Regional und vegan? Das riecht nach Bullshit

Korrekt Wer auf tierische Produkte verzichtet, kann damit die Umwelt schonen. Doch dabei gibt es einiges zu beachten

Die Universität Illinois hat ausgerechnet: Rund 98 Prozent des weltweit angebauten Sojas werden zur Tierfütterung verwendet. Lediglich 2 Prozent werden zu Lebensmitteln.

Rund drei Viertel der Sojabohnen sind mittlerweile gentechnisch verändert. Vor allem Großbauern nutzen Gen-Soja, weil es sich unkomplizierter anbauen lässt und höhere Erträge bringt.

Aus einem Kilo Sojabohnen lässt sich etwa die doppelte Menge Tofu herstellen. Setzt man die gleiche Menge Soja als Kraftfutter in der Schweinemast ein, kommen dabei gerade einmal 300 Gramm Schweinefleisch heraus.

Von Ansgar Warner

Es gibt viele Gründe, nicht nur auf den Genuss von Fleisch, sondern überhaupt auf tierische Produkte zu verzichten. Umwelt- und Klimaschutz gehören dazu. Denn Nutztierhaltung fördert den Treibhauseffekt, ist energieaufwändig und verbraucht viel Wasser und Fläche. Zugleich war es noch nie so einfach, als kritischer Konsument den tierproduzierenden Sektor zu boykottieren, seit dem vegetarische und vegane Speisen die Regale von Mainstream-Supermärkten erobern.

Doch wer dort zu Fertigprodukten greift, tappt schnell in die nächste Falle der industrialisierten Landwirtschaft: unter den Zutaten von Fleischersatz, Kunstmilch oder Analogkäse lauern böse Ingredienzen von Soja oder Mais aus Monokulturen bis zum berüchtigten Plantagen-Palmöl.

Viele Veganer und Vegetarier seien sich dieser Problematik allerdings bewusst, so Wiebke Unger vom Vegetarierbund Deutschland (VEBU): „Eine vom VEBU gestartete Verbraucherumfrage hat gezeigt, dass Bio- und Naturkostläden die beliebtesten Anlaufstellen für Fleischalternativen sind.“ Dort würden nicht nur zwei Drittel der 4.500 Befragten einkaufen – fast jeder Zweite stimmte auch der Aussage zu: „Alle Fleischalternativen sollten bio sein.“

Diesen Trend haben auch vegane Supermärkte erkannt – von konsequenten Einzelkämpfern wie dem Berliner Vegankollektiv Dr. Pogo bis zum bundesweit agierenden Marktführer Veganz: Nach Angaben des Unternehmens haben mittlerweile fast alle gelisteten Produkte Bio-Qualität, die Quote soll bei mehr als 90 Prozent liegen.

Doch tut es einem auch gut, wenn man Gutes tut? Den von Veganz & Co. geförderten Trend zu hochveredelten Conve­nience-­Nahrungsmitteln sieht man beim VEBU mit gemischten Gefühlen: „Wenig verarbeitete Lebensmittel sind immer gesünder als solche, die stark verarbeitet wurden.“ Fertigprodukte wie Sojawürstchen, Sei­tan­schnitzel oder Tempehburger könnten den Speiseplan zwar gut ergänzen, Hauptbestandteil sollten aber Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte und Vollkorngetreide bleiben.

Auch hier lauern Fallen. Obst oder Gemüse von Demeter-Bauern etwa ist bei vielen Vegetariern äußerst beliebt, viele Veganer haben damit jedoch ein Problem, denn das bio-dynamische Konzept vom Hof als „Organismus“ denkt Schwein, Kuh & Co. immer schon mit.

Vegan zertifiziert sind nichtsdestotrotz mittlerweile selbst Demeter-Fertigprodukte, wie etwa die Fruchtsäfte der niedersächsischen Entsafters Voelkel, Tomatenketchup von Naturata oder Mille-Fleur-Gesichtspflege von Provida. Die Demeter-Winzer dagegen haben die Kennzeichnung des Weins als vegan inzwischen wieder kassiert, denn so ganz authentisch war das Label eben nicht.

„Demeter-Betriebe sind im Öko-Sektor eine Ausnahme, weil sie Tierhaltung von Anfang an verbindlich haben wollten und diese Ansicht auch immer wieder bekräftigt haben“, bestätigt Renée Herrnkind vom Demeter-Verband. Das lasse sich aber auch gut begründen: „Die Bodenfruchtbarkeit ist besonders gut, der im Hofkreislauf aus Mist und bio-dynamischen Präparaten erzeugte Dünger hat eine hervorragende Qualität.“

Traditionelle Ausnahmen bilden nur die sogenannten „Sonderkulturen“, in denen etwa Streuobstwiesen oder Weinberge bewirtschaftet werden – tierische Substanzen nutzt man aber auch dort. „Der Demeter-Verband ist zwar offen für Grundsatzdiskussionen, aber ein Pilotprojekt für tierfreie Landwirtschaft gibt es derzeit nicht“, fasst Herrnkind die aktuelle Situation zusammen.

In Fleischersatz oder Analogkäse lauern Soja oder Mais aus Monokulturen

So wahnsinnig exotisch ist das auch gar nicht. „Die meisten landwirtschaftlichen Betriebe halten Nutztiere oder düngen zumindest ihre Felder mit Gülle oder Stallmist. Die wenigsten Produkte sind also auch durchweg vegan produziert“, sagt selbst der VEBU auf seiner Website.

Im ökologischen Landbau gilt ein Betrieb als „viehlos“, wenn weniger als 0,2 Großvieheinheiten pro Hektar gehalten werden, mit anderen Worten: Ab 5 Hektar wäre eine Kuh erlaubt, ab 10 Hektar wären es zwei Kühe und so weiter. Haar- oder Federmehl zum Beispiel – vulgo: organischen Dünger – darf man auch aufs Feld ausbringen.

Bio-vegane Landwirte muss man bisher vielerorts noch mit der Lupe suchen – kaum ein paar Dutzend komplett vom Sektor der „tierischen Produktion“ entkoppelte Höfe existieren bisher in Deutschland. Ein Ernährungsstil, der zugleich regional und vegan sein möchte, riecht also im wahrsten Sinne oft noch gehörig nach Bullshit.

Auf Dauer, so Wiebke Unger vom VEBU, müsse das aber nicht so bleiben. „Die vegane Lebensweise mit ihrem Anspruch, besonders nachhaltig zu sein, passt sehr gut zum ökologischen Landbau.“ Ohnehin könne eine wirtschaftliche Tierhaltung den Tieren nie ein uneingeschränktes Lebensrecht ermöglichen. Auch deswegen würden die Zahl der Bio-Höfe, die reine Pflanzenbaubetriebe seien, zukünftig weiter zunehmen.