ausgehen und rumstehen
: „Quatsch mir nicht ins Adagio“

Montagabend, Yellow Lounge, Weekendclub: eine bekannte und zwei unbekannte Größen. Erst bin ich skeptisch, denn ich habe gehört, dass nur Münchner in den Weekendclub gehen oder jedenfalls Leute, die sich so fühlen wie Münchner oder welche, die so werden wollen. Ich gehöre in keine der Kategorien, aber ich gehe mit, dezent in Grau gekleidet, bereit, im 13. Stock die gehobene Lebensart zu pflegen.

Der Ausblick über den Alexanderplatz in Verbindung mit feierlicher klassischer Musik ist dann so unverhofft schön, dass ich spontan beschließe, meine antimünchnerische Haltung zu überarbeiten. Die Visuals auf den Säulen zeigen Herbstimpressionen, ein DJ legt zur Einstimmung „den Herbst“ aus Vivaldis vier Jahreszeiten auf, bevor er uns feinfühlig an ausgewählte Raritäten heranführt. Es ist alles wie immer, nur eben mit Klassik. Man kann auch ganz normal zu dem DJ hingehen und sagen „Boh, geil, was läuft da gerade?“ oder „Hast du die Toccata in d-Moll?“ Seriös gekleidete Gäste quatschen sich an der Bar fest, und ich diskutiere mit meinen Freunden die Frage, ob nicht Klassik-Karaoke die natürliche Steigerung des Klassik-DJ-Phänomens sein könnte. „Königin der Nacht“ schlägt jemand dafür vor. Lachend bestellen wir neue Getränke.

Auf der Bühne baut sich der Liveact des Abends auf, das Berliner Kammerorchester. Gespannt stellen sich alle hin, um besser sehen zu können. Zum Auftakt niest jemand neben uns, „Hatschi“. – „Hihihi“, tönt es vielstimmig kichernd aus dem nahen Umkreis, beantwortet von vielen „Psssts“. Die Disziplin hat merklich nachgelassen, die übliche Bar-Atmosphäre mischt sich mit den Erfordernissen eines hochkarätigen Konzertes und vielen fällt es jetzt schwer, den Kontext zu wechseln.

Der Dirigent hatte bei seiner Ansprache ausdrücklich erlaubt, zwischen den Sätzen zu klatschen, was normalerweise streng verboten und nur absoluten Laien vorbehalten ist. Wahrscheinlich ahnte er, dass wir es sowieso tun würden, womit er Recht hatte; aber nicht unbedingt, weil wir Laien waren, sondern weil wir so gute Laune hatten und beflügelt waren von der Musik und der tollen Münchner Atmo.

Dass auch so genannte E-Musik nicht immer so ganz E sein muss, hatte ich in der Waldbühne bei einem Konzert der Berliner Philharmoniker gelernt. Ehemänner waren emsig damit beschäftigt, Kerzen auf dem Mäuerchen vor sich zu befestigen, Gläser zu verteilen und Rotwein an Gattinnen auszuschenken. Als die Streicher im zartesten Pianissimo die ersten Takte des Feuervogels von Strawinsky anstimmten, waren alle schon längst betrunken und jemand rief „lauter“. Das Ganze hatte etwas von einer Butterfahrt, nur die Heizdecken zum Sonderpreis fehlten.

„Während des Konzertes ist der Ausschank nicht erlaubt.“ Die Tresenkraft in der weißen Bluse hält sich strikt an ihre Anweisungen und schickt mich mit leeren Händen wieder weg. Beinahe stolpere ich über eine Frau im grauen Kostüm, die sich an einer Säule entlang zu Boden hat sinken lassen, um im Sitzen weiterzulauschen wie bei einem Rockfestival. Gut sieht das aus. Ich versuche einen Freund ins Gespräch zu verwickeln, aber der sagt: „Quatsch mir nicht ins Adagio“, und lacht, weil er weiß, dass ich weiß, dass ihm das ganz egal ist.

Wahrscheinlich ist das noch nicht mal ein Adagio, was wir da gerade hören. „Diese hohen Frequenzen machen es einem nicht so leicht, sich zu unterhalten, oder?“, fragt er dann fröhlich. „Egal, die ham trotzdem echt Stil, die Münchner“, sage ich und erfahre, dass in Wahrheit noch nie ein Münchner im Weekendclub gesichtet wurde. KATHARINA HEIN