Menschenrechte in Indonesien: Zunehmende Intoleranz

Islamisten überfallen ein Frauenfestival, die Polizei schikaniert die Betroffenen. Die Repression gegenüber Andersdenkenden nimmt zu.

Menschen auf einem Motorrad, dahinter ein Schild „Lesben und Schwulen ist der Zutritt zu unserer Nachbarschaft verboten“

„Lesben und Schwulen ist der Zutritt zu unserer Nachbarschaft verboten“ heißt es auf dem Schild Foto: reuters

Wochenlang hatten die AktivistInnen verschiedener feministischer Netzwerke die Veranstaltung vorbereitet. Zwei Tage lang sollte sich im alternativen Kulturzentrum „Survive Garage“ in Yogyakarta alles um Frauenrechte drehen. LADY FAST nannten die OrganisatorInnen das Festival, bestehend unter anderem aus einer Ausstellung von Kunstwerken zu weiblicher Identität, Workshops zur Geschlechtergerechtigkeit, Kampf gegen sexuelle Gewalt sowie Ständen mit Fanzines und Badges feministischer Organisationen.

Schon seit Mittag drängten sich lokale und ausländische BesucherInnen im Kunstzentrum. Die Stimmung war gut, Gäste und Veranstalter überwältigt von der großen Resonanz: Sie hatten mit etwa 50 Besuchern gerechnet, gekommen waren rund viermal so viel. Den Abschluss des Abends bildete ein Konzert verschiedener Bands, eine bunte Mischung aus Rock, Punk und Folk. Naturgemäß ging es dabei etwas lauter zu, die Tanzfläche war randvoll mit jungen Menschen, die ausgelassen Pogo tanzten.

Gerade als es etwas ruhiger wurde und die letzte Band des Abends begann, ihre Gitarren zu stimmen, erklang auf einmal lautes Stimmengewirr vor dem Tor zum Hof des Kulturzentrums. Etwa 20 Männer mit islamischen Gebetskappen und Bärten forderten, die Veranstaltung solle sofort beendet werden. Fast gleichzeitig tauchte ein Polizist in Zivil auf, der den Veranstaltern mit sanften Worten, aber unmissverständlich das Gleiche nahelegte. Die Islamisten bekräftigten ihre Forderung mit der Drohung, dass sie, würde die Veranstaltung fortgesetzt, mit 500 ihrer Anhänger zurückkämen.

Das Schema ist bekannt. Immer wieder kommt es in Indonesien zur Auflösung kritischer Veranstaltungen, zum Beispiel zu den Themen Aufarbeitung der Diktaturvergangenheit, staatliche und häusliche Gewalt, Rechte von Minderheiten, Geschlechtergerechtigkeit, Landkonflikte. Themen also, die sowohl den Islamisten als auch den staatlichen Ordnungshütern ein Dorn im Auge sind. Es ist auch bekannt, dass Polizei und Islamisten eng zusammenarbeiten. Kommt es zur Bedrohung von AktivistInnen, nehmen die Ordnungshüter nicht etwa die Angreifer fest, sondern verweisen darauf, dass sie für die Sicherheit der Veranstalter nicht garantieren können, wenn diese ihre Aktivitäten nicht einstellen. Seit 2015 wurden nach Angaben der indonesischen Menschenrechtskommission (Komnas HAM) 19 Kulturveranstaltungen auf diese Weise verboten.

Polizei filmt die Frauen

Während sich am Samstagabend im Kulturzentrum „Survive“ in Yogyakarta die Veranstalter noch mit der Polizei besprechen, erschallen immer wieder die „Allah ist groß“-Rufe des fanatischen Mobs. Immer wieder müssen sich vor allem die anwesenden Frauen Hetz-Kommentare der Islamisten anhören. Einige der Gäste lassen sich provozieren, es gibt erste Rangeleien, dann feuert ein Polizist einen Schuss in die Luft – unmittelbar neben einer schwangeren Frau und einem Kleinkind. Völlig verstörte und weinende Kinder ziehen sich mit ihren Müttern in die Innenräume des Kulturzentrums zurück, die der Veranstalter schließlich zur Sicherheit abschließt.

Später erscheint etwa ein Dutzend Polizisten vor der Tür, die darauf bestehen, dass die Tür aufgebrochen wird. Angeblich geht es darum, die Frauen und Kinder vor dem fundamentalistischen Mob, der das Haus aufbrechen und anzünden will, in Sicherheit zu bringen. Doch nachdem die Tür schließlich mit einem Knall aus dem Schloss fällt, beginnen die Beamten, die Anwesenden im Haus zu fotografieren und zu filmen sowie das Haus zu durchsuchen. Verängstigte Kinder klammern sich an ihre Mütter. Ein Staatsdiener mit schusssicherer Weste fordert alle auf, das Haus zu verlassen. Ein anderer, dem ein Gewehr locker über der Schulter baumelt, zieht die Frauen am Arm.

In den letzten Jahren sehen sich VertreterInnen von Minderheiten und kritische AktivistInnen zunehmendem Druck sowohl fanatischer Gruppen als auch der Polizei ausgesetzt

Zunächst versuchen die Frauen und Kinder, im Haus zu bleiben, und setzen sich verbal zur Wehr. Sie fragen, warum sie gefilmt werden und nicht die Fanatiker draußen, die Unschuldige bedrohen. Sie fragen nach dem Durchsuchungsbefehl der Polizisten. Einer von ihnen gibt achselzuckend zur Antwort, dass eine formale Prozedur zu lange dauern würde und er die Frauen und Kinder schnell in Sicherheit bringen wolle.

Alle noch im Haus Befindlichen werden schließlich nach draußen eskortiert, nachdem sie mehrfach von den Polizisten gesagt bekommen, sie sollen ihren Kopf verhüllen – ein „Ratschlag“, dem sie nicht Folge leisten. Vor dem Kulturzentrum stehen Dutzende Schaulustige, die zusehen, wie die Polizei die Gruppe in Richtung ihres Autos schiebt. Angeblich wollen sie die Veranstaltungsgäste nach Hause fahren. Drei Frauen und zwei Kinder weigern sich einzusteigen und können gehen. Andere haben weniger Glück: Sie verbringen den Rest des Abend auf der Polizeiwache und müssen detailliert Auskunft über das Kulturfestival geben.

Selbst ernannte Ordnungshüter

Wenige Stunden nach dem Übergriff der Islamisten kursieren bereits deren eigene Videos im Internet, in denen die selbst ernannten Ordnungshüter den Müll des Kulturzentrums durchsuchen. Eine leere Weinflasche, mehrere Plastikflaschen, die selbst gemachten Wein enthalten hatten – aber auch eine Flasche alkoholfreies Bier dienen als Beweisstück für die „Zerstörung der jungen Generation“. Genau das werfen die Islamisten den Künstlerinnen und Künstlern vor. Als weiteres Beweisstück dient ein Magazin, in dem es um die Rechte von LGBT geht, Seite für Seite wird in die Kamera gehalten und am Ende lautet das Fazit, das mit solchen Medien dazu aufgerufen wird, dass Menschen gleichgeschlechtliche Beziehungen führen. „Wir werden diese Beweisstücke der Polizei übergeben“, verkündet der Anführer des Mobs stolz und direkt darauf erschallt ein vielstimmiges „Allah ist groß“.

Dass die Polizei selbst eine Arbeitsteilung mit den Fundamentalisten eingeht, beweisen auch die Statements, die später in indonesischen Medien über die Ereignisse des Abends zu lesen sind. Der im Amtsbezirk des Geschehens zuständige Polizeichef sagt wörtlich, die „Kollegen“ des Forums der islamischen Gemeinschaft (FUI) und der Front des Islamischen Kampfes (Front Jihad Islam) seien zeitgleich mit der Polizei erschienen, um „nicht erwünschte Dinge zu verhindern“.

Das Geschehen vom Samstagabend ist kein Einzelfall. In den letzten Jahren sehen sich Vertreter von Minderheiten und kritische AktivistInnen zunehmendem Druck sowohl fanatischer Gruppen als auch der staatlichen Ordnungshüter ausgesetzt. Seit einigen Wochen läuft beispielsweise eine massive und zum Teil gewalttätige Kampagne gegen Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle (LGBT) in Indonesien.

Tabu Völkermord

Der Grund für die zunehmende Intoleranz und Gewalt gegen Andersdenkende und „Anderslebende“ liegt nicht nur in der oft beklagten massiven Missionsarbeit, die wahhabitische Prediger in Indonesien seit einigen Jahren verstärkt leisten. Dass diese auf so fruchtbaren Boden fällt, liegt vor allem an der noch immer kaum aufgearbeiteten Diktaturzeit in der postkolonialen Phase des jungen Nationalstaats. Das antikommunistisch-nationalistische Regime General Suhartos (1966–1998) ließ Hunderttausende von Oppositionellen von Militärs und Milizen umbringen, aber auch Angehörige ethnischer Minderheiten, darunter viele, die chinesischstämmig waren oder dafür gehalten wurden. Der Völkermord ist bis heute in Indonesien weitgehend tabuisiert, die Verantwortlichen wurden juristisch nie belangt.

Inzwischen wächst in Indonesien aber auch die Bewegung gegen die Willkür im Namen von Staat und Religion. Nach dem Angriff auf das „LADY FAST“-Festival lud ein breites Bündnis aus zivilgesellschaftlichen Organisationen unter dem Namen „Solidaritätsforum für ein friedliches Yogyakarta“ zu einer Pressekonferenz, bei der das Vorgehen der Polizei scharf kritisiert wurde. Zugleich meldete sich auf nationaler Ebene Indonesiens Menschenrechtskommission. In einem Protestbrief an den Präsidenten, Joko Widodo, kritisiert Komnas HAM die zahlreichen Verbote kultureller Veranstaltungen in den letzten Monaten und die Rolle, die die Polizei dabei spielt. Die Kommission kündigte an, zeitnah ein Gespräch mit Indonesiens Polizeichef führen zu wollen.

Infolgedessen gelobte Luhut Panjaitan, Indonesiens Koordinierender Minister für Politik, Recht und Sicherheit, Besserung. Die Regierung werde sich darum kümmern, dass ein „derartiges Auflösen von Veranstaltungen“ nicht mehr geschähe. Er verwies auch auf das konstitutionelle Recht, Veranstaltungen „auch zum Thema Kommunismus“ abzuhalten. Allerdings versah es der Minister sofort mit einer Einschränkung: Die Veranstaltungsfreiheit gelte nur, solange „die kommunistische Ideologie“ nicht in Indonesien verbreitet werde. Dies wurde im Zuge der Machtergreifung von Suharto 1966 verboten – und ist es bis heute.

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