Kunst im Blogformat

AUSSTELLUNG Das ehemalige Kreuzberger Wohnzimmerprojekt „Future Gallery“ ist nun wiedereröffnet. In einem Showroom am Schöneberger Ufer zeigt es mit „Grand New“ Arbeiten, die das Virtuelle ins Reale zurückholen

„Wir konsumieren Leben“, erklärt der Ägypter Kareem Lotfy Foto: Future Gallery

von Natalie Mayroth

Die weißen Räume mit Stuckdecken sind von Neonröhren bis auf den letzten Zentimeter ausgeleuchtet. Auf zwei Etagen sind 170 Quadratmeter Ausstellungsfläche durch eine kleine Treppe, die in den Keller führt, verbunden. Das ist die „Future Gallery“. Begonnen hat sie vor acht Jahren in einem Kreuzberger Wohnzimmer. Von Freitagnachmittag bis Sonntagabend luden Michael Ruiz und Anne Betting ein. Sie zeigten Arbeiten von Freunden. Damals wie heute sind sie dem Zeitgeist einer Generation auf der Spur, die in ihrer Teenagerphase massiv von neuen Technologien, dem Internet und sozialen Medien geprägt wurde. Über drei Jahre hielt sich das Wohnzimmerprojekt, bis 2012 dann eine Galerie daraus entstand.

Die letzten Jahre teilte sich Ruiz eine Fläche mit der Plattform „Import Projects“. „Grand New“, so der Titel der Wiedereröffnung, leitet ein neues Kapitel ein. Der Traum, in Zukunft einmal eine Galerie zu sein, woher sich der Name ableitet, ist für den Meisterschüler der Universität der Künste (UdK) wahr geworden. Die erste Ausstellung am Schöneberger Ufer zeigt Positionen von zehn Künstlerinnen aus neun Ländern. Auch wenn keiner von ihnen aus Deutschland kommt, ist Berlin Dreh- und Anlaufort für sie.

Dreidimensionale Bilder

Was sie noch gemein haben, ist, dass sie über Kunstblogs wie „Nasty Nets“ (2012 eingestellt) oder „Rhizome“ bekannt wurden. „Auf was wir zusteuern, ist ein digitaler Paradigmenwechsel“, sagt Ruiz, ein Texaner mit mexikanischen Wurzeln. „Was wir zeigen, würde ich nicht als Postinternet bezeichnen, weil es nur einen Teil der Ästhetik aufgreift. Bei Postinternet wird starker Bezug auf Werbung genommen, doch das ist nicht genug, um es als eigene Kunstrichtung zu deklarieren.“ Diese Ästhetik visualisiert Kareem Lotfy in zwei hyperrealistischen 3-D-Bildern. „Wir konsumieren Leben“, sagt der Ägypter. Er verarbeitet, was ihn nährt: französischen HipHop, Internetphänomene, Konsolenspiele und Werbung – sei es von einer Fluggesellschaft oder aus dem Alltag gegriffen. Der erste Druck zeigt ein menschliches Herz, das aus einem AC-Mailand-Fußballtrikot geformt ist, in einer verwüsteten Landschaft in Libyen. Ihm gegenüber stellt er einen weiteren Print mit einer Anonymous-Maske. Sie ist mit pixeligen arabischem Grafikdesign unterlegt und schwebt über der Eislandschaft Islands – eines Landes, das als Serverstandort bekannt ist. Die Vokabeln Herz und Maske sind Symbole, die in seinen Arbeiten wiederkehren.

Im Keller des Gemäuers hingegen läuft auf einem Rückprojektionsfernseher der Elfminüter „Neon Parallel 1996“ von Jon Rafman. Das Ansehen hinterlässt ein nostalgisches Unbehagen. Man fühlt sich zeitlich an die Anfänge des Internets zurückversetzt. Der Film beginnt mit dem Chat zwischen „spıder“ und „ang3el“, es werden ferne und virtuelle Orte wie Hongkong, Neobyzantium oder eine Cybertech-Messe gezeigt. Rafman spielt mit der Ästhetik von Virtual Reality, wie sie in den Neunzigern beliebt war. Übergroße virtuelle Brillen und Verkabelungen erinnern an Stephen Kings „Der Rasenmähermann“. Ein dystopischer Science-­Fiction, der von Jobe erzählt, der versucht, sich in den Cyberspace zu laden.

Sie sind einer Generation auf der Spur, die vom Internet massiv geprägt wurde

„An der UdK interessierte sich mein Professor mehr für meinen Projektraum als für meine Kunst“, sagt Ruiz. Darauf hat er sich fokussiert. Einen ehemaligen Studienkollegen stellt er auch aus: Martin Kohout. Der Tscheche ist mit zwei käfigartigen Holzobjekten vertreten, die mit Briefmarken verziert sind: oben bunte Schmetterlinge, unten dicke Käfer, die mal aus Äquatorialguinea, mal aus der Mongolei oder Jugoslawien stammen. Briefmarken hat er nie gesammelt, doch ihn fasziniert auf naive Art, wie sich Kommunikation verändert: wie Marken, die kaum noch präsent sind, außer in Sammelbörsen auf Ebay. Aus Ländern, die es zum Teil nicht mehr gibt, als exotisches (Post-)Wertzeichen nach außen getragen.

Der Österreicher Oliver Laric mimt einen „Kupferstich“ mit vier Ansichten des Kriegsgottes Mars nach. Doch hergestellt wurde die Arbeit nach 3-D-Scans, die elektronisch in das Metall gepresst worden sind. „Ihr Studio ist der Laptop“, sagt Ruiz. Von digitalen Prints zu Plastiken ist Computertechnologie in der Herstellung im Spiel.

„Grand New“ holt das Virtuelle ins Reale zurück in einem Arrangement, das ein ­(Tumblr-)Blogformat imitiert: Ein römischer Gott steht einem Weltumriss aus Plexiglas gegenüber, eine Anonymous-Maske einem Käfig mit Briefmarken – Konstellationen, die man an der Oberfläche des Internets erwartet, aber nicht unbedingt in einer Galerie nahe dem Potsdamer Platz.

Bis 2. April, Future Gallery, Schöneberger Ufer 59, Do.– Sa. 13–17 Uhr sowie nach Absprache