Die eigene Truppe im Stich gelassen

Nigeria Ein Korruptionsprozess soll aufdecken, warum die Armee gegen Boko Haram so schwach ist

Überraschte Soldaten in Yola: Auf dem Polizeigelände explodiert eine erbeutete Boko-Haram-Bombe Foto: ap

Von Katrin Gänsler

COTONOU taz | In Nigeria wird es ernst für Alex Badeh. Der ehemalige Generalstabschef muss sich ab Donnerstag vor Gericht verantworten. Er soll rund 18 Mil­lionen Euro veruntreut haben. Mit der Summe sollte die islamistische Terrormiliz Boko Haram bekämpft werden. Doch statt die Streitkräfte besser mit Waffen und Munition auszustatten, zahlte Badeh zumindest einen Teil des Geldes, so die Anklage, auf das Bankkonto einer Firma, die in Nigerias Hauptstadt Abuja ein Einkaufs­zentrum bauen ließ.

Shoppingmalls werden gerade überall in Abuja gebaut, nicht nur um den steigenden Mittelklassekonsum zu befrie­digen; sie dienen auch der Geld­wäsche. Badeh soll zudem in eine Luxusvilla investiert haben, wirft ihm die Antikorruptionskommission (EFCC) vor, die lange als ziemlich träge galt. Seit einigen Monaten sorgen ihre Voruntersuchungen für überraschende Verhaftungen. Das hilft dem Image Muhammadu Buharis, der vor knapp einem Jahr zum Präsidenten gewählt wurde. Der 73-Jährige stellt sich stets als unbeirrbarer Kämpfer gegen die Korruption dar.

Der in Haft sitzende Badeh bestreitet, was man ihm vorwirft. Erhärten sich der Verdacht, könnte das beweisen, was seit Jahren in Nigeria gesagt wird: Für den Antiterrorkampf vorgesehene Gelder verschwinden. Soldaten mangelt es an Ausrüstung und Ausbildung. Im August 2014 protestierten sogar Soldatenfrauen in Maiduguri, Nigerias Terrorhochburg im Nordosten des Landes. Dabei floss damals noch offiziell jeder fünfte Naira des Staatshaushalts in die Verteidigung.

2014 war genau die Zeit, in der Boko Haram immer mehr Gemeinden im Nordosten eroberte und dort die schwarze Flagge hisste. Die Armee schwächelte, „und Boko Haram hat das ausgenutzt“, sagt Mausi Segun, Nigeria-Expertin von Human Rights Watch (HRW). Generalstabschef Badeh schaute dem Debakel zu, was wiederum riesige Flüchtlingsströme in Gang setzte. Noch immer leben im Nordosten Nigerias rund zwei Millionen Menschen aus Angst vor Terror nicht in ihren Heimatorten. 219 Schulmädchen, die Boko Haram in der Nacht zum 15. April 2014 aus ihrem Internat im Ort Chibok entführte, blieben verschwunden.

Rüstungsetatgelder flossen angeblich in Shoppingmalls und Luxusvillen

Badeh wurde im Januar 2014 von dem damaligen Präsidenten Goodluck Jonathan eingesetzt und Ende Juli 2015 von dessen Nachfolger Buhari entlassen. Eine gute Figur gab er nie ab. Sechs Wochen nach der Entführung der Schülerinnen von Chibok sagte er: „Wir wissen, wo die Mädchen sind, wollen sie jedoch nicht mit Gewalt befreien.“ Damit erntete er doppelte Kritik: Einerseits, so hieß es, sei es dämlich, eine Terrorgruppe wissen zu lassen, dass ihr Versteck bekannt sei. Als noch schlimmer galt allerdings, dass die Armee daraufhin nichts unternahm. Im Oktober 2014 kündigte Badeh auch einen mysteriösen Waffenstillstand mit Boko Haram an, von dem die Miliz offenbar aber nie gehört hatte.

Die Islamistengruppe gilt heute zwar als geschwächt, aber längst nicht als besiegt. Auch wenn die Zahl der Anschläge in den vergangenen Wochen abgenommen hat, versetzt Boko Haram vor allem Dörfer rund um den Sambisa-Wald an der Grenze zu Kamerun in Angst und Schrecken. Deshalb fordert auch Mausi Segun, dass in den betroffenen Regionen für Sicherheit gesorgt werden müsse. „Das ist ein Grundbedürfnis.“ Ist dieses nicht erfüllt, dann sind auch weitere Aufbauarbeiten, etwa die Verbesserung der Infrastruktur, kaum sinnvoll. „Wenn beispielsweise jetzt Schulen gebaut werden, dann kommt Boko Haram ganz schnell und brennt sie wieder nieder.“