltbank-Bericht von Dezember liegt die Inflation bei 15 Prozent, die Industrieproduktion schrumpft weiter, das Staatsdefizit soll 2016 bei 3 Prozent liegen – nach offiziellen Angaben. Der von Wladimir Putin laut angekündigte Bau von Erdgaspipelines nach China liegt mittlerweile auf Eis.

Auf der anderen Seite hat sich die bundesdeutsche Erdgas-Politik trotz aller Krisen nicht geändert: Bundeskanzlerin Angela Merkel unterstützt nach wie vor den Bau der Pipeline Nord Stream 2 durch die Nordsee, die Russland und Deutschland verbinden soll. Auf dem EU-Gipfel kurz vor Weihnachten hat das zu großem Unmut geführt, vor allem in Polen.

Die wechselseitige Abhängigkeit zwischen Russland und Europa bleibt also zumindest in Energiefragen weiter bestehen – auch wenn sie sich in den nächsten Jahren lockern dürfte, dank einem weltweiten Erdgasboom. Im Januar 2016 soll in den USA das erste Flüssiggas-Terminal in Betrieb gehen, mit dem die Vereinigten Staaten ihr billiges Fracking-Gas in Tankschiffen erstmals auch in die Europäische Union liefern können. Auch Australien wird 2016 derartige Terminals in großem Stil in Betrieb nehmen. Und möglicherweise kommt mittelfristig ein weiterer Lieferant hinzu, wenn die Sanktionen gegen ihn fallen: der Iran. Ingo Arzt

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