Vielfalt Die Soziologin Saskia Sassen ist der Meinung, dass Diversität die Städte vor Terrorismus schützen kann. Ein taz-Gespräch
: Kaffeehaus-ketten raus!

Wer sorgt wirklich für die innere Sicherheit? Diversität als Schutzprogramm der Städte Foto: Scott Houston/Polaris/laif

INTERVIEW Mareike Barmeyer

taz: Frau Sassen, Sie sagen, die beste Verteidigung gegen Terrorismus sei die Diversität in Städten. Wie meinen Sie das?

Saskia Sassen:Eine Stadt mit vielen verschiedenen Gruppierungen funktioniert, weil wir nicht alles persönlich nehmen, sondern weil wir uns mit unserer Gleichgültigkeit sogar wohlfühlen. Vertrauenssysteme, basierend auf einem geteilten Bedürfnis nach Sicherheit, statt einem religiösen und kulturellen Einverständnis, machen eine Stadt sicherer als Polizei in den Straßen. Es ist nämlich die Gleichgültigkeit gegenüber der Diversität, die alles funktionieren lässt.

Aber die Städte werden immer homogener.

Das ist ein Problem. Die Städte, grundsätzlich attraktiv für den globalen Markt, werden zu Enklaven, die große Teile der Stadt in Unternehmens- und Luxusgegenden verwandeln. Diese Art von Entwicklung fügt zwar der Stadt eine enorme Dichte hinzu, tatsächlich führt das eher zu einer De-urbanisierung. Das macht eine Stadt nicht sicher.

Was kann man konkret tun, um die Dinge zu verbessern?

In der Wirtschaft sollten wir so viel wie möglich dezentralisieren. Das ist besonders wichtig für benachteiligte Stadtteile: Raus mit den Kaffeehausketten! Stattdessen sollten Leute aus der Nachbarschaft selber ein Café eröffnen, ein Stadtteilrestaurant. Das sind natürlich nicht nur wirtschaftliche sondern auch politische Schritte.

Saskia Sassen

Foto: Columbia University

Jahrgang 1949, ist Professorin für Soziologie an der Columbia University in New York und lehrt an der London Shool of Economics. Im Jahr 2015 erschien ihr Buch „Ausgrenzungen. Brutalität und Komplexität in der globalen Wirtschaft“ (S. Fischer) auf Deutsch. Sie wird am 2. April auf dem taz.lab ihre Befunde mit uns diskutieren.

War das früher anders?

Es gab Zeiten, da konnten Städte gut mit Diversität umgehen: Das alte Bagdad und Jerusalem, wo viele verschiedene religiöse und ethnische Gruppen gut miteinander auskamen. Warum haben sie das geschafft, was wir heute nicht mehr hinbekommen? Weil die Städte damals vom Handel dominiert wurden: Der Basar war ein Ort wo Handelsleute und Käufer verschiedener Religionen zusammenkamen, weil der Handel im Zentrum stand. Religion spielte eine viel kleinere Rolle als die Möglichkeit, dem anderen Händler vertrauen zu können.

Und heute?

In den heutigen Städten geht es um Kapitalanlagen und das Finanzwesen, um Wettbewerb und um hohe Gehälter. Was der eine gewinnt, verliert der andere. Außerdem haben wir uns der Welt geöffnet, was gut sein könnte – aber doch oft bedeutet, dass noch mächtigere Akteure das Spielfeld betreten, mit dem Ziel, alles heraus zu ziehen, was es an Vermögen herauszuholen gibt. Es hat aber auch etwas mit dem Versagen der Politiker zu tun, Erklärungen zu liefern, und eine Politik zu entwickeln, die anspricht, dass die Verarmung der bescheidenen Mittelschicht und der Arbeiterklasse nichts mit den Zugewanderten zu tun hat, sondern mit dieser massiven wirtschaftlichen Umstrukturierung der letzten zwei Jahrzehnte.

Wird die Welt wirklich immer schlechter?

Für viele ist alles viel besser geworden als sie jemals gedacht hätten. Ich spreche hier nicht von den armen Bauern in China, sondern von den erweiterten Luxusräumen in unseren großen Städten. Das Problem, negative Zustände sehen zu können, besteht darin, dass es auch eine sehr starke Verbesserung vieler urbaner Räume gegeben hat. Wohnkomplexe mit Luxuswohnungen, die Reihenhäuser ersetzen, die Ausbreitung von Luxushotels, Luxusläden: Das alles vermittelt ein Gefühl des Wohlstandes, das zur Unsichtbarkeit der Verarmten beiträgt.

Sie sprechen von Ausgrenzungen, um die heutigen sozioökonomischen und umweltbedingten Verlagerungen zu beschreiben.

Ich versuche, damit das extreme Moment in vertrauten Prozessen zu erkennen, wie der Ungleichheit oder dem Vernichten von Land und Wasser. Diese Dinge werden dann begrifflich und statistisch unsichtbar –unser Normalmaß kann es nicht mehr erfassen.

Können Sie das präzisieren?

Ungleicheit hat es immer schon gegeben, nur niemals so extrem

Ungleichheit hat es schon immer gegeben, das ist nicht das Thema, sondern der Moment, wo diese extrem wird. Ähnlich verhält es sich mit der Zerstörung der Umwelt: Die hat es auch schon immer gegeben, aber inzwischen ist sie so drastisch, dass wir totes Land und totes Wasser erzeugen. Mich interessiert auch, wann und wie diese extreme Version des Vertrauten entsteht.

Können Sie uns konkrete Beispiele dafür geben?

Die wirklich Armen in unseren reichen Gesellschaften sind für uns unsichtbar geworden. Sie bewohnen einen extremen Lebensraum, den wir nie besuchen oder gar nicht wahrnehmen. Oder die verarmte Mittelschicht, die in ihren Reihenhäusern wohnt, aber hinter deren Fassaden sich das aufkommende Drama der Verarmung abspielt. Auch das ist für uns unsichtbar. Genauso wenig bekommen wir das tote Land und das tote Wasser zu sehen. Die Sprache über den Klimawandel ist eine fast zu schöne. Wir müssen es endlich beim Namen nennen: totes Land, totes Wasser.