Panter V Menschenhandel, Zwangsprostitution und sexualisierte Gewalt – Alltag im sächsisch-tschechischen Grenzgebiet. Der KARO e. V. hilft den Betroffenen, Sicherheit und Selbstbestimmung zurückzuerlangen
: Für die Freiheit der Frauen

„Unsere Gesellschaft lässt diese Menschenrechtsverletzungen zu“ – Cathrin Schauer (r.) und Anna Lüttich von KARO e. V. Foto: Anja Weber

AUS PLAUEN Marion Bergermann

Babyklappe“ steht auf einem großen Schild, das schon von Weitem zu lesen ist. Es hängt an einem Eckhaus in der sächsischen Kleinstadt Plauen. Die Baby­klappe gehört zum Angebot des Vereins KARO e. V., der Frauen, Jugendlichen und ­Kindern, die von sexualisierter Gewalt und Zwangsprostitution betroffen sind, Hilfe anbietet.

In ihrem freundlichen, hellen Büro, das sich ebenfalls in einer Kleinstadt im sächsischen Grenzgebiet zu Tschechien befindet und das nur nach vielen Stufen und einer stets abgeschlossenen Tür erreicht werden kann, empfängt Geschäftsführerin Cathrin Schauer. Die gelernte Krankenschwester, Sozialpädagogin und Sozialarbeiterin erzählt von der Arbeit ihrer Einrichtung: Betroffene Frauen nehmen aus unterschiedlichen Gründen mit ihr Kontakt auf. Manche suchen psychosoziale Beratung, Unterstützung bei Anzeigen oder beim Ausstieg aus der Prostitution. Einige sind aus einem Bordell geflüchtet oder wurden durch eine Polizeirazzia befreit.

Im Treppenhaus hängen Collagen, von Frauen gestaltet, die ausgestiegen sind. Zwangsprostitution macht für Cathrin Schauer den größten Teil der Prostitution aus. „Wir kennen Frauen in Tschechien, die sagen, ich muss auf die Straße, ich habe kein Geld, meinen Kindern etwas zu essen zu kaufen. Sie werden nicht jeden Tag verprügelt und müssen sich da hinstellen, aber sie brauchen das Geld. Zwang ist nicht immer nur Gewalt und Bedrohung. Auch wirtschaftliche Not ist Zwang.“ Ebenso deutsche Prostituierte kommen zu ihnen, die hohe Mieten in Bordellen zahlen müssen und eine Aufstockung vom Jobcenter brauchen.

Dafür hat der Verein zwei Beratungsstellen, in Plauen und im 60 Kilometer entfernten Cheb in Tschechien. In den Beratungsstellen können sich Frauen und Jugendliche Unterstützung holen, mal Wäsche waschen. Es gibt ein sexualpädadagogisches Angebot für Kinder, die im Prostitutionsmilieu aufwachsen, selbst schon Gewalt oder Missbrauch erfahren haben oder davon bedroht sind. Das sind in der Umgebung von Cheb nicht nur Kinder von Prostituierten, sondern auch solche, die Prostitution täglich vor ihrer Haustür sehen.

Permanenter Frauenhandel

KARO e. V. setzt sich seit 1994 in Sachsen und Tschechien für von sexualisierter Gewalt, Menschenhandel und Zwangsprostitution betroffene Frauen, Kinder und Jugendliche ein.

Der Verein bietet Schutz durch Wohnangebote, Beratungen und Streetwork.

Kontakt: info@karo-ev.de

Alle Infos: www.karo-ev.de

Seit 1996 engagiert sich KARO in der Grenzregion. Die Kleinstadt Cheb liegt an den Übergängen von Sachsen, Bayern, Tschechien und ist Durchfahrtstrecke für Verkehr von und nach Osteuropa. Diese Region sei so kritisch, weil es dort ein extremes Wohlstandsgefälle gebe, sagt Sozialarbeiterin Schauer. „Der Sextourismus dort ist seit den neunziger Jahren enorm gewachsen“, berichtet sie. Größtenteils sind es deutsche Männer, die herkommen. Sie traf dort viele Minderjährige, teilweise Kinder, die zu Freiern ins Auto steigen.

„Die Frauen, speziell in diesen Grenzregionen, werden permanent gehandelt. Sie erzählen ganz selbstverständlich: Ich bin verkauft worden. Das ist per Definition nicht der direkte Menschenhandel. Es ist aber für uns auch Menschenhandel, wenn eine Frau von der Straße in ein Bordell in einer anderen Stadt oder in ein anderes Land verkauft wird.“

In Statistiken tauchten diese Fälle nicht auf, weil die Frauen keine Anzeigen erstatteten, ergänzt Schauer. Im Jahr 2014 wurden laut dem Bundeskriminalamt 557 Personen Opfer des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung. Das BKA schreibt dazu, dass „von einem nicht unerheblichen Dunkelfeld im Bereich der sexuellen Ausbeutung auszugehen“ sei.

Auch zu Familien in der Gegend fahren die MitarbeiterInnen. Sie übergeben Lebensmittel, Hygieneartikel oder Kleidung für die Kinder. Einmal im Monat machen sie eine Suppenküche. Dieses Jahr veranstaltete KARO zum sechsten Mal ihr Sommercamp für Kinder aus sozial schwachen Familien.

In Plauen wird die Arbeit von KARO nicht gern gesehen, durchaus symptomatisch für ganz Sachsen

Später führt Anna Lüttich, Sozialarbeiterin bei KARO, durch die im Vogtland verteilten Schutzwohnungen. Frauen oder Mütter, die ausgestiegen sind oder sexuellen Missbrauch erfahren haben, können hier wohnen. Die Zimmer sind bunt gestrichen. Für Mütter gibt es Doppelbetten, in einem Kinderzimmer steht Spielzeug, ein Maltisch.

Lüttich berät und arbeitet mit den Frauen und deren Kindern. Sportstunden im kleinen Fitnessraum, Erziehungsberatung, Kinderangebot, damit die Mütter auch Freizeit haben, wie sie erklärt. „Wir versuchen, dass das ein Ort der Ruhe ist, wo die Frauen ihre Erlebnisse verarbeiten können.“ Die Bewohnerinnen helfen sich manchmal untereinander, wenn jemand neu kommt, erzählt Lüttich.

„Sexarbeit“, ein problematischer Begriff

KARO macht aufmerksam auf den Zusammenhang von Prostitution und Menschenhandel. Dass Menschen sich frei gewählt für diesen Beruf entscheiden, „das gibt es für uns nicht“. KARO arbeitet mit und für Menschen, die sich in diesem Milieu bewegen, ist aber gegen Prostitution, präzisiert die Geschäftsführerin. „Weil ich im Laufe der mittlerweile 21 Jahre keine einzige Frau getroffen habe, die freiwillig der Prostitution nachgeht. Oder sagt, mein Job ist toll. Auch wenn der Zwang zur Prostitution ganz unterschiedlich war und nicht immer mit Gewalt verbunden ist.“

Der taz Panter Preis: zeichnet Menschen aus, die sich mit starkem persönlichen Einsatz für eine bessere Welt engagieren. Jedes Jahr werden dafür zwei mit je 5.000 Euro dotierte Preise verliehen.

Porträts: Bis Ende Juli stellen wir Ihnen die sechs nominierten Einzelpersonen und Initiativen hier in der taz.am wochenende vor.

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Verleihung: Am 17. September werden Leser*innen- und Jurypreis im Deutschen Theater Berlin verliehen.

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Den Begriff „Sexarbeit“ findet sie daher problematisch. Dass sie sich damit gegen feministische Forderungen von und für Sexarbeiter*innen aussprechen, ist dem Verein bewusst. Den Anteil von selbst bestimmten Sexarbeiter*innen hält Schauer für sehr gering. „Was nichts damit zu tun hat, dass wir deshalb Prostituierte diskriminieren“, betont sie.

24 Stunden sind sie erreichbar, viel zu tun für die elf MitarbeiterInnen, zwei davon in Vollzeit, und die vielen Ehrenamtlichen. Seit 2007 tragen sie sich nur von Spendengeldern. Armut und Perspektivlosigkeit begünstigen einen Einstieg in die Prostitution, ebenso wie Gewalt in der frühen Kindheit: „Die Mädels und Jungs sind viel anfälliger, weil sie schon sehr früh gelernt haben, sich von ihrem Körper abzuspalten“, so Schauer.

In Plauen, einem Städtchen mit renovierter Altstadt, wird die Arbeit von KARO nicht gern gesehen – durchaus symptomatisch für ganz Sachsen. Was genau der Verein mache, würden viele nicht wissen wollen, meinen die MitarbeiterInnen. Prostitution, sexualisierte Gewalt, zu hart, zu düster, als dass Menschen dagegen etwas unternehmen wollen? „Es spiegelt wider, was eine Gesellschaft zulässt. Dazu gehört jeder Einzelne. Und unsere Gesellschaft in Deutschland oder Europa lässt diese Menschenrechtsverletzungen zu“, so Cathrin Schauer.