Wie ein Held aus seinem Roman

Die Angst vor dem Verschwinden: Orhan Pamuk ist auf Lesetour, Orhan Pamuk gibt Interviews und Pressekonferenzen, er ist präsent. Und doch bangt der Träger des Friedenspreises, als Literat hinter dem Interesse am politischen Autor zu verschwinden

VON GERRIT BARTELS

Es dauert nicht lange an diesem Mittwochabend in der Berliner Volksbühne, gerade mal eine Frage ist an ihn gerichtet worden, da bringt Orhan Pamuk die Dialektik seines Romans „Schnee“ und nicht zuletzt seine momentanen Schwierigkeiten als Schriftsteller auf den Punkt: „Ich wollte einen politischen Roman schreiben, doch sollten in diesem Roman keine eigenen politischen Überzeugungen drin sein. Zumal ich auch sagen muss: Ich habe gar keine festen politischen Überzeugungen.“

Orhan Pamuk ist auf Lesetour. Nach der Verleihung des Friedenspreises in der Frankfurter Paulskirche haben er und sein Verlag noch ein paar Deutschlandtermine drangehängt, und so aufgeräumt und zu Scherzen aufgelegt, wie Pamuk sich in Berlin gibt, scheint er geradezu erleichtert darüber zu sein, endlich wieder ausschließlich Romancier sein zu können: ein Romancier, der gern das Zustandekommen seines aktuellen Romans erklärt (was ja nicht immer eine Selbstverständlichkeit ist), der sich aber gleichfalls die Freiheit nimmt, wie einst Fellini auf Berufsgeheimnisse zu verweisen, ohne zu wissen, woraus diese Geheimnisse nun genau bestehen.

Der Rahmen der Moderation der Literaturen-Redakteurin Frauke Meyer-Gosau ist fest abgesteckt und von Pamuk wohl gezielt vorgegeben: Fragen nur zu „Schnee“ und nichts anderem; keine Fragen zum anstehenden Prozess gegen ihn in der Türkei wegen „Beleidigung des Türkentums“, keine zu seinen Äußerungen über die Massenmorde an Armeniern und Kurden, keine zum EU-Beitritt der Türkei und auch keine Fragen zu Meinungsfreiheit, Demokratie und Islamismus in seinem Heimatland.

Es hat etwas Irreales, dass all das in einem recht ausführlichen Gespräch weitgehend ignoriert wird. Doch hatte sich Pamuk dazu wohl zu erschöpfend während der Frankfurter Buchmesse äußern müssen. „Meine Romanhelden suchen nicht die Ereignisse, sondern diese kommen zu ihnen, sie widerfahren ihnen“, erklärte er auf der traditionellen Pressekonferenz vor der Friedenspreisverleihung, „und genauso geht das im Moment mir: Plötzlich finde ich mich in der Tagespolitik wieder.“

So hatte bei der Buchmesse ein Interview mit dem türkischen CNN für Aufregung gesorgt, in dem Pamuk angeblich von seinen Äußerungen über den Massenmord der Türken an Armeniern und Kurden abgerückt sei, und so sah Pamuk sich in Frankfurt veranlasst, fast Wort für Wort zu verteidigen, was er einst im Tages-Anzeiger zu Protokoll gegeben hatte, nämlich „dass in der Türkei über eine Million Armenier und 30.000 Kurden getötet worden sind, und dass es schwer ist, in der Türkei darüber zu reden“.

Pamuk wirkte auf dieser Pressekonferenz angespannt und leicht erregbar. Mit aller Kraft, all seinem intellektuellen Überzeugungsvermögen, so schien es, wollte er dort verhindern, dass der Literat Pamuk hinter dem politisch engagierten Schriftsteller Pamuk verschwinde, und so appellierte er an die Journalisten, sie sollten bei ihren Fragen bitte auch an seine „literarische Entschlossenheit“ denken.

Dieser gab er einen Tag später mit seiner Friedenspreisrede in der Paulskirche (siehe taz vom 24. 10.) weiteren Ausdruck: Als eine Hymne auf den Roman erwies sich diese, auf dessen vielfältige Möglichkeiten, Erkenntnisse zu vermitteln und gesellschaftliche Veränderungen abzubilden, auf seine Möglichkeiten, „die Geschichten eines Anderen als unsere eigene zu erzählen“, „sowohl unser Leben als das eines Anderen zu erzählen, als auch das Leben von anderen Menschen als das unsere zuschildern“: „Die einem Schriftsteller angemessene Art von Politik ist nicht, wie vielfach angenommen, das Engagement für eine bestimmte politische Sache oder die Mitarbeit in einer Partei. Sie entspringt vielmehr seiner Vorstellungskraft, seinem Vermögen, sich in andere hineinzuversetzen.“

Natürlich sprach Pamuk in seiner Rede auch über Politik, zeigte er einmal mehr sein Engagement für einen EU-Beitritt der Türkei, und er entschuldigte sich am Ende dafür gar noch. Doch koppelte er diese Äußerungen ein jedes Mal wieder an die Literatur an. Sei es, dass er übertriebenen Nationalismus vor dem Hintergrund von Scham, Stolz, Wut und Erniedrigungen erklärte, „das Material, aus dem ich meine Romane forme“; sei es, dass in Sachen des EU-Beitritts der Türkei für ihn auch „auf der einen Seite schriftstellerische Fantasie und auf der anderen Seite bücherverbrennender Nationalismus“ zur Wahl stünden.

So mündet auch der Abend in der Volksbühne darin, dass Pamuk auf seine Poetologie zu sprechen kommt. Seine Romane versuchten immer wieder darzustellen, „wie man den Schmerz von anderen verstehen, diesen zum Leben erwecken könne“. Und „Schnee“, so Pamuk weiter, sei zwar an der Oberfläche ein politischer Roman, doch darunter verhandele er die Frage, „wie moralisch es ist, unter schwierigsten Lebensumständen eine individuelle Suche nach Glück zu unternehmen“.

Am Ende, als an ihn noch die Frage geht, ob es denn angesichts der vielen Gedichte, die Ka in „Schnee“ schreibt, demnächst auch den Lyriker Pamuk gebe, gibt er zur Antwort: „Ka schreibt die Gedichte, nicht der Romancier Pamuk.“

Ob es für den Romancier Pamuk aber in Zukunft genauso leicht sein wird, den politischen Autor Pamuk einfach so auszublenden, seine vielfach geäußerten politischen Überzeugungen so zurückzuhalten wie an diesem Abend in Berlin, das sei doch einmal schwer in Zweifel gezogen.