Im Club der verruchten Schlafwandler

THEATER Müßiggang extrem: „Caspar Western Friedrich“ von Philippe Quesne lullt das Publikum der Münchner Kammerspiele ein. David Marton wird gleichenorts für seine Interpretation der Bellini-Oper „La sonnambula“ gefeiert

Na ja, das Bühnenbild von „Caspar Western Friedrich“ sieht eher nach der Inversionswetterlage Föhn aus Foto: Martin Argyroglo

vonAnnette Walter

Zwei Dinge charakterisieren in diesen Tagen die Münchner Kammerspiele: Schlaflosigkeit und Müßiggang. Natürlich nur künstlerisch. Nachdem der in Berlin lebende Österreicher Andreas Spechtl (von der Band Ja, Panik), einer der mit der deutschen Sprache oftmals formidabel umzugehen weiß, die Zuhörer mit seinem Konzeptalbum „Sleep“ im positiven Sinne einlullte, darf David Marton im kleinen Saal „Kammer 3“ Bellinis Opernklassiker „La Sonnambula“ über die Liebeswirren der schlafwandelnden Amina fulminant zerlegen. Der Startschuss des Projekts „Opernhaus der Kammerspiele“ wird begeistert aufgenommen, Gastregisseur Marton mit lautem Applaus und Bravorufen bedacht. Zu Recht.

Wer in dieser Interpretation Bellinis, die Schauspiel und Musiktheater verquickt, Opernarien im klassischen Sinne genießen will, kommt aber nicht auf seine Kosten, wenngleich Ur-Plot und Personal erhalten bleiben: Es ist die Geschichte der Müllerstochter Amina, die vor der Hochzeit mit Elvino der Untreue bezichtigt wird, am Ende doch wieder in die Arme ihres Liebhabers sinkt.

Michael Wilhelmi moderiert das Geschehen und wirft nur so um sich mit Begriffen von Marcel Duchamp. Dessen Gedankengut zitierte Marton schon in früheren Inszenierungen. Leider erzeugen die Zitate zu viel theoretische Effekthascherei um die „Junggesellenmaschine“. Und „Die Braut von ihrem Junggesellen nackt entblößt, sogar“, verwirrt statt zu erhellen. Was dagegen wunderbar funktioniert, wie Marton die tragische Geschichte mal poetisch, mal überdreht inszeniert und so eine kurzweilige Antithese zum Perfektionismus der Opernwelt erschafft.

Statt Orchester gibt es Flügel, Cembalo, Trompete, Plattenspieler, Spielautomat und ein paar Synthesizer. Maria Callas erklingt als gefeierte Amina-Interpretin auf Vinyl, zu deren Klang sich Hassan Akkouchs Elvino in einer Schlüsselszene vor Begehren verzehrt: Mit nacktem Oberkörper liebkost er den Plattenspieler, als wolle er sich mit der Musik vereinigen.

Screwball-Einlagen

Yuka Yanagihara, die einzige klassische Sopranistin in dieser Inszenierung, singt als Amina gegen Jelena Kuljić’großartige jazzig-verruchte Bardame Lisa an, die ebenfalls ein Auge auf Elvino geworfen hat, und wird immer wieder von Wilhelmis anarchischen Tastenspielereien oder den Screwball-Komödien-Einlage des Jazztrompeters Paul Brody, dessen Rodolfo Amina zum Betrug verlockt haben soll, torpediert. Martons Stück funktioniert, weil Timing und musikalische Spielfreude seines sechsköpfigen Ensembles großartig sind. Um so mehr ist man auf den „Sleepwalker’s Improvisation Club“ derselben Truppe gespannt, der demnächst nach Mitternacht erstmals in den Kammerspielen gastiert.

Zur anderen Premiere: „Caspar Western Friedrich“. Der Franzose Philippe Quesne, bekannt für seine Theaterinstallationen, verknüpft Westernklischees (Stetson-Hüte, Lagerfeuer, Countrysongs wie „My rifle, my pony and me“) und Ölschinken des romantischen Malers Caspar David Friedrich zu einem Work-in-Progress-Experiment. Viel mehr gibt der Plot nicht her, denn nach seiner Philosophie sollen sich die Schauspieler den theatralen Raum im Laufe des Abends selbst erschließen. Das geschieht lähmend langsam, etwa beim Herumgewurstel des Ensembles im baustellenartigen Bühnenbild: karge Holzwände, Leitern, zwei riesige Fenster, hinter denen sich der Horizont öffnet, davor Styroporfelsbrocken.

Wenn die Cowboys Nebel aus der ­Maschine pusten, regieren subversive Sinn- und Ziel­losigkeit

Vier Cowboys und ein Cowgirl (Stefan Merki, Franz Rogowski, Peter Brombacher, Johan Leysen und Julia Riedler) streichen und zimmern ein „Caspar Western Friedrich Museum“. In dem dann die Schauspieler das Gemälde „Wanderer vor dem Nebel­meer“ nachstellen: Peter Brombacher postiert sich vor der textilen Fototapete und improvisiert eine Anekdote: eine Reise zur Schneekoppe, nach Krakau und ins Hauptmann’sche Agnetendorf. Selbst ausgedacht, selbst erlebt. Nicht mal die Dramaturgie weiß vorher, was er oder Rogowski lispelnd in einer vorherigen Szene so schwatzen. Der Plauderton dominiert das Stück, ab und an unterbrochen von einem Eichendorff-Gedicht oder einem Brief Caspar David Friedrichs. Und am Ende singen alle wieder am Lagerfeuer.

Kritik am Spektakel

Vermutlich sitzt man einem Irrtum auf, wenn man in ­Quesnes Theater, dem Intendanten des renommierten Theaters in Nanterre, einen Entertainment-Knaller und emotional berührende Schauspielkunst erwartet. Von Gerhard Polt – dessen „Ekzem Homo“ übrigens weiterhin der Publikumsrenner an den Kammerspielen ist – gibt es ein schönes Bonmot: „Ich sinnlose vor mich hin, und das mit Begeisterung.“ Das passt auch zum „Caspar Western Friedrich“-Abend: Obwohl vordergründig wenig passiert, lässt sich diese dahinplätschernde Inszenierung als subtile Kritik an einer Gesellschaft interpretieren, die nach Spektakel und 24-Stunden-Dauerberieselung giert. Hier regieren Sinn- und Ziellosigkeit, dürfen die Cowboys Nebel aus der Maschine pusten, wenn ihnen danach ist. Und das ist dann doch irgendwie subversiv.