Plastik im Watt: Friedensmission in der Nordsee

Die Lobby der WattfahrerInnen sammelt Müll auf dem unbewohnten Nordsee-Inselchen Minsener Oog. In wenigen Stunden kommen fast 18.000 Teile zusammen

Aus dieser Perspektive sieht auf dem Minsener Oog noch alles ganz sauber aus. Foto: Jan Zier

MINSENER OOG taz | Die kleine Plastikschnur im Sand sieht schon ziemlich alt aus. Zieht man vorsichtig an ihr, entwurzelt man ein Büschel Strandgras. Und auf den Wurzelballen folgt ein gut eingewachsenes, nur halb verrottetes Netz, auch aus Plastik. Vermutlich stammt es von einem Fischkutter. Es scheint hier auf dem Minsener Oog, der östlichsten Sandablagerung Ostfrieslands schon so lange zu liegen, wie es die Halbwertzeit von Kunststoffen erlaubt. Eine Ewigkeit.

Die Nordsee-Insel ist keine vier Quadratkilometer groß. Und unbewohnt. Nur ein Radarturm steht hier, ein paar Wohnbaracken, eine alte Gleisanlage. Aber das Minsener Oog ist eine Art Schmutzrechen für die Deutsche Bucht. Und genau deswegen Schauplatz einer wohl bislang einzigartigen Aktion: Die Interessenvertretung der WattfahrerInnen, der Verein Soltwaters, hat etwa 40 ihrer segelnden Mitglieder versammelt, sie mit Tüten ausgerüstet. Und mit einer klaren Mission auf einen kleinen Strandspaziergang rund um das Minsener Oog geschickt: Sie sollen Plastikmüll sammeln.

Anderthalb Dutzend Boote liegen am Strand und fallen trocken, wenn Ebbe ist. Im Sommer kommen auch manchmal Wattwanderer hierher. Nun krempeln die SeglerInnen ihre Hosen hoch und waten durch 15 Grad frisches Wasser und eine Minibrandung.

Die Insel, zwei Kilometer südöstlich von Wangerooge gelegen, ist ein altes Buhnensystem aus Kaisers Zeiten. Noch heute gilt für einen Teil des Minsener Oogs „Betreten verboten“. Die Nachbarschaft zur stark strömenden Jade ist einer der Gründe für die starke Vermüllung des einstigen Sandhakens. Strudel und Neerströme, langsam ins Watt fließende Tidenströme und seichte Flutlinien – niemand kennt den Weg des Wassers genau. Fest steht nur: Die Ablagerungen sind sehr müllreich und nicht nur der Minsener Oog ist betroffen, sondern auch Wangerooge, die unbewohnte Insel Mellum auf der anderen Jadeseite, und so weiter und so fort.

„Wenn Sie im Sand einen verschlossenen Plastik-Container finden: Nicht aufdrehen und dran schnüffeln“, sagt Gerald Millat, der Chef des Nationalparks Wattenmeer. „Es könnte das letzte gewesen sein, was ihre Nase jemals gerochen hat.“ Müll zu sammeln ist gar nicht so harmlos, wie man denken mag. „Und wenn da etwas aussieht wie eine alte Bombe: Liegen lassen, vermelden und nicht dagegen kicken.“

Es ist die erste Aktion dieser Art von Soltwaters. Deren Vorsitzende Iris Bornhold ist sonst mehr auf Versammlungen und politischem Parkett unterwegs. Denn obwohl die ganze Aufräumerei mit Protest verwechselt werden könnte, demonstriert sie doch nur, wie Menschen im und mit dem Watt zu leben gedenken. Schließlich gibt es einen Nationalpark, behördlich verwaltet, und allerlei Befahrensregelungen.

Doch es drohen Änderungen derselben, die bislang noch diffus sind, und in der schwelenden Debatte darüber, wie diese konkret ausfallen sollten, führt Soltwaters die Riege der gut Informierten an. Doch Brandreden sparen sie sich auf dem Minsener Oog. Hier geht es um die Demonstration von Kooperationsbereitschaft, eine Art Friedensmission also. Alle Spekulationen um drastische Änderungen der Regeln für Wattfahrer bleiben deshalb außen vor. Auch wenn Soltwaters mit den Behörde sonst auch gerne mal im Clinch liegt. Stattdessen sollen weitere Aufräumaktionen folgen.

Die MüllsammlerInnen verstehen sich denn auch weniger als UmweltaktivistInnen. Sie kommen als SeglerInnen aus den umliegenden Vereinen, die neben ihren flachgehenden Booten an diesem Samstag auch gleich Kinder und Enkel mitgebracht haben. Letztere bekommen übrigens eigene Tüten. Und sammeln besonders energisch.

Über fünfeinhalb Kilometer lang ist ein Marsch um die Insel, an die sich im Norden über Buhnensysteme weitere Sandbänke anschließen. Doch der für Wanderer eher überschaubare Weg fördert am Ende insgesamt 17.835 Teile zutage, die alle in die Sammelbeutel der TeilnehmerInnen und schließlich in am Strand verteilte Big Bags wandern. Netze und Schnüre sind darin, Plastikplanen und Kunststoff-fäden von Verpackungen. Vor allem aber Abfälle, die der kommerziellen Schifffahrt zuzuordnen sind. Eine Studie der Universität Oldenburg stützt diese These übrigens.

Die jadezugewandte Ostseite der Insel hält dabei mehr Müll parat als der Westen des Minsener Oogs. Auch Reste von geplatzten Luftballons sind dabei und eine Trauerschleife, aus Polyester: „In Liebe und Dankbarkeit“ steht darauf. Dabei dürfen BestatterInnen bei Seebestattungen gar kein Polyester zulassen. Den Höhepunkt der Müll-Inspektion bildet der Anblick verwaister Eisenbahnschienen. Über und über sind sie mit bunten Netzresten behängt. Und zwar so fest und unentwirrbar umwickelt, dass es viele Stunden, schweres Gerät, Äxte, Messer und Sägen bräuchte, um das rostige Eisen auch nur sichtbar zu machen.

Dennoch folgt hier keine Schimpftirade gegen die internationale Plastikvermüllung. Jeder in der Runde weiß, dass ein Fitzelchen Plastik nur schwer wieder aus der Welt zu schaffen ist, wenn es erst einmal existiert und, gerade auf Weltmeeren, niemand für seine Entsorgung so richtig zuständig ist.

Und so schwelt in den Ozeanen ein Riesenproblem. Das aber erstmal kaum einen Menschen wirklich akut betrifft. Die örtliche Tierwelt indes schon, denn altes Plastik ist wenig nahrhaft. „Wenn die Vögel anstelle ihrer üblichen Nahrung buntes Plastik fressen, verhungern sie mit vollem Magen“, sagt Millat. Und das kommt häufig vor, denn auch alt verliert buntes Plastik wenig von seiner Farbe, das Federvieh stürzt sich darauf wie auf bunte Angelköder. Apropos: Auch Angelköder sammeln sich hier – nur sind noch Haken dran.

Hinzu kommt, dass sich Vögel in bunten Schnüren verheddern. Und ein Mordsspektakel veranstalten, weil sie dann nicht mehr wegfliegen können. Für andere Tiere bedeutet ein Mordsspektakel ja oft, dass es etwas zu holen gibt. Von der Attraktion angelockt, flattern also andere Tiere herbei, verheddern sich ebenfalls und verenden gemeinsam mit jenem Tier, das die bunte Schnur als erstes gefunden hat.

Unter dem Minsener Oog gibt es, wie bei anderen ostfriesischen Inseln auch, weitere Abfälle: eine sieben Meter starke Munitionsschicht. Nach dem zweiten Weltkrieg waren die Inseln beliebtes Verklappungsgebiet. Und laut dem Nationalparkgesetz sind unerlaubte Sprengungen im Watt bei Strafe verboten. Auch, wenn vieles andere erlaubt ist.

Und ab hier streiten Behörden, PolitikerInnen, WissenschaftlerInnen, Soltwaters und andere. Hier greifen Winkelzüge und es melden sich sogar Traditionalisten zu Wort. Denn die Kleinschifffahrt im Watt, mit ihren Ewern, Tjalken und Galeoten ist fast so uralt wie das Watt selbst.

Und es war und ist nicht nur ein schützenswertes Naturerbe, sondern auch ein Verkehrsweg, für den der Staat also „Sicherheit und Leichtigkeit“ zu garantieren hat, wie es im Gesetz heißt. Genau die sehen die WattfahrerInnen gefährdet, wenn sie Kraft einer neuen Verordnung – so vermuten sie – großflächig aus dem Watt verbannt werden sollen und nicht mehr wie derzeit auf sichere und ruhige Wattflächen ausweichen oder ankern können.

Beim abschließenden Palaver im Hafen des Nordsee-Heilbades Horumersiel an der Jade offenbart sich ein Teil des Problems rund um den Plastikmüll. Weil die goldene Abendsonne es bescheint. Eine ausgeprickte Rinne, an deren Rand sich Robben aalen – trotz vorbeituckernder Segler. Daneben: Eine Phalanx von auf den Weser-Jade-Port zustrebender Containerfrachter. Es sind zwei Universen, in direkter Nachbarschaft.

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