Totalverweigerer total frei

Weil er weder die Waffe zur Hand nehmen wollte, noch Ersatzdienst als Zivi leisten wollte, wurde jetzt ein 34-jähriger Bootsbauer zu einer Bewährungsstrafe wegen Dienstflucht verurteilt

von Volker Stahl

13 Jahre hatte Andreas Wieckhorst dafür gekämpft, aus Gewissensgründen weder den Wehrdienst, noch als Zivi den Wehrersatzdienst absolvieren zu müssen. Schlug sich mit Gerichten herum und versteckte sich sechs Jahre bei Freunden, um dem Gefängnis zu entgehen. Jetzt zahlte sich seine Zähigkeit aus: Das Landgericht Stralsund verurteilte den Kieler Totalverweigerer in der vergangenen Woche wegen Dienstflucht zu einer Bewährungsstrafe von acht Monaten und 150 Stunden gemeinnütziger Arbeit. Vor einer erneuten Einberufung braucht sich der 34-Jährige nicht mehr sorgen, da dies nur bis zum 32. Lebensjahr möglich ist.„Mir sind große Brocken von der Seele gefallen, weil die Sache nun endgültig vorbei ist“, sagt Wieckhorst. Revision werde er nicht beantragen.

Wieckhorsts Geschichte beginnt 1992 mit der Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer. Ein Jahr später lehnt der Schiffbaustudent an der Fachhochschule Kiel auch den zivilen Ersatzdienst als „Zwangsdienst“ ab. Seine Begründung: Der Dienst sei Bestandteil des Gesamtverteidigungskonzepts. Im Verteidigungsfall können auch Kriegsdienstverweigerer zu einem „unbefristeten Zivildienst“ einberufen werden – Einsatz als Minenentschärfer hinter der Front nicht ausgeschlossen.

Drei Mal wird Wieckhorst in den folgenden Jahren einberufen, drei Mal verweigert er sich. In einem ersten Verfahren verurteilt das Hamburger Landgericht ihn im August 1995 wegen Dienstflucht – strafbar nach Paragraf 53 des Zivildienstgesetzes – zu einer Haftstrafe von sechs Monaten ohne Bewährung. Doch Wieckhorst versteckt sich bis 2001 bei Freunden – bis die Strafe verjährt war. Trotz der widrigen Umstände schafft er es, eine Lehre als Bootsbauer abzuschließen.

Verurteilt wird er dennoch ein zweites Mal, im April 2003 zu zwölf Monaten auf Bewährung, weil er noch einer vierten Einberufung Ende 1998 nicht Folge geleistet hatte. Als „Frechheit“ bezeichnete Wieckhorsts Verteidigerin Gabriele Heinecke die zweifache Verurteilung, obwohl das Grundgesetz die Doppelbestrafung verbietet. Möglich sei dies nur gewesen, weil ihm im ersten Verfahren die Gewissensentscheidung abgesprochen worden war.

Dennoch ist Wieckhorst relativ glimpflich davon gekommen. Zu Beginn der 80er Jahre seien Totalverweigerer zu teils drakonischen Haftstrafen von deutlich über einem Jahr ohne Bewährung verurteilt worden, sagt Ralf Siemes von der Berliner Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär. Heute würden meist Bewährungsstrafen von einigen Monaten ausgesprochen, so Siemes. Freiheitsstrafen hingegen seien der Kampagne seit Jahren nicht mehr bekannt geworden. „Die Gerichte sind wohl nicht mehr der Auffassung, dass Verweigerungen in der Phase des Ausstiegs aus der Wehrpflicht mit Gefängnis zu sanktionieren sind.“

Siemes vermutet, dass es immer weniger Totalverweigerer gibt. Der Grund: Viele Männer eines Jahrgangs werden gar nicht eingezogen, weil es wegen der schrumpfenden Heeresgröße keine Verwendung für sie gibt. Siemes spricht von einer Ausmusterungsquote von 40 Prozent. „Wir kennen einige Fälle, wo totale Kriegsdienstverweigerer nicht einberufen worden sind“, sagt Siemes. Diese Entwicklung führe zur einer Entpolitisierung der Kriegsdienstverweigerer in ihrer Haltung zur allgemeinen Wehrpflicht, beklagt Siemes. „Eine starke Vernetzung wie früher, den regen Austausch von Informationen gibt es nicht mehr.“

Der Fall Wieckhorst stellt für Peter Tobiassen von der Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen die Wehrgerechtigkeit in Frage: „Wenn heute jemand wegen einer Zahnspange den Dienst nicht leisten muss, ein anderer aber wegen einer Gewissensentscheidung gegen den Dienst zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wird, zeigt das die Absurdität der Wehrpflichtsituation in Deutschland.“