Berliner Szenen
: In der Bahn

Unschuldig

Sie sinniert, ob sie wohl ihre 4,50 Euro zurückbekommt

Im RE von Berlin nach Magdeburg. In Potsdam steigen eine Frau und ein Mann ein und setzen sich uns gegenüber. Sie arbeiten beide am Theater und unterhalten sich gut hörbar über ihre Kollegen und Arbeitsbedingungen.

Eigentlich spricht nur die Frau. Der Mann hört meist zu, und wenn er spricht, dann pflichtet er ihr bei. Neben der Arbeit gibt es ein weiteres, ausführlich besprochenes Thema: Die Platzreservierungen in unserem Zug sind nicht mehr gültig, weil der Originalzug einen Schaden hatte und nicht mehr fahren kann. Deshalb gibt es einen Ersatzzug, der zwar pünktlich und sauber ist, aber andere Wagen- und Sitzplatznummern hat.

Die beiden haben im neuen Zug Sitzplätze gefunden, trotzdem ist die fehlende Reservierung für etwa eine Viertelstunde der Aufreger Nummer 1.

Als die neu eingestiegenen Gäste von einem Bahnmitarbeiter per Durchsage begrüßt werden, spricht die Frau halblaut mit: „Wir bitten um Entschuldigung …? Entschuldigung? Wir bitten um … Ent–schul–di–gung?“ Sie wedelt dabei mit ihrer linken Hand in der Luft, als würde sie ein Orchester dirigieren.

Als bis zum Ende der Durchsage kein „Entschuldigung“ zu hören ist, empört sie sich lautstark. Sinniert, ob sie wohl ihre 4,50 Euro zurückbekommen wird, und wenn ja, mit welchem Aufwand.

Als der Schaffner zum Kon­trollieren der Fahrkarten kommt, spricht die Frau ihn an: „Sagen Sie mal, das ist so unmöglich mit den Sitzplätzen, und dann wird sich nicht mal entschuldigt! Das kann die Bahn dann wohl nicht?“

Der Mann dreht sich von ihr weg, kontrolliert die nächsten Fahrgäste und sagt lapidar über die Schulter: „Was soll ich mich denn entschuldigen, ich hab den Zug ja nicht kaputtgemacht.“

Nicola Schwarzmaier