Verschiebung der Verbotszone

Daily Dope (709) Neben der Tennis-Diva Maria Scharapowa sind in diesem Jahr bereits etliche Leistungssportler aufgefallen, die ihre Herzprobleme mit einem Mittel therapieren, das neu und scheinbar weitgehend unbemerkt auf der Verbotsliste steht

Hat Probleme mit dem Herz: Maria Scharapowa Foto: dpa

Mit Herzrhythmusstörungen und Anzeichen von Diabetes begründete Maria Scharapowa die Einnahme des Medikaments Meldonium. Seit 2006 behelfe sie sich schon mit diesem Mittel, bekannte die russische Tennisspielerin erstaunlich offenherzig am Montag. Bei den Aus­tralian Open im Januar wurde ihr die Einnahme der Substanz nachgewiesen.

Vielleicht verbarg Scharapowa Details aus ihrer langjährigen Krankenakte nicht, weil sie wusste, dass in diesem Jahr etliche Leistungssportler aufgeflogen sind, die ihre Herzprobleme mit Meldonium bekämpfen. Die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) hat das Medikament nämlich erst am 1. Januar 2016 auf ihre Verbotsliste gesetzt. Viele scheinen davon gar nichts mitbekommen zu haben. Zu den in diesem Jahr ertappten Konsumenten zählen etwa die russische Eistanz-Europameisterin Jekaterina Bobrowa, der ukrainische Biathlet Artem Tysch­tschenko, der russische Radprofi Eduard Worganow, der Äthiopier Endeshaw Negesse, der zuletzt den Tokio-Marathon gewann, und einige Ringer des kürzlich frisch gekürten deutschen Meisters ASV Nendingen.

Professor Mario Thevis von der Deutschen Sporthochschule sagt: „Bei Sportlern führt Meldonium zu einer allgemeinen Leistungssteigerung, die Erholungsphase wird verkürzt und die Motivation gesteigert.“ Vertrieben wird die Substanz als Medikament unter dem Namen Mildronate von einer lettischen Firma in den baltischen Staaten und Russland. Es soll die Durchblutung fördern und somit als Medikament für Angina Pectoris und Herzerkrankungen geeignet sein.

Warum aber wurde diese Arznei nicht schon viel früher Bestandteil der Wada-Dopingverbotsliste?

Der Leiter des Dopingkontrolllabors in Kreischa Detlef Thieme spricht von einer „Lifestyle-Droge“, die von Sportlern prophylaktisch genommen werde und deren Wirkung eigentlich fragwürdig sei. Die Wada habe sich jetzt für ein Verbot entschieden, weil sie in den letzten Jahren die vermehrte Einnahme von Meldonium durch Athleten beobachtet habe. Laut einer russischen Studie von 2015 fanden Moskauer Forscher in 724 von 4.316 Urinproben Meldonium.

Allerdings stellten Wissenschaftler bereits bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen fest, dass vor allem Sportler aus den ehemaligen Staaten der Sow­jetunion bevorzugt auf Meldonium zurückgriffen. In Deutschland und vielen anderen westeuropäischen Ländern ist das Medikament gar nicht zugelassen.

Mit der divenhaften Scharapowa, die stets exorbitante Werbeverträge an Land zu ziehen wusste, gerät ein bislang eher unterbelichtetes Problem der Leistungssportszene in den Blickpunkt: Auch im Bereich des Erlaubten wird schon seit vielen Jahren mit leistungssteigernden chemischen Substanzen experimentiert. Legales Tuning ist an der Tagesordnung. Bestraft werden nur diejenigen, welche von der Verschiebung der Verbotszone nichts mitbekommen.

Maria Scharapowa ist nach Angaben des Tennisweltverbandes ITF vom 12. März an vorläufig gesperrt. Die Spielerinnenorganisation WTA teilte mit, das Gremium des Tennis-Anti-Doping-Programms entscheide über den Fall. Werbepartner wie Nike und Porsche kündigten bereits an, die Zusammenarbeit mit der Tennisspielerin auszusetzen. Aus ihrem Heimatland erfährt sie indes starke Unterstützung. „Das ist alles Blödsinn. Ich denke, dass Scharapowa bei den Olympischen Spielen in Rio spielt“, sagte der russische Verbandspräsident Schamil Tarpischtschew der Agentur Tass. Der russische Sportminister Witali Mutko erklärte: „Die Trainer, Ärzte, Physiotherapeuten und Verbandsmitarbeiter müssen dafür die Verantwortung übernehmen.“ Sie hätten die Informationen nicht an die Sportlerin weitergegeben.

Legales Tuning mit Chemie ist im Leistungssport an der Tagesordnung

Ob bei Scharapowa tatsächlich mildernde Umstände geltend gemacht werden? Angesichts der Häufung der bis vor Kurzem sich noch legal therapierenden Herzpatienten aus dem Leistungssportbereich ist dieses Szenario gar nicht einmal so unwahrscheinlich.

Johannes Kopp