Kolumne Rollt bei mir: Das ist keine Inklusion

Bei den Paralympics hört man kaum Kritik. Stattdessen werden Sportlerinnen ob ihres „schweren Schicksals“ bewundert.

Der paralympische Schwimmen Daniel Dias am Beckenrand. Dias hat keine Unterarme

Kann man Daniel Dias bewundern, noch bevor er überhaupt geschwommen ist? Foto: reuters

Mit der Eröffnungsfeier am kommenden Mittwoch beginnen die Paralympics in Rio de Janeiro. Für Deutschland treten 155 AthletInnen an. Trotz angedrohtem Bankrott der Spiele, trotz der Kritik an der Infrastruktur der Gastgeberstadt. Die brasilianische Vogue hatte letzte Woche das i-Tüpfelchen auf die Negativ-Schlagzeilen gesetzt: Bei einer Werbekampagne für die Spiele waren Models ohne Behinderung abgelichtet worden – erst in der Bildbearbeitung wurden sie zu behinderten Menschen. Mal fehlte ihnen ein Arm, mal ein Bein.

Paralympische SportlerInnen werden in Werbekampagnen oder Medienberichten des Öfteren zu „Superhumans“, so etwas wie Übermenschen stilisiert oder als die „wahren Olympia-Helden“ bezeichnet. Weil sie seit einem schweren Unfall mit Rollstuhl unterwegs oder mit einem verlorenen Bein oder Arm leben. Sport ist der wichtige Motor, der sie wieder fit macht, körperlich und auch mental. Sie hätten zurück ins Leben gefunden, heißt es dann oft in den Medien über die Spitzensportler. Dieses Bild bricht die Menschen auf die Behinderung runter und ist außerdem nicht vollständig: Denn wohin sollen die AthletInnen, die eine angeborene Behinderung haben, „zurückkehren“? Sie haben keine sieben Leben.

Die grundsätzliche Frage ist, warum die behinderten SportlerInnen die Helden oder Übermenschen sein müssen. Sieht man einen Menschen mit Behinderung auf der Straße, ist er nicht auch automatisch ein Held. Ganz im Gegenteil, er ist ein Opfer des Schicksals, wenn man ihn an den Rollstuhl „gefesselt“ sieht. Natürlich sind SpitzensportlerInnen bewundernswert, aber sie sollten es aufgrund ihrer sportlichen Leistung und nicht aufgrund ihres „schweren Schicksals“ sein.

Es ist ein bisschen so wie neulich im ZDF, als der Fernsehsender es wagte, eine Fußball-Kommentatorin, Claudia Neumann, während der Europameisterschaft ans Mikrofon zu lassen. Man(n) ließ sich aus über Stimme, über die Art und Weise des Kommentierens. Neumanns Wissen und Können wurden in Frage gestellt. Ein User schrieb, Frauen dürfen Frauenfußball kommentieren, aber keine richtigen Spiele. Ein anderer meinte, Frauen seien besser in der Küche aufgehoben. Der Job von Frau Neumann trat in den Hintergrund, weil sie eine Frau war.

Behinderte Menschen werden dafür bewundert, sich nicht aufgegeben zu haben. Wenn sie dann sogar noch Spitzensport treiben – übermenschlich!

Behinderte Menschen haben nicht das Problem, dass sie kritisiert werden. Im Gegenteil, sie werden bewundert, sich nicht aufgegeben zu haben, obwohl sie eine Behinderung haben – allein dafür zollt man ihnen Respekt. Wenn sie dann sogar noch Spitzensport treiben – übermenschlich! Aber: Damit lenkt man wie bei Frau Neumann von der eigentlichen Leistung ab.

Aufgrund der Behinderung gibt es aber eine gefühlte Nachsicht unter den Zuschauerinnen und Zuschauern gegenüber den SportlerInnen. Auch der Druck, eine Medaille zu holen, wird medial gar nicht erst in jenem Maße wie bei den Spielen vier Wochen zuvor aufgebaut. Schuld daran ist auch die geringere Aufmerksamkeit und Sendezeit bei den paralympischen Spielen. Kuschelpädagogik ist aber nicht das Ziel der Inklusion. Begegnungen auf Augenhöhe sind es, die zählen.

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Judyta Smykowski, geboren 1989 in Hamburg, Studium des Onlinejournalismus und Kulturjournalismus in Darmstadt und Berlin, arbeitet als Texterin und Referentin beim Berliner Sozialhelden e.V. und als freie Redakteurin bei der taz. In ihrer Kolumne schreibt sie über das Leben mit Rollstuhl und den Umgang der Gesellschaft mit behinderten Menschen.  

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