Die richtigen Fragen stellen

Lösung Ob private, geschäftliche oder politische Konflikte: Wer sich einigen möchte, findet in der Mediation einen Weg, der günstig ist und nachhaltig wirken kann. Die Kunst besteht darin, sich in sein Gegenüber hineinzuversetzen

Im Konflikt die Hand reichen, um dann auch die andere Perspektive erkennen zu können Foto: Peter Wolf/plainpicture

von Ansgar Warner

Sind die Deutschen ein Volk von Prozesshanseln? Glaubt man dem Statistischen Bundesamt, scheint das so zu sein: Tag für Tag landen über 20.000 neue Streitfälle vor einem deutschen Gericht. Ehefrauen verklagen Ehemänner und umgekehrt. Arbeitnehmer verklagen Arbeitgeber und umgekehrt. Nachbarn verklagen Nachbarn. Rein rechnerisch ist fast jeder zehnte Deutsche gerade in einen Gerichtsfall verwickelt, entweder als Kläger oder Beklagter. Doch es gibt Grund zur Hoffnung, die Zahl der frischen Fälle sinkt leicht. Was auch damit zu tun hat, dass Streitparteien immer öfter eine außergerichtliche Regelung anstreben, zum Beispiel, indem sie sich in eine Mediation begeben. Schon seit den 1990er Jahren hat sich dieses freiwillige Verfahren zur konstruktiven, gemeinsamen Beilegung von Konflikten auch in Deutschland etabliert, und zugleich das Berufsbild des „Mediators“ entstehen lassen. Einer von ihnen ist Michael Cramer. Der Berliner Politikwissenschaftler und Soziologe begleitet seit mehr als zehn Jahren Medianden durch das Media­tionsverfahren und bildet Mediatorennachwuchs aus.

Im Privatbereich habe sich Mediation insbesondere bei Familiensachen als sinnvolle Lösung herumgesprochen, so Cramer: „Seitdem es ein gemeinsames Sorgerecht gibt, hat der Regelungsbedarf zwischen den Elternteilen stark zugenommen.“ Gerichte könnten das jedoch nur schwer entscheiden, die besten Experten für das Kindeswohl seien in der Regel eben die Eltern. Letztlich gelte auch ganz allgemein: „Ein Gerichtsurteil bietet sozusagen eine Lösung von der Stange, das Ergebnis einer Mediation ist eher mit einem Maßanzug vergleichbar“.

Im Business-Bereich beobachtet Michael Cramer einen anderen Hintergrund für den Mediationsboom: „Die Partizipa­tionsanforderungen haben sich ganz einfach verändert, heutzutage will man Arbeitnehmerinnen bei Entscheidungen stärker einbeziehen.“ Das Methodenrepertoire habe sich dabei inzwischen erweitert: Gehe es um Teamentwicklung, mache man Coaching. Gehe es um Konfliktbeilegung, sei oft eine Mediation das Mittel der Wahl, aus ganz pragmatischen Gründen: die Methode führe schnell zum Ziel und senke auch die Konfliktkosten – psychische wie auch finanzielle. Größere Betriebe hätten inzwischen im Haus meist Mitarbeiter, die eine Weiterbildung zum Mediator gemacht haben.

Heute findet der 3. Internationale Tag der Mediation statt. Er geht zurück auf eine Initiative der großen Mediationsverbände aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.

In Berlin organisiert die Regionalgruppe Berlin-Brandenburg des Bundesverbandes Mediation e. V. unter dem Motto „Zukunft … gestalten“ über 40 Veranstaltungen zum Thema Mediation und Konfliktlösung; unter anderem Workshops, Vorträge, Playbacktheater und Schnuppermediationen to-go. Die Besucher können sich dort ein eigenes Bild machen, zuhören, Fragen stellen, selbst erleben oder spielerisch ausprobieren, wie man mit Konflikten konstruktiv umgeht.

Weitere Informationen: http://rg-berlin-brandenburg.bmev.de/internationaler-tag-der-mediation-2016/

Eine Grundbedingung für die Mediation ist dabei, dass der Mediator kein eigenes Interesse an einer bestimmten Lösung hat. In der Regel kennen die Konfliktparteien den Vermittler nicht, er kommt also von „außen“, zumindest aus einer anderen Abteilung. Es könne jedoch von Vorteil sein, wenn der Mediator nicht völlig „fachfremd“ sei: „Das hilft dabei, das soziale Umfeld besser zu verstehen.“ Auch wenn am Ende natürlich gelte: „Dass Konflikte eskalieren, hat eher mit der emotionalen Ebene zu tun, weniger mit Sachfragen“.

Die Arbeit des Mediators läuft in regelmäßigen Schritten ab, sobald die Streitparteien Kontakt aufgenommen haben, geht es erst mal um die Frage: Eignet sich der Fall überhaupt für eine Mediation? „Es muss sich um einen Konflikt zwischen einzelnen Personen handeln, kein individuelles Problem“, so Cramer. Im nächsten Schritt geht es darum, den Beteiligten das Verfahren zu erklären, das sowohl auf Vertraulichkeit wie auch auf absoluter Freiwilligkeit basiert: „Jede der beiden Parteien kann jederzeit aus der Mediation aussteigen“, so Cramer.

Schließlich wird eine verbindliche Vereinbarung getroffen, die den äußeren Rahmen der Mediation absteckt, wobei die Dauer auch von der Zahl der Beteiligten abhängt: „Bei Konflikten zwischen zwei Personen werden in der Regel zwei bis sechs Sitzungen von jeweils zweieinhalb Stunden angesetzt“, so Cramer. Bei „Teamkonflikten seien die Sitzungen aber oft länger, damit alle Beteiligten auch zu Wort kommen können, und nicht selten gebe es auch mehrere Mediatoren.

Ein Gerichtsurteil bietet die Lösung von der Stange, Mediation ist dem Maß­anzug vergleichbar

Zunächst sei das „Abholen im Konflikt“ angesagt, es geht schlicht darum, den Konflikt darzustellen: „Der Mediator extrahiert daraus dann Themen für den weiteren Verlauf der Mediation“, so Cramer. Zu den wichtigsten Kompetenzen eines Mediators gehöre ohnehin die „Fähigkeit, sich zurückzunehmen, anderen zuzuhören“ und der Wunsch, „verstehen zu wollen“, und nicht zuletzt: sehr viel Empathie.

Doch wie gelangt man denn nun aus dem Vorwurfsmodus in den sachlichen Modus? Cramers verblüffend einfache Antwort lautet: „Durch zirkuläres Fragen – was glauben Sie, wie es der anderen Seite geht?“ Der Perspektivwechsel, findet Cramer, sei das „Herzstück“ der Mediation. Das Gegenüber besser zu verstehen sei die eigentliche Grundlage für eine Verhaltensänderung: „Implizites Ziel einer Mediation ist es auch, in Zukunft besser zu kommunizieren“. Das sei auch ein Grund für den Erfolg des Modells Mediation: „Die auf diesem Weg gemeinsam erzielten Lösungen sind sehr haltbar“.