Mit den Ohren lesen

Blind Scanner, Apps und Hörbücher: Jörg Bechtold lebt ohne Blindenschrift

Im Bücherregal von Jörg Bechtold stehen Fachliteratur und politische Pamphlete. Mit den Augen erfassen kann der 35-Jährige diese Bücher nicht mehr; seit seiner Geburt hat er eine Netzhaut-Erkrankung. Seit seiner Jugend ist er blind. Doch lesen kann er trotzdem, mit den Ohren.

„Lesen ist für mich hören und hören ist lesen. Während des Abis konnte ich noch genug sehen, um mit den Augen zu lesen. Das ging dann irgendwann nicht mehr. Ich habe nur noch sehr kleine Ausschnitte erkannt. Doch ich habe mich damals bewusst gegen das Erlernen der Blindenschrift entschieden. Es gibt ja viele Alternativen: Scanner, die gedruckte Texte digitalisieren und Programme, die sie vorlesen, sprechende Handys sowieso. Auch beim Einkaufen geht es ohne Blindenschrift: Es gibt da auch eine App, mit der man den Strich-Code einscannen kann. Die sagt einem dann, was man für ein Produkt vor sich hat und auch welche Inhaltsstoffe drin sind.

Das Lesen mit den Augen habe ich schon früher nur zum Lernen benutzt. Schon bevor ich ganz blind wurde, war es mir zu mühsam, Romane zu lesen. Ich habe damals schon lieber Hörbücher gehört. Klar, es gibt natürlich auch blinde Menschen, die auf Blindenschrift schwören. Der Nachteil von Blindenschrift ist aber, dass man dann riesige Kartons in der Wohnung stehen hat. So ein dicker Roman füllt in der Übersetzung dann schon mal fünf Kartons.

Problematisch sind für blinde Menschen Webseiten, die nicht barrierefrei sind. Gerade bei Homepages von Boulevard-Zeitungen ist das oft so, wenn dauernd irgendwo Werbung aufploppt, dann irritiert das die Sprachausgabe. Als Behindertenbeauftragter der Linkspartei setze ich mich dafür ein, dass auch online Barrieren abgebaut werden.“

Protokoll:Anselm Schindler