Panter II In Leipzig kamen zwei Student*innen auf eine praktische Idee: Mit kleinen Geldbeiträgen Rechtsbeistände für Flüchtlinge zu organisieren. Ihre Initiative „Peperoncini“ soll nicht größer werden – aber die Idee soll viele inspirieren
: Crowdfunding für Geflüchtetenrechte

Katharina Enders (rechts) und Leonore Stangherlin: Peperoncini Foto: Anja Weber

AUS LEIPZIG Mareike Barmeyer

Klein. Rot. Bissig“: Das ist das Motto von „Peperoncini“, einer ehrenamtlichen Asylrechtsinitiative aus Leipzig, die Anwaltskosten von Asylbewerber*innen in ­Minibürgschaften aufteilt, um Zugang zu professioneller Rechtsverteidigung zu schaffen.

Peperoncini, das sind momentan Leonore Stangherlin und Katharina Enders, zwei Student*innen der Politikwissenschaften aus Leipzig. Die beiden 21-Jährigen sitzen am WG-Küchentisch, von dem aus sie im September 2015 ihre Initiative ins Leben riefen. Seither haben sie schon sieben Klagen finanziert. Zwei bekamen ein negatives Urteil, die anderen Verfahren laufen noch. Am Kühlschrank hängt ein Putzplan und das Logo von Peperoncini: eine rote Waage mit einer Waagschale auf der einen Seite und einem Peperoncino auf der anderen. Dessen Seite hängt tiefer.

Sie haben sich für den Namen Peperoncini entschieden, weil sie nicht all ihre politischen Ideen und Ideale zu einem komplizierten Namen bündeln wollten. Sie wollten einen merkbaren Namen, erzählt Leo­nore Stangherlin. Ihre Arbeit hat kein Büro, in ihrer WG-Küche am Tisch wird an Peperoncini gewerkelt. Auf dem Balkon wachsen Tomaten und ein Zitronenbaum.

Lange haben sie in Rechtsberatungsinitiativen für Geflüchtete gearbeitet und sind dabei immer wieder auf das Problem gestoßen, dass einE Anwält*in benötigt wird, die keine Kapazitäten haben, um Spenden zu organisieren. Etwas Systematisches musste her, damit für jedes neue Verfahren schnell Geld da ist.

Beide haben sie ein ebenso einfaches wie geniales Konzept entwickelt: Eine Minibürgschaft in Form eines selbst gewählten Betrags ab 10 Euro, die in ein Klageverfahren gegen die Abschiebung einer Person investiert wird. Mit den gesammelten Beiträgen bezahlt Peperoncini die Anwält*in, diese reicht Klage ein, und die Bürg*innen bekommen regelmäßig und sobald sich vor dem Verwaltungsgericht etwas Neues tut eine Nachricht. Ist der Prozess erfolgreich, fließt das Geld zurück an Peperoncini und wird in einen neuen Prozess gesteckt. Wird der Prozess verloren, „dann war es eine Spende für Rechtsstaatlichkeit“, sagt Stangherlin.

Jedes Mal, wenn sie eine Familie oder Person unterstützen wollen, schickt Peperoncini Aufrufe an die Leute, die bereits Interesse an einer Minibürgschaft bekundet haben, weil sie über Freunde, Facebook oder Solipartys von Peperoncini erfahren haben. Die Resonanz war schon beim ersten Aufruf voriges Jahr sehr positiv. Nach einer Woche war genug für die erste Bürgschaft zusammen. „Da wussten wir: Das lässt sich umsetzen.“

Die meisten spenden 10 oder 20 Euro. Das ist zu gering? Nein. Viele kleine Bürgschaften be­wirken viel Gutes. „Das zeigt auch die Solidarisierung von vielen Leuten“, erklärt Stangherlin.

Die Initiative aus Leipzig kämpft für ein menschliches Bleiberecht. Sie unterstützt Asylsuchende dabei, vor dem Verwaltungsgericht gegen ihren Abschiebebescheid zu klagen. Peperoncini sucht mit den Geflüchteten Anwält*innen, die auf Asylrecht spezialisiert sind

Der Clou: Deren Honorare werden durch Minibürgschaften finanziert – Basiscrowdfunding.

Mehr Infos:www.kleinrotbissig.org

Für eine Minibürgschaft: peperoncini@posteo.net

Auch wenn ihre politischen Ideale nicht in einem komplizierten Namen zusammengefasst sind, haben sie genug davon: Sie fordern Zugang zur Rechtsstaatlichkeit für alle. „Dass ich gegen eine Behördenentscheidung klagen kann, unabhängig von Pass oder Geld“, erklärt Enders. Sichere Fluchtwege und rein registrative Asylverfahren und die Abschaffung von „sicheren“ Herkunftsstaaten. Die Gesetzgebung habe sich im letzten Jahr drastisch verschärft, erzählen die beiden. Wenn man nicht in diesem Bereich arbeitet, bekäme man das nicht unbedingt mit. Man liest wohl darüber, dass Deutschland die Grenzen öffnet und über die großzügige Kanzlerin, empört sich Leonore Stangherlin, aber nicht darüber, „dass im Hinterzimmer ganz krasse Gesetze verabschiedet werden, die viele Leute von vornherein ausschließen“.

Die gebürtige Schweizerin ist vor drei Jahren nach Deutschland gezogen und findet, „dass Rassismus in Deutschland nicht bei brennenden Flüchtlingsheimen anfängt, sondern in der neuen asylrechtlichen Gesetzgebung verankert ist“. Dagegen möchten sie vorgehen. Auch deshalb hat Peperoncini keine Kriterien, nach denen sie Leute auswählen, die sie unterstützen. „Jede Person hat persönliche Gründe, Asyl zu bekommen, die auch immer anders sind.“

Meist erfahren sie über andere Initiativen von Fällen mit Abschiebeandrohung. Es gab aber auch schon Anfragen über Facebook. Wenn Geld auf dem Konto ist, startet Peperoncini einen Aufruf. Sie treffen sich mit der Person, um ihr Konzept zu erklären. Dann suchen sie Anwält*innen, die für diese Art von Klage oder für diese spezifische Herkunftsregion kompetent sind. Diese schreiben die Klage und reichen sie dann vor Gericht, mit Antrag auf Eilrechtsschutz. Das heißt, dass man während des Gerichtsverfahrens nicht abgeschoben wird, ein „Das ist nämlich auch nicht selbstverständlich“, sagt Katharina Enders.

Um die 500 bis 1.000 Euro kostet so ein Verfahren. Die meisten Leute, die sie bis jetzt unterstützt haben, klagen gegen negative Asylbescheide. Bei ihrem aktuellsten Fall aber handelt es sich zum ersten Mal um eine Strafanzeige. Es geht um Frau D. aus Tschetschenien, die im April dieses Jahres mit ihrem 16-jährigen Sohn aus Grimma in den „sicheren“ Drittstaat Polen abgeschoben wurde. Ihr 13-jähriger Sohn war zu diesem Zeitpunkt nicht zu Hause. Die Polizei ging nicht auf den Hinweis der Mutter ein und schob die Familie ohne den jüngsten Sohn ab.

Peperoncini vermutet eine neue Behördenpraxis hinter diesem Fall. Beide Frauen wollen so schnell wie möglich gegen sie vorgehen. „Wir erhoffen uns, dass die Behörden im Landkreis Leipzig und in ganz Sachsen merken, dass das nicht geht“, erklärt Enders. „Wir haben Angst, dass das ausprobiert wird und dann systematisiert wird, um Druck auf asylsuchende Familien auszuüben. Wir wollen zeigen, dass es schon bei einem der ersten Fälle, der uns zumindest bekannt ist, klaren Widerstand aus zivilgesellschaftlichen Gruppen gibt.“

Wichtig ist beiden, dass die Leute ihre Rechte vor Gericht verteidigen können, auch weil die Fälle zu Flüchtlingen sonst gar nicht dokumentiert werden würden. Enders, die vor drei Jahren von Nürnberg nach Leipzig gezogen ist um hier zu studieren, hat den Eindruck, „dass so ein System aus lauter kleinen Schikanen besteht, darauf ausgelegt, Leute fertig zu machen“. Sie wollen Präzedenzfälle schaffen und durch diese die Verwaltungspraktiken ändern.

Der taz Panter Preis: zeichnet Menschen aus, die sich mit starkem persönlichem Einsatz für eine bessere Welt engagieren. Jedes Jahr werden dafür zwei mit je 5.000 Euro dotierte Preise verliehen.

Porträts: Ab sofort bis Ende Juli stellen wir Ihnen die sechs nominierten Einzelpersonen und Initiativen hier in der taz.am wochenende vor.

Leser*innenwahl: Vom 6. Au­gust an können Sie dann Ihre Favoritin/Ihren Favoriten wählen: per Mail, per Post oder auf der Internetseite www.taz.de/panter.

Vorige Woche: wurde der erste Kandidat für den taz Panter Preis 2016 vorgestellt: ­Tobias Burdukat aus Grimma.

Verleihung: Am 17. September werden Leser*innen- und Jurypreis im Deutschen Theater Berlin verliehen.

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Natürlich wissen sie, dass sie mit ihrer kleinen Initiative nicht das System schlechthin in Frage stellen können, aber sie sehen es als einen wichtigen ersten Schritt, dass Menschen Zugang zur rechtlichen Verteidigung haben und sich gegen rechtswidrige Entscheidungen wehren können. Auch wenn die Verfahren, die sie unterstützen, negativ ausfallen, erklärt Enders, müssen sich die Behörden abermals mit ihnen befassen. „Wir hoffen, dass dadurch eine stärkere Überwachung der staatlichen Handlungen stattfindet“.

Über Nachahmer oder Schwesterinitiativen in ganz Europa würden sie sich freuen. Aber auch diese sollten versuchen, klein und flexibel zu bleiben. Momentan sucht Peperoncini zwar noch nach weiteren Mitarbeiter*innen, aber richtig groß wollen sie nicht werden. „Unser Ziel ist nicht, unheimlich groß zu werden, sondern uns zu verbreiten“, erklärt Stangherlin. Sie wollen auf keinen Fall zu einer zweiten Behörde werden und die Leute, die sie unterstützen, auch weiterhin persönlich treffen.

Das ist eines ihrer Prinzipien: mit den Kläger*innen auf Augenhöhe zu arbeiten. Asylsuchende würden oft sehr passiv dargestellt, und tatsächlich kämen die meisten von ihnen aber mit Lebensumständen in Deutschland klar, von denen die beiden nicht wüssten, ob sie sie selbst durchstehen könnten. Deshalb versuchen sie mit ihren Aufrufen, die Fehler der deutschen Behörden in den Vordergrund zu stellen und nicht die schlimme politische Lage in ihrem Heimatland. Peperoncini will zeigen, wie schlimm es hier ist, nachdem jemand es nach Deutschland geschafft hat.

Im Fall von Frau D. aus Tschetschenien hat die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen vor wenigen Tagen eingestellt. Begründung: Der beschuldigte Polizist handelte „gerechtfertigt […], wobei die Anordnung ausdrücklich eine mögliche Familientrennung vorsah“.