Vom Bedürfnis, dazuzugehören

Heimatsuche Sensibel und unaufgeregt erzählt die Hamburgerin Rasha Khayat in ihrem Debütroman „Weil wir längst woanders sind“ von einer deutsch-saudischen Frau, die zurück nach Jeddah zieht, um dort zu heiraten

Schreibt auf ihrem Blog „West-Östliche Diva – Das deutsche Fenster zu Arabistan“ engagiert über Klischees, Pegida und Flüchtlingsdebatte: Rasha Khayat Foto: Anna Maria Thiemann

von Hanna Klimpe

„Irgendwo muss man ja mal reinpassen, ohne sich so wahnsinnig anzustrengen“, schreibt Layla an ihren älteren Bruder Basil als Erklärung, warum sie in Deutschland alle Zelte abbricht und einen Flug nach Kairo gebucht hat. In „Weil wir längst woanders sind“ erzählt die deutsch-saudische Autorin Rasha Khayat die Geschichte einer wilden, freien und impulsiven jungen Frau Ende 20, die aus dem Bedürfnis, endlich irgendwo dazuzugehören, einen scheinbar radikalen Entschluss fasst: Layla kehrt nach Saudi-Arabien zurück und heiratet dort einen Ingenieur.

Sensibel, differenziert, unaufgeregt und von leiser Melancholie durchzogen erzählt Khayat aus der Sicht des älteren Bruders die Familiengeschichte von Basil und Layla, die als Kind einer deutschen Krankenschwester und eines saudi-arabischen Arztes im saudischen Jeddah aufwachsen. Noch in der Kindheit kehren sie mit den Eltern ins Ruhrgebiet zurück, ohne genau zu wissen, warum. Als Studenten wohnen sie in Hamburg-St. Pauli in einer WG mit Basils Kumpel und Laylas Liebhaber Alex – bis Layla beschließt, Deutschland zu verlassen und aus Sehnsucht nach Heimat eine pragmatische Ehe einzugehen.

Auch Rasha Khayat ist im Ruhrgebiet und in Jeddah aufgewachsen. Ein autobiografischer Roman ist „Weil wir längst woanders sind“ aber nicht, betont die 37-Jährige, sondern ein Gedankenspiel: „Ich habe beim Schreiben schnell gemerkt, dass ich schlussendlich gar nicht verstehe, was sie da treibt, auch wenn ich ihre Sehnsüchte kenne“, sagt sie. „Deswegen brauchte ich mit Basil jemanden, der maximal von mir entfernt ist, in den ich mich bewusst hineinversetzen muss, der aber alle Fragen mitbringt, die ich auch an Layla hatte.“ Insofern ist der Roman für sie „viel mehr menschlich als politisch“.

Klischees über Arabien

Trotzdem positioniert sich ein Buch zwangsläufig, wenn es die Geschichte einer im Westen aufgewachsenen Frau erzählt, die freiwillig in ein Land zieht, in dem sie sich verschleiern muss und nicht Auto fahren darf. An Schleier- und Religionsdiskussionen will sich Khayat aber bewusst nicht beteiligen: „Ich bin keine Islamwissenschaftlerin und fühle mich da einfach nicht kompetent“, sagt sie. „Ich kenne den Alltag in Saudi-Arabien, und den beschreibe ich.“

Die Wertfreiheit, mit der sie nicht nur den saudi-arabischen Alltag, sondern auch Laylas Entscheidung und das Unverständnis Basils und der Mutter über diese Entscheidung beschreibt, macht den Roman so eindrücklich. Khayat macht ihre Figuren verständlich, ohne zu psychologisieren; die Welt, die sie beschreibt, erscheint erst fremd, aber bald selbstverständlich.

Diese Welt besteht aus Shopping Malls, aus unendlichen Mengen orientalischen Gebäcks, verstecktem Schnaps im Regal, lautem Verkehr, natürlich auch Bestechung und einschüchternden Auftritten der Religionspolizei. Vor allem aber ist das Leben dort bestimmt von der Familie, die Druck ausübt, aber auch Wärme, Geborgenheit und unbedingte Liebe gibt.

Khayat hat eine halbsaudische Freundin, aber sonst in Deutschland nie jemanden kennengelernt, der das Land je besucht hätte. „Wir sind ein Orchideengewächs“, sagt sie. Auf ihrem Blog „West-Östliche Diva – Das deutsche Fenster zu Arabistan“ schreibt sie engagiert und charmant-rotzig über Zufallstreffen mit Fatih Akin in Ägypten, Pegida und die Flüchtlingsdebatte. Die Artikel enden gelegentlich mit der Aufforderung, mehr Kuchen zu essen. „Ich bin der Meinung, dass man mit Humor sehr viel mehr erreicht als mit dem erhobenen Zeigefinger“, sagt Khayat. „Das ist ein Spiel, und man hofft, für Edward Said ist es immer noch okay.“

Bei einem Fernsehporträt hat sie sich dann aber doch Sorgen gemacht, ob der Orientalist und postkoloniale Theoretiker noch gutgeheißen hätte, dass das Team sich beim Dreh auf ihre orientalischen Ohrringe und auf die arabische Kalligrafie konzentriert hat, die sie auf dem Unterarm tätowiert hat.

Nicht das einzige Klischee: Macht es sie wütend, dass Saudi-Arabien fast ausschließlich über Verletzungen von Menschenrechten und die Unterdrückung der Frau wahrgenommen wird? „Einerseits kann man nicht darüber wütend sein, weil Saudi-Arabien tatsächlich eine Diktatur ist, in der die Menschenrechte unter aller Sau sind. Da gibt es nichts zu diskutieren“, sagt Khayat. „Nur: Wenn mal etwas anderes berichtet werden kann, will das keiner hören. Und das ist nicht gerecht den Menschen gegenüber.“

Khayat, die auch als Übersetzerin, Lektorin und Journalistin arbeitet, bot nach ihrem letzten längeren Aufenthalt im Jahr 2014 mehreren Magazinen Porträts über saudi-arabische Frauen an. Das Interesse war da, bis sich herausstellte: Diese Frauen sind PR-Agentinnen, Party-Planerinnen und Krebsforscherinnen, die ihre Kinder in Kitas geben. „Da hieß es: Mussten die sich nicht gegen ihre Männer wehren? Haben die sich nicht mit ihrer Familie überworfen? Wenn das so ist wie bei uns, geht das nicht.“

Suche nach eigener Sprache

„Weil wir jetzt woanders sind“ hingegen ist von der Kritik durchweg positiv aufgenommen, von der Zeit bis zum ZDF berichteten die Medien über Khayats Debüt. Gerechnet hat sie mit dem Erfolg nicht: „Ich habe nach dem Studium ein Volontariat bei Rowohlt gemacht und bin seitdem im Literaturbetrieb tätig“, sagt sie. „Ich weiß, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Veröffentlichung untergeht.“

Nun bekommt sie viel Feedback, sowohl von Menschen, die ihr für den Einblick in das saudi-arabische Leben dankbar sind, als auch von Menschen mit Migrationsbiografien, die schreiben: In diesem Roman stehen Sachen, die ich mich noch nie zu denken getraut habe. Zum Beispiel, wie bedrückend es ist, immer das Gefühl haben zu müssen, dankbar zu sein, in Deutschland wohnen zu dürfen.

Vielleicht, so Khayat, fühlten sich deswegen so viele Leser von dem Roman abgeholt, weil die Leute, die diese Geschichten erzählen können, gerade erst begännen, ihre Sprache zu finden. „Ich bin mit 37 Jahren eine verhältnismäßig alte Debütantin, aber es hat auch genau die Zeit gebraucht“, sagt sie. „Es ist ja unglaublich kompliziert, bis man diese ganzen Zusammenhänge ansatzweise verstanden hat und auch ohne Wut und Vorwürfe beschreiben kann. Das ist, glaube ich, der Grund: Wir mussten erst erwachsen werden, um das zu erzählen.“

Rasha Kahayat: „Weil wir längst woanders sind“, Dumont Verlag 2016, 187 S., 19,99 Euro

Lesungen im Norden: Mo, 30. Mai, 20 Uhr, Osnabrück, Blue Note; Fr, 24. Juni, 20 Uhr, Bad Segeberg, Buchhandlung „Das Druckwerk“; So, 26. Juni, 15.30 Uhr, Hamburg, „Ziegel“-Lesebühne, Magellan-Terrassen