Frankreich im Ausnahmezustand: Anwalt der Ausgespähten

„Ja, ich provoziere“, sagt Arié Alimi. Als Anwalt vertritt er Opfer staatlichen Machtmissbrauchs und kritisiert die französische Antiterrorgesetzgebung.

Ein Mann spricht in Mikrofone. Es ist Arié Alimi

„Ein jüdischer Anwalt soll keinen Muslim verteidigen dürfen?“, fragt Arié Alimi Foto: dpa

PARIS taz | Arié Alimi, 39 Jahre alt, strahlt die Gelassenheit eines Kämpfers aus, der seine Stärken ebenso gut kennt wie seine Schwächen. Für ein Kind aus der Vorstadt Sarcelles – wegen des Miteinanders von Juden und Muslimen aus Nordafrika oft „Klein-Jerusalem“ genannt – hat er es weit gebracht. Er zählt heute zu den bekanntesten Strafrechtlern der Pariser Anwaltskammer. Alimi verteidigt Klienten, die wegen einer angeblichen islamistischen Radikalisierung in die Fänge der staatlichen Sicherheitsbehörden geraten sind.

Er empfängt in seiner geräumigen Anwaltskanzlei im gutbürgerlichen 17. Arrondissement der Hauptstadt, wo er zwei Juristinnen und eine Sekretärin beschäftigt. Arié Alimi ist sichtlich stolz auf seinen Aufstieg, ein Foto der Hausfassade ziert neben seinem universitären Werdegang und den Diplomen die Webseite des Anwaltsbüros. Ein hübscher Strauß weißer Lilien schmückt das Sitzungszimmer. Diese Blumen sind ein Symbol des französischen Royalismus, dem Anwalt dienen sie ausschließĺich zur Dekoration, wie er betont.

Beim kurzen Fototermin im adretten weißen Hemd schaut er sehr ernst in die Kamera. Er achtet auf sein Image, denn als Anwalt von Opfern von Polizeigewalt oder staatlicher Willkür hat er sich einen Namen, aber auch viele Feinde gemacht. Alimi plädiert vor Gericht und in den Medien gegen die Notstandsgesetze. Da könnten manche Leute vielleicht meinen, er, mit seinem Dreitagebart und den kurzen schwarzen Locken, könne ebenso gut auf einem Steckbrief der Terroristenfahnder stehen. Doch Sympathien für Dschihadisten oder andere Staatsfeinde hat Alimi keine. Aber ihn empören die Methoden, mit der die staatlichen Sicherheitsverantwortlichen vorgeben, den Terrorismus zu bekämpfen.

Verschärfte Gesetze

Die ganze Notstandsgesetzgebung sei eine große „Lüge“, schimpft er, und eine „Kommunikationsstrategie“, mit der die Regierung und allen voran der Innenminister ihr Versagen vor der Öffentlichkeit zu verschleiern versuchten. Noch unter dem Schock des Attentats an der Promenade des Anglais in Nizza am 14. Juli 2016 haben die beiden Parlamentskammern fast einstimmig diesen Ausnahmezustand um sechs Monate verlängert und sogar verschärft. Gegenstimmen gibt es in der Politik und in der Gesellschaft nicht viele – Arié Alimi ist eine Ausnahmeerscheinung.

Er kann sich Gehör verschaffen, wenn er vor der Justiz Klienten vertritt, die – zu Recht oder Unrecht – ins Visier der polizeilichen Überwachung und der Antiterrorgesetzgebung geraten sind. Und er exponiert sich: Wer Verdächtige als rechtlicher Beistand vertritt, gerät selbst schnell in Verdacht oder gar unter Beschuss. Denn Alimi versteht sich nicht als Pflichtanwalt, er verteidigt mit Engagement Menschen, die er als Opfer eines staatlichen Machtmissbrauchs betrachtet.

Der Fall Rémi Fresse bedeutete so eine Art Initialzündung für ihn, in jedem Fall eine einschneidende Erfahrung in seiner beruflichen Laufbahn. Alimi vertrat die Eltern des Naturschützers, der im Oktober 2014 bei einer Demonstration gegen ein Staudammvorhaben bei Sivens von einer explodierenden Polizeigranate getötet wurde. Zum ersten Mal habe er damals in der Konfrontation mit der Staatsmacht selbst Angst bekommen, erzählt Alimi in seinem Büro. Er ist deswegen der französischen Menschenrechtsliga beigetreten, um nicht ganz allein dazustehen.

Arié Alimi

„Erklären Sie mal einem Arbeitgeber, dass Sie zu Unrecht unter Hausarrest stehen“

Alimi kennt Hintergründe, hat Insiderwissen. Die Nachrichtendienste hätten der Staatsführung nach den Attentaten vom 13. November 2015 nicht mehr als eine Namensliste von Verdächtigen anzubieten gehabt, erzählt er. Diese vermeintlichen Dossiers von „radikalisierten Islamisten“ seien in vielen Fällen praktisch leer gewesen, sie hätten keinerlei materielle Beweise für irgendwelche Kontakte zu terroristischen Kreisen enthalten, sondern lediglich „auf Denunzierung durch Arbeitgeber, Nachbarn oder Familien­mitgliedern“ beruht. Dennoch wurden, gestützt auf die Notstandsgesetze, 3.400 Hausdurchsuchungen durchgeführt und rund 400 Personen unter Hausarrest gestellt. In mehr als 50 Fällen wurden diese Restriktionen anschließend rückgängig gemacht.

Magere Verdachtsmomente

„Die Regierung stand unter Handlungsdruck“, analysiert Alimi. „Zeit zur Überprüfung der von lokalen Dienststellen den nationalen Sicherheitsverantwortlichen der DGSI gelieferten Namen und Angaben blieb nicht.“ Wie mager oder sogar inexistent die Verdachtsmomente zur Rechtfertigung der Hausdurchsuchungen und der Anordnung von Hausarrest vielfach waren, weiß Alimi durch seine Anwaltstätigkeit. In der Mehrheit der eingereichten Widersprüche habe das Innenministerium von sich aus die Zwangsmaßnahmen, oft nur zwei Stunden vor der Verhandlung, zurückgenommen. „Es wäre für das Ministerium zu peinlich gewesen, vor dem Verwaltungsgericht zugeben zu müssen, dass da ohne stichhaltigen Grund über Wochen die Bewegungsfreiheit von unbescholtenen Bürgern beschnitten worden ist.“

Alimi sieht darin keinen Anlass zum Triumphieren, eher ein Eingeständnis der Ohnmacht seitens der Behörden. Denn selbst die offiziellen Zahlen seit Ende 2015 belegten, dass in Sachen Terrorismusbekämpfung die „Bilanz gleich null“ sei. Ein paar Handfeuerwaffen wurden entdeckt, gerichtliche Ermittlungen wegen Drogenbesitz eingeleitet, aber keine Terroristen gefangen. Bezeichnenderweise werden heute keine neuen Hausarrestbefehle im Rahmen des Notstands mehr erlassen.

Den Einwand, dass dennoch dank dieser präventiven Kontrolle eventuell gefährliche Leute daran gehindert wurden, Anschläge zu planen oder zu verüben, lässt Alimi nicht gelten. Ebenso gut könne man behaupten, diese Vorgehensweise schaffe überhaupt erst eine terroristische Berufung.

Hausarrest gleich Freiheitsentzug

Dass durch den Ausnahmezustand auch eine beträchtliche Zahl Unschuldiger von der Staatsmacht verdächtigt und verfolgt wird, will Alimi hingegen nicht als Kollateralschaden akzeptieren. Dazu kennt er die Folgen aus zahlreichen Einzelfällen zu gut:

„In den meisten Fällen hat das mit einer Hausdurchsuchung wegen des Überraschungseffekts mitten in der Nacht begonnen. Weil die Polizisten selbst Angst hatten, auf Terroristen mit Kalaschnikows und Bomben zu stoßen, schlugen sie die Tür ein. In den allermeisten Fällen trafen sie Familien an. Kann man sich vorstellen, was für ein traumatisches Erlebnis es für Kinder sein muss, wenn vor ihren Augen die Eltern mit Waffen bedroht, mit Handschellen gefesselt an die Wand gedrückt und manchmal auch misshandelt werden? Ganze Familien hat man so zerstört. Die meisten mussten umziehen, denn mit der Durchsuchung waren sie in den Augen der Nachbarn als ‚Terroristen‘ abgestempelt.“

„Assignation à résidence“, auf Deutsch Hausarrest, ist für Alimi ein eher verharmlosender Begriff für das, was es eigentlich bedeutet: nämlich Freiheitsentzug. „Damit wird das gesellschaftliche und berufliche Leben eingefroren. Wer bis zu drei Mal am Tag auf dem Polizeiposten stempeln muss und die Wohnung zwischen 20 und 8 Uhr nicht verlassen darf, der verliert seine Arbeit und seine Freunde. Erklären Sie mal dem Arbeitgeber, dass Sie zu Unrecht unter Hausarrest stehen.“

Wachsendes Misstrauen

Bei den Verdächtigen gibt es laut Alimi kein Rasterbild. Gemeinsam sei den meisten Betroffenen nur eins: ihre Religion, der Islam, in einer Form, die im Kontext des Terrorismus als „abnormal“ betrachtet werde. Wie in Frankreich in der Vergangenheit aufgrund von Denunzierung und wegen der religiösen Zugehörigkeit oder Herkunft verdächtigt und verfolgt wurde, weiß er. Doch Alimi will keine historischen Vergleiche oder Analogien. Er stellt sich auf seinem Blog beim Onlinemagazin Mediapart selbst als „Franzose, Anwalt und in Sarcelles geborener Jude, aber nicht unbedingt in dieser Reihenfolge“ vor.

Dass er als praktizierender Jude angebliche „Dschihadisten“ oder auch muslimische Vorstadtjugendliche verteidigt, die wegen antisemitischer Sachbeschädigungen im Anschluss an eine propalästinensische Demonstration in Sarcelles vor Gericht kamen, haben ihm ehemalige Klassenkameraden der Schule „Ozar Hatorah“ im Viertel Watteau von Sarcelles vorgeworfen. Alimi ereifert sich: „So weit sind wir bereits! Ein jüdischer Anwalt soll heute nicht einen Muslim verteidigen dürfen? Ja, ich provoziere, aber ich möchte in meinem bescheidenen Rahmen als Anwalt zum Abbau der sich feindlich gesinnten Blöcke, die sich in der französischen Gesellschaft bilden, beitragen.“

Diese Gemeinschaften stehen sich heute in der französischen Gesellschaft mit wachsender Distanz, mit Misstrauen oder gar Hass gegenüber. Das gilt auch für Sarcelles, das bis zu den antisemitischen Ausschreitungen im Juli 2014 als multikulturelles Modell des Zusammenlebens gegolten hat. Auch der Anwalt hat das nicht verhindern können. Aber er tut sein Bestes.

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