Das große Verschwinden

SCHWACH Frauen, vor allem ältere, spielen im Fernsehen noch immer eine deutlich kleinere Rolle als Männer

Die US-Schauspielerin Patricia Arquette (Mitte) feiert den „last fuckable day“ ihrer Freundin Screenshot: taz

von Jana Lapper

In Hollywood haben Frauen nicht viel zu sagen – zumindest im Film. Superhelden: meistens Männer. Starke Hauptfiguren außerhalb von Liebeskomödien: meistens Männer. Kommissare/Ermittler/Agenten: meistens Männer.

Das Team der Visual-Storytelling-Plattform Polygraph hat diesen Eindruck nun genauer untersucht und über 2.000 online verfügbare Drehbücher ausgewertet. Das Ergebnis: In 78 Prozent der untersuchten Filme haben Männer den größten Sprechanteil. Vor und hinter der Kamera sind Frauen in der Filmindustrie stark unterrepräsentiert, von der unterschiedlichen Bezahlung der Geschlechter ganz zu schweigen.

Im deutschen Film sieht es nicht anders aus. Julia Beerhold ist Schauspielerin, engagiert sich seit gut zehn Jahren im Bundesverband Schauspiel (BFFS) und sieht ein „weltweites Problem“. Zwar fehle es noch an offiziellen Zahlen für den deutschen Film, eine vorläufige private Erhebung ihrerseits kommt aber zu einem ganz ähnlichen Ergebnis wie Polygraph. Für den BFFS hat sie die Erstausstrahlungen der öffentlich-rechtlichen Sender im Jahr 2016 ausgewertet. Auch hier bekämen Frauen nur 27 Prozent der Sendezeit, so Beerholds Fazit.

Noch interessanter wird es, wenn man die Kategorie Alter dazu nimmt: Während Schauspielerinnen zwischen 21 und 30 Jahren im deutschen Film noch relativ häufig zu Wort kommen – wenn auch weniger als ihre männlichen Kollegen –, nimmt ihr Sprechanteil mit steigendem Alter ab. Für Männer verhält sich der Trend umgekehrt: Sie kommen im Alter zwischen 42 und 65 Jahren erst so richtig in Fahrt.

Dieses Phänomen nennt sich „Age Gap“ und bezeichnet einerseits das Verschwinden von älteren Frauen von den Bildschirmen, andererseits den oft großen Altersunterschied zwischen weiblichen und männlichen ProtagonistInnen. Die amerikanische Komikerin Amy Schumer nimmt zusammen mit den Schauspielerinnen Tina Fey, Patricia Arquette und Julia Louis-Dreyfus diese Diskrepanz in einem Video auf die Schippe.

„We are celebrating Julia’s last fuckable day“, erklären sie und prosten sich zu. Die Medien würden für jede Schauspielerin früher oder später diesen Tag festlegen. Und Männer? „Men don’t have that day. They are fuckable forever“, scherzen sie – Männer hätten so einen Tag nicht, sie seien immer fickbar. Der Sketch zeigt, wie die Geschlechter mit zweierlei Maß gemessen werden: Frauen altern nicht natürlich wie ihre männlichen Schauspielkollegen. Sie werden von den Medien und der Öffentlichkeit alt „gemacht“.

Für Frauen ende die Schauspielkarriere deshalb früher als für Männer, sagt auch Julia Beerhold. „Für uns alle ist das ein Problem, auch mittlerweile für mich“, so die 45-Jährige. „Wenn ich mir die Drehbücher anschaue, dann gibt es da vielleicht, wenn es gut geht, eine Rolle für eine Frau über 45, der Rest sind Männer oder junge Frauen.“

Gäbe es mehr Regisseurinnen, gäbe es wohl auch mehr starke Frauenrollen

Das Studio Hamburg Production Group, eines der führenden deutschen Produktionsunternehmen, die auch im Auftrag von öffentlich-rechtlichen Sendern drehen, weist diesen Vorwurf zurück: „In unseren Produktionen sind Schauspielerinnen über 40 durchaus stark vertreten“, so Produktionschef Michael Lehmann. Er räumt jedoch ein, dass das Frauenbild im Film oft nicht gerade vielschichtig ist. „Die Diskussion sollte sich vielmehr um die Qualität drehen, facettenreiche Frauenfiguren zu entwerfen, wie es sie zum Beispiel im französischen Film und Fernsehen gibt.“

Immerhin sei vor Kurzem ein neuer Film mit Senta Berger im ZDF gelaufen – eine Schauspielerin, auf die gerne verwiesen wird, wenn es um Protagonistinnen über 40 geht. Klar, und dann wären da noch Martina Gedeck, Iris Berben, Hannelore Elsner, Christiane Paul – und?

Wie schafft man es aber, eine größere Bandbreite an Protagonistinnen in Filme zu bekommen? Mehr weibliche Regisseurinnen könnten daran etwas ändern, denn auch in diesem Metier sind Frauen deutlich unterrepräsentiert. Darauf hat die ARD-Filmtochter Degeto kürzlich reagiert: Nachdem der Zusammenschluss „Pro Quote Regie“ im vergangenen Sommer bemängelt hatte, dass nur bei elf Prozent der fiktionalen Stoffe von ARD und ZDF Frauen Regie führen, gab sich die Produktionsfirma eine selbstverpflichtende Quote. Künftig sollen20 Prozent ihrer Produktionen von Regisseurinnen gemacht werden.