American Pie
: Lottogewinn für die Verlierer

LOSER Die Philadelphia 76ers haben ihr Ziel erreicht und sind endlich das schlechteste Team der NBA. Jetzt dürfen sie auf das Supertalent hoffen

Am 17. März 2016 ist „Hot Dog Night“ im Wells Fargo Center in Philadelphia, das heißt, für nur einen Dollar bekommt man ein schwammiges Brötchen mit Industriewurst. Ich bin beim Basketball, Philadelphia 76ers gegen Washington Wizards, ein bedeutungsloses Spiel im fünften Monat der langen Saison der NBA. Die Sixers haben bisher ganze neun Spiele gewonnen, neun von 67. Diese Spielzeit könnte es endlich klappen. Die Philadelphia 76ers könnten am Ende das schlechteste Team sein.

Die vielen Niederlagen sind das Fundament eines großangelegten Plans, der die Sixers in einigen Jahren an die Spitze führen soll, ein Plan, den sich Sam Hinkie ausgedacht hat, bis April Manager des Teams. Je mehr man in der NBA verliert, umso größer sind die Chancen, am Ende der Saison den nächsten Superstar ins Team zu holen. Während man in europäischen Sportligen die Verlierer am Ende der Saison mit dem Abstieg bestraft, werden die schlechten Mannschaften in der NBA belohnt: mit den vielversprechendsten Talenten des jeweiligen Jahres.

Im sogenannten Draft werden die großen Talente auf die Mannschaften verteilt. Um zu verhindern, dass Teams sich durch konsequentes absichtliches Verlieren, dem sogenannten Tanking, die besten Nachwuchsspieler sichern, findet vor dem Draft eine Lotterie statt, in der die Reihenfolge im Draft ausgelost wird. Schlechte Teams erhalten nicht einfach die besten Spieler, sondern eine erhöhte Wahrscheinlichkeit auf die besten Spieler.

Getankt wird natürlich trotzdem. Alle machen es, gelegentlich, heimlich. Dabei hat Tanking selten etwas mit dem zu tun, was man auf dem Spielfeld zu sehen bekommt. Die Spieler und die Trainer versuchen weiterhin, jedes Spiel zu gewinnen. Aber wichtige Spieler werden aus fadenscheinigen Gründen nicht aufgestellt. Gute Spieler werden auf dem Transfermarkt gegen schlechte eingetauscht.

Kein Team hat sich jemals so bedingungslos dem Tanking verschrieben wie die Philadelphia 76ers unter Sam Hinkie. Seit drei Jahren verlieren die Sixers andauernd und gründlich. Weder im Jahr 2014 noch im Jahr 2015 waren die Sixers am Ende das schlechteste Team. Irgendjemand tankte immer noch härter. Und weder 2014 noch 2015 gewannen die Sixers die Lotterie. Es wurde weitergetankt.

Die Konsequenzen des Tanking-Spektakels sind nicht abzusehen. Wie viele Zuschauer hat man auf Dauer verprellt? Wie viele Agenten und Manager nehmen das Team noch ernst? Wie wirkt sich das dauernde Verlieren auf die Spieler aus? Kann ein Spieler, der drei Jahre lang überwiegend verloren hat, später zu einem Siegertypen werden? Professioneller Sport beruht auf dem Mandat des Gewinnens. Dem Sieg ist alles untergeordnet. Zerstört man die Grundfeste des Sports, wenn man absichtlich verliert, nur um vielleicht später zu gewinnen?

Die Hot-Dog-Night im Wells Fargo Center geht in die zweite Hälfte. Washington mit seinem Superstar John Wall zieht scheinbar uneinholbar davon und führt im dritten Viertel mit 24 Punkten. Zehn Minuten vor Schluss sind es immer noch 17 Punkte Vorsprung. Es sieht wie so oft nach einer ­klaren Nie­derlage aus. Es folgt eine waghalsige Aufholjagd. Zwölf Sekunden vor Schluss beträgt der Rückstand nur einen einzigen Punkt. Dann macht John Wall alle seine Freiwürfe. Die Sixers verlieren. Im Rest der Saison gewinnen sie nur noch einmal. Die Sixers haben das große Ziel erreicht; sie sind ganz unten angekommen.

Und doch tritt Hinkie von seinem Amt als Manager zurück. Im Frühjahr 2013 hatten die Besitzer der Sixers Hinkies langfristigem Tanking-Plan zugestimmt. Drei Jahre und knapp 200 Niederlagen später haben sie ihre Meinung geändert. Für den Draft 2016 haben die Sixers dank Hinkies Manöver Zugriff auf drei Picks innerhalb der ersten Runde, in der die dreißig besten Talente vergeben werden. Aber wird darunter der nächste Superstar sein?

Ein wesentlicher Teil dieser Frage wurde diese Woche endlich beantwortet. Am Mittwoch um zwei Uhr mitteleuropäischer Zeit treten die Vertreter der NBA vor die Kameras und verlesen die Ergebnisse der Draft-Lotterie: „The number one pick in the 2016 NBA draft goes to: The Philadelphia 76ers.“

Es wird eine Weile dauern, bis die Sixers nicht nur in der Lotterie der schlechtesten Teams, sondern auch beim richtigen Basketball an Nummer eins ­stehen. Alexander Scholz