Eltern der entführten Mädchen versammeln sich in Chibok – unter Militärschutz Foto: Katrin Gänsler

Im Dorf der verschwundenen Kinder

NIGERIA Zwei Jahre nach der Entführung Hunderter Schulmädchen durch Boko Haram wollen ihre Familien nicht aufgeben. taz-Reportage aus dem Entführungsort Chibok

BERLIN taz | Sie sind ein Symbol des islamistischen Terrors in Afrika: die weit über 200 Kinder aus Nigeria, die vor zwei Jahren in der Nacht vom 14. auf den 15. April von der islamistischen Miliz Boko Haram aus ihrem Internat im Dorf Chibok entführt wurden – und die bis heute spurlos verschwunden sind.

„Bring Back Our Girls“ lautet die Protestparole der verzweifelten Eltern und Angehörigen. Sie hat ein weltweites Echo gefunden. In Nigeria trug sie vergangenes Jahr zur Wahlniederlage des damals amtierenden Präsidenten und damit zum ersten friedlichen demokratischen Machtwechsel in der Geschichte des Landes bei. In der Welt steht Chibok für die Grausamkeit von Boko Haram – und für die Beharrlichkeit einer Zivilgesellschaft, die ihre Kinder nicht aufgibt.

Dies beschreibt taz-Reporterin Katrin Gänsler, der es unter großen Schwierigkeiten gelungen ist, Chibok zu besuchen und dort Familien von Verschwundenen zu treffen. Nigerias Nordosten ist nach wie vor Kriegsgebiet. Boko Haram kontrolliert zwar längst nicht mehr so große Gebiete wie vor einem Jahr und ist auch nicht mehr auf dem Vormarsch. Nigerias neuer Präsident Muhammadu Buhari hat die Armee effizienter strukturiert, die Nachbarländer Kamerun, Niger und Tschad helfen mit. Aber wo sich die Islamisten zurückziehen, hinterlassen sie ein verwüstetes Land, vor allem für die junge Generation.

5.000 Kinder haben im Kriegsgebiet ­Nordostnigerias und in Grenzregionen der Nachbarländer ihre Eltern verloren, sagt das UN-Kinderhilfswerk Unicef. 1.800 Schulen sind zerstört. 670.000 Kinder haben ihre Schulplätze verloren. 2,3 Millionen Menschen, davon 1,3 Millionen Kinder, sind auf der Flucht. Immer öfter werden Kinder als Selbstmordattentäterinnen eingesetzt – allein 44 im Jahr 2015, drei Viertel davon Mädchen. Viel zu wenig wird dafür getan, im Nordosten Nigerias ein normales Leben wiederaufzubauen.

Der Krieg gegen radikale Islamisten, darauf weisen Experten immer wieder hin, ist allein militärisch nicht zu gewinnen. Zu einer zivilen Strategie würde aber gehören, die Opfer zu unterstützen – eben auch die Überlebenden und Hinterbliebenen des Terrors von Boko Haram.

Dominic Johnson

Reportage