Den Gänsebraten formt der Bildhauer

VEGETARISMUS Wer sich fleischlos ernährt, muss nicht aufs Festessen verzichten. Taiwan hat ausgeklügelte Alternativen entwickelt

Gibt‘s auch als wohlschmeckendes Imitat: Gans Foto: dpa

Gans ganz lecker – finden viele Weihnachtsfreunde, wenn gold-krosse Vögel aus dem Ofen geholt werden und ihren Duft in der Wohnung verströmen. „Wir aber finden pflanzliche Ernährung tierisch gut“, sagt die in Bremen geborene, in einer taiwanesischen Familie aufgewachsene Lo-Ping Tu. Nach ihrer Ausbildung in einem Asia-Lokal hat sie sich 2008 selbstständig gemacht und betreibt mit ihrer Mutter, dem Bruder und einem Koch das Restaurant Vegefarm.

„Gerade jetzt, zum Fest der Liebe, sollte man aus Liebe und Respekt dem Tier, der Umwelt und der eigenen Gesundheit gegenüber mal neugierig fleischfrei feiern“, sagt die Köchin. Also mal keine Gans, keine Bockwürstchen, kein in Portwein gebadetes Holunderbeerreh mit Walnusspaste an Granatapfelsauce – sondern alles 100 Prozent vegetarisch. Klingt nicht weihnachtlich? Zumindest nicht nach Wiederkehr des ­immer Gleichen.

Jeder Hundertste lebt vegan

Die Vegefarmer halten schon äußerlich kompromisslos dagegen. Trotz nahenden Heiligabends lässt sich das Lokal nicht sein Designkonzept ruinieren: Yucca-Palme statt Weihnachtsbaum, batteriebetriebene Teelichter statt Kerzen. „Am meisten gelernt habe ich bei meiner Mutter“, sagt Tu. „Das ist bei uns Taiwanesen traditionell so, Frauen werden die besseren Köche, die Jungs die besseren Esser.“ Wobei essen nicht einfach essen, sondern immer auch rituelle Handlung ist – mit religiöser Symbolik und als Ausdruck der Energieflusslehre vom Qi.

In Deutschland speisen laut einer Allensbach-Umfrage von 2014 ungefähr neun Prozent der Bürger vegetarisch und schätzungsweise ein Prozent lebt vegan. Der Markt für Fleischersatzprodukte wächst. In den letzten fünf Jahren habe sich der Umsatz verdreifacht, melden die Hersteller, etwa 100 Millionen Euro gäben Deutsche dafür jährlich aus. Geschmack ist erwünscht – aber eben nicht, dass dafür Tiere getötet werden.

„Das haben buddhistische Mönche vor hunderten Jahren bereits erkannt“, erzählt Tu. Da sie die vegetarische Klosterkost langweilig fanden, aber auch Gläubige vom Vegetarismus überzeugen wollten, kreierten sie Imitate, etwa die vegane Ente. Sie werde aus Seitan gemacht, erläutert Tu, gewonnen nach etwa sechsstündigem Auswaschen der Stärke aus Weizenmehl.

Vor dem Dämpfen wird das Klebeeiweiß eine halbe Stunde mariniert. Orangenschalen, Zimt, Nelken, Muskat, Fenchel und Kümmel seien unabdingbar. Jeder Koch variiere diese Grundgewürzmischung aber, sagt Tu. Pfeffer und ein wenig Salz kommen später hinzu.

Die Götter veräppelt

Aus dem geschmacksangereicherten und natürlich eingefärbten Teig werden Lebensmittelskulpturen geschaffen. Es gibt dafür Bildhauerköche, aber auch Enten-Formen – und Förmchen, mit denen das Hautdesign der Tiere auf die Oberfläche geprägt wird. „Manche bringen auch solche Enten als Opfergabe in die Tempel und veräppeln die Götter ein bisschen“, sagt Tu.

Da jede Fleischsorte eine andere Konsistenz hat, haben auch die Imitate unterschiedliche Hauptzutaten. Hühnchen werden aus Soja gefertigt, Algen und Seetang zu Shrimps und Fischen verarbeitet, Lamm entsteht aus Shiitakepilzen mit Sojaproteinen. Neu sind Tintenfischringe, die aus einer Mischung aus Kojakwurzelbrei und Kartoffelmehl geformt und gern auf Rote-Beete-Süßkartoffel-Zwiebel-Mix mit Chili-Ingwer-Knoblauch-Kokoscreme serviert werden.

Aber warum wird fleischlose Kost nach Tieren benannt? Tu: „Das haben die Mönche eingeführt. Aber es sind völlig eigenständige Gerichte. Vegane Ente ist in Taiwan ein fester Begriff für eine bestimmte Zubereitung bestimmter Zutaten, wie in Deutschland die Frikadelle.“

Ein veganes Weihnachtsmenü fördere das familiäre Zusammensein, findet Tu. Alle helfen beim Gemüseschnippeln; das Kochen, also das Komponieren der Zutaten im Wok, dauert ja nur wenige Minuten. „Keiner muss stundenlang in der Küche schuften“, sagt Tu. Die arbeitsintensiven Fleischersatzprodukte könne man in sehr guter Qualität in Asia-Märkten kaufen.

Ein Weihnachtsmenü

Lo-Ping Tu schlägt vor, als Vorspeise eine klassische Hokkaido-Kürbis-Suppe mit Knoblauch und Zwiebeln anzusetzen. Dann ein kleines Stück Zitronengras und ein Zitronenblatt hinzugeben, kochen lassen, mit veganer Suppenpaste und Kokosmilch abschmecken, schließlich mit fleischlosen Entenbruststreifen garnieren.

Ebenso einfach scheint es, aus Tofu, Möhren, Selleriestangen, Shiitakepilzen, Kartoffelmehl, Curcuma, Salz, Pfeffer und Zucker einen zu Teig kneten, ihn zu Bällchen zu formen, zu frittieren und auf Salat anzurichten. Veganes Lamm mit schwarzer Bohnensoße und Cashewnüssen ist der Tipp fürs Hauptgericht. Zum Nachtisch Klebreiskügelchen mit Schokolade füllen, in Sesam hüllen und ausbacken. Frohes Fest.

Jens Fischer