Schlaue Kabel für grünen Strom

ENERGIE Auch dank intelligenter Netze könnten wir uns schon bald größtenteils mit erneuerbaren Energien versorgen. Eine Vision

VON MANUEL BOGNER

Berlin taz | Während Bauarbeiter gerade Deutschlands letztes Kohlekraftwerk in Jänschwalde abbauen, bläst 600 Kilometer weiter nordwestlich vor Borkum der Wind mit einer Geschwindigkeit von 20 Kilometern pro Stunde. Der dortige Windpark liefert jetzt so viel Strom wie ein großes Atomkraftwerk. Das sind gute Nachrichten für den Süden der Republik. Dort schalten sich alle Waschmaschinen, die mit Dreckwäsche beladen sind, genau jetzt automatisch an. Gleichzeitig stellen sich die Kühlschranke von Millionen Nutzern ein Grad kälter.

Wir befinden uns im Jahr 2050, und Deutschland deckt seinen Strombedarf nahezu ausschließlich aus erneuerbaren Energien. Das funktioniert problemlos, denn Europa hat seit 20 Jahren ein „intelligentes Stromnetz“, das dafür sorgt, dass wir nicht im Dunklen sitzen, wenn in der Nordsee mal kein Wind geht oder die Sonne nicht scheint.

Dieses kluge Netz besteht aus zentralen Großkraftwerken wie Windparks im Meer, aber auch aus vielen kleinen dezentralen Energieerzeugern wie etwa Solardächern oder Mini-Blockheizkraftwerken. „Klug“ wird das Netz, weil es ein Gehirn hat: Alle Haushalte sind mit Minicomputern ausgestattet, die ständig Daten über den Verbrauch, aber auch die Leistung der Solarzellen auf dem Dach liefern. Denn der Verbraucher ist mittlerweile gleichzeitig Energieproduzent. Koordiniert wird alles von einer Software, die Verbrauchsdaten und Wetterprognosen berücksichtigt und ständig dafür sorgt, dass Verbrauch und Angebot aneinander angepasst werden.

Steht wenig Energie zur Verfügung, lässt sich im Haushalt kurzfristig vor allem im Bereich des Heizens und Kühlens Energie sparen. So kann bei geringem Stromangebot der Gefrierschrank auch mal eine halbe Stunde abgeschaltet sein, ohne dass die Tiefkühlpizza auftaut. Bei hohem Strombedarf und gleichzeitiger Windflaute oder geringer Sonneneinstrahlung springen die europäischen Nachbarländer ein. So liefert Norwegen bei Engpässen Strom aus seinen Wasserkraftwerken. Dank der Stromautobahnen, dem sogenannten Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsnetz, ist die Energie in Sekundenbruchteilen in Deutschland.

Für den entgegengesetzten Fall – wenn nachts viel Strom zur Verfügung steht und wenig gebraucht wird – kommen Millionen Elektroautos ins Spiel. Ihre Batterien dienen als riesiger Stromspeicher. Dank spezieller Nachtstromtarife nutzen Autofahrer meist die Nacht, um ihre Elektro-Vehikel zu laden. Steigt der Bedarf tagsüber, so kann der gespeicherte Strom aus den Batterien zu höheren Preisen wieder ins Netz eingespeist werden.

Reine Zukunftsvision? Nein: Erste Schritte sind bereits gemacht. Zum Beispiel in Mannheim. Mehr dazu unter:

www.modellstadt-mannheim.de