Kunst und Politik

Selbstmord mit Tiger, Charterflug mit Flüchtlingen. Die Aktion ­eines Künstlerkollektivs endete unblutig. Doch Fragen bleiben offen

Flüchtlinge fressen?

Pro & Contra Aus Protest gegen die Flüchtlingspolitik wollte das Zentrum für Politische Schönheit Menschen fressen lassen und Geflüchtete ausfliegen. Eine sinnvolle Aktion?

Circus Maximus: Höhepunkt der Aktion „Not und Spiele“ sollte die suizidale Zerfleischung durch einen Tiger sein

Ungehörte Schreie: die syrische Schauspielerin May Skaf sagte die Aktion unter Tränen ab Fotos: Christian Mang

Kunst und Politik

Selbstmord mit Tiger, Charterflug mit Flüchtlingen. Die Aktion ­eines Künstlerkollektivs endete unblutig. Doch Fragen bleiben offen

Ja

Ja wurden denn die armen ­Tigerchen auch artgerecht gehalten? Schließlich sollten die Tiere, die seit Tagen in Berlin in einem Käfig ausgestellt wurden, am Dienstag Flüchtlinge auffressen. Wenn solcherlei Provokationen im deutschen Kunst- und Politikbetrieb zur Verhandlung stehen, dann soll bitte alles wie immer zugehen: moralisch sauber, ästhetisch nicht zu obszön, Fairtrade, öko, artgerecht.

Vorsicht. Es mangelt ja nun wahrlich nicht an Mittelmaß und Zucht. Dies nun auch noch der Kunst abzuverlangen führt wirklich zu weit.

Es gibt viel, was sich gegen die Aktionen des Zentrums für Politische Schönheit (ZPS) vorbringen lässt. Das ist ja das Gute. Die letzte der wie immer umstrittenen Aktionen des Zentrums ist dabei, anders als behauptet wird, nur vordergründig simpel. Um die Sprache der Kritik zu nutzen: Es war ein komplexes Werk, in dem handwerklich sauber gearbeitet wurde.

Der Grund? Die Aktionskünstler verstehen es, die moralischen Sollbruchstellen im juristischen Rechtsstaatskonzept abzutasten. Und so kam es in der letzten Woche dazu, dass ihre Kunstaktion vom Grünflächenamt Berlin-Mitte bis in die Spitze des Bundesinnenministeriums zu politisch aufschlussreichem Verwaltungshandeln führte. Dass Air Berlin auf Druck des Innenministeriums einen gebuchten und bezahlten Charterflug stornieren würde, war zwar erwartbar, aber auch ein einmaliger Vorgang. Und es war eben nicht die blanke Parole, mit der das Zen­trum antrat, sondern eine materielle Erprobung. Das Flugzeug wäre geflogen.

Und die Gladiatoren? Der Tod und die Tiger? Ist das nicht alles ein bisschen platt? Die Antwort auf diese Frage ist ein Spiegel, der in den letzten Tagen ganz in der Nähe des Tigerkäfigs hing. In diesem Spiegel konnte sich das Publikum in seiner Erregtheit selbst betrachten. Vor ihm wurde tagelang konkret um Fragen der Ästhetik, der moralischen Grenzen und der politischen Verantwortung gestritten. Das Werk selbst stand nicht nur zur Disposition, es wurde überhaupt erst durch diese Verhandlung zum Werk. Das machte es aus.

Natürlich: Wer solche zeitgenössischen Interventionen nicht aushält, hat Alternativen. Nächsten Samstag im Berliner Ensemble gibt’s wieder Brechtlieder zur Klampfe. Dann aber bitte auch wirklich: im Kanon! Martin Kaul

Kunst und Politik

Selbstmord mit Tiger, Charterflug mit Flüchtlingen. Die Aktion ­eines Künstlerkollektivs endete unblutig. Doch Fragen bleiben offen

Nein

Warum ist das Spiel mit Katastrophismus und Endzeitstimmung so verlockend?

Nicht nur in der Kunst, auch in der Politik kaprizieren sich aktionistische Bewegungen gern auf die einfachen apokalyptischen Weltbilder. Entweder – oder; Grenze auf oder zu; Europa oder der Tod. Aber gibt es nicht immer viel variantenreichere Möglichkeiten, eigene schöpferische Ideen, um der Welt und seiner angeblich je eigenen Bestimmung darin ein Schnippchen zu schlagen? Geht es wirklich immer auf Leben und Tod, und ist eine solche Polarisierung in sich nicht immer schon regressiv?

Die affirmative Zuspitzung auf das Letzte, was ein Mensch hat, das tatsächliche Leben, birgt häufig sehr simple Argumentationen in sich. Und sie kann zumeist keine Räume für ein freies, widersprüchliches – und ja: schöneres – Denken und Dasein schaffen.

Egal ob theatralisch oder politisch: Das Schüren großer katastrophistischer Weltbilder macht das Individuum klein. Es ist das Gegenteil von Befreiung, wie sie die verschiedenen humanistisch geprägten Denkfiguren der Aufklärung, des westlichen Marxismus, der klassischen Avantgarden oder der Popkultur im Sinne hatten und die auch die mit ihnen verbundenen verschiedenen Spielarten der Aktionskunst favorisierten.

Die Schlingenschief’sche „Tötet Helmut Kohl“-Inszenierung, der Auszug aus der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz 1997, hatte einen theatralen Happeningcharakter. Sie abstrahierte in symbolischer Weise auf ein zu erhoffendes Ende der Herrschaft des ewigen deutschen Kanzlers, öffnete einen Assoziationsraum, der auf Spaß, Humor, Satire und nicht auf eine reale Handlung zielte.

Dem „Zentrum für Politische Schönheit“ ist eine solche Praxis hingegen nicht vergönnt. Wo deutsche HipHop- und (Post-)Punkbands in den 1990ern deutschen Nazis auf Antifa-Touren ihre Musik und ihren freien Lebensstil entgegenhielten, beschwören sie lediglich Elend und Untergang: Wenn ihr nicht tut, was wir wollen, bringen wir uns um. Und?

Na klar, am Ende das große „Sorry“ auf dem Platz vor dem hauptstädtischen Gorki-Landestheater: Heul, heul, war alles gar nicht so gemeint. Die Tiger werden wieder weggepackt.

Wie kalauerte Beuys doch so schön: Wir wollen Sonne statt Reagan. Andreas Fanizadeh