Der Mann, der den Beat brachte

Urgestein Dass Gerd Augustin 1962 den Atlantik überquerte, hatte nachhaltige Auswirkungen auf das deutsche Musikbiz. Heute wird der Ex-Manager von Ike und Tina Turner 75

Möchte nicht immer nur über die alten Zeiten reden, auch wenn daran schwerlich ein Weg vorbei führt: Gerd Augustin Foto: Nikolai Wolff/Fotoetage

Von Henning Bleyl

„Wenn Udo das Wort Popstar in den Mund nahm, dann lachten wir alle laut los. Ihm hätte das wirklich keiner zugetraut.“ Solche Anekdoten kann man getrost erzählen, wenn man mit Lindenberg eng befreundet ist. Erst recht, wenn man Lindenbergs Werk „El Panico – wie werde ich Popstar?“ mitverfasst hat, wenn man also Gerd Augustin heißt. Noch immer parkt Lindenbergs Porsche gelegentlich vor einem Seniorenwohnstift mitten in der Bremen. Dort lebt sein alter Kumpan Augustin, der für den Beat, den Rock und den Underground Bahnbrechendes tat. Heute feiert er in ziemlicher Stille seinen 75. Geburtstag.

Augustin, der bunte Vogel, zurückgekehrt in seine Heimatstadt Bremen, hat es hier nicht leicht. Es ist kein Jahr her, dass Radio Bremen endlich offiziell anerkannt hat, was Augustin der kleinsten ARD-Anstalt bescherte – und der ganzen Republik: den Beat-Club. Die erste Musiksendung des deutschen Fernsehens, in der angelsächsische Stars auftraten. Also The Who, The Cream, Deep Purple, Jimi Hendrix oder Led Zeppelin.

Der Beat-Club, den Augustin konzipierte und anfangs moderierte, veränderte in der zweiten Hälfte der 1960er die bundesdeutsche Gesellschaft. Soziologisch war sie ein TV-Vorläufer der Apo, konkret eine Sendung, vor deren Ausstrahlung sich Ansager Wilhelm Wieben beim älteren Publikum entschuldigte – der Beat-Club beschleunigte den Untergang des Abendlandes.

Laut Infratest sahen 63 Prozent der Deutschen unter 30 Jahren regelmäßig zu. Bremen war damals, kaum noch zu glauben, die deutsche Beat-Hochburg – und der Sender das Experimentier-Labor der ARD, die ihre jungen Zuschauer nicht an US-Soldatensender verlieren wollte.

Von diesem Teil seiner Biografie redet Augustin nicht allzu gern – schon gar nicht zu seinem Geburtstag. Besucht man ihn im Remberti-Stift, dann will er lieber Bilder zeigen. Die Wände sind Galerie. Petersburger Hängung, zurückhaltend gesagt. Sein Leben lang hat Augustin Kunst gesammelt, auch selbst fabriziert, und dann natürlich die vielen Fotos.

Augustin im Bild mit allen

Augustin mit Ike und Tina Turner, deren Europadurchbruch er managte. Augustin mit Marius Müller-Westernhagen, den er entdeckt hat. Damals in Gestalt der Single „Gebt Bayern zurück an die Bayern“, eine Coverversion von Paul McCartneys „Give Ireland back to the Irish“. Augustin mit Bands wie Amon Düül II, Can oder Popol Vuh, mit denen er die Musik der Werner-Herzog-Filme produzierte. Augustin mit Jimi Hendrix, zehn Tage vor dessen Tod. Augustin mit Amr Diab, den er 1989 in Kairo im Taxi hörte und nach Deutschland brachte. Augustin irgendwie mit allen. Ein Leben mit enormem Radius, eine Energiewolke, für deren Kondensierung nur noch die Wände einer 50-Quadratmeter-Wohnung zur Verfügung stehen.

Klar, dass Augustin nicht auf den Mr. Beatclub „reduziert“ werden möchte. Zumal der Beat-Club ein Baby ist, um dessen Vaterschaftsanerkennung Augustin jahrelang kämpfen musste. Nach der siebten Sendung war er raus, offiziell, weil er sich beim Ablesen der Hitparade verhaspelt habe. In Wahrheit, weil er mit Co-Moderatorin Uschi Nerke nicht konnte, die aber die besseren Karten bei den Sender-Gewaltigen hatte. Später ging es um Geld: Der Beat-Club ist Radio Bremens Produktion mit den höchsten Erlösen. Die frühen Mitschnitte der Stars sind international gefragt.

Rechtzeitig zum 50. Beat-Club-Jubiläum im vergangenen Jahr haben sich Augustin und der Sender versöhnt, der Kopf ist frei für das, was Augustin auf anderen Frequenzen so anstellt. Vor allem auf der, die früher Offener Kanal hieß. Dort ist er seit Jahren als Anarcho- und Ego-Moderator präsent.

„GA/GA“ stand immer auf dem Fernsehproduktionsplan des Bürgerfunks, „Gerhard Augustin präsentiert Gerhard Augustin“ – eine unvergleichliche Mischung aus Speaker’s Corner, Spontantheater und Harald Schmidt. Das alles als Mega-Vorspann zu Trouvaillen aus Augustins unerschöpflichem Musikfilmarchiv – und garniert mit dem Charme der spezifischen Livesendebedingungen des Offenen Kanals, wo die Yuccapalme hinter dem Monitor aufragt und Besucher am Moderator vorbeilaufen. Mit despektierlichen Äußerungen über Bremer CDU-Politiker wie den früheren Kulturstaatsminister Bernd „Bernie“ Neumann handelte sich Augustin sogar ein temporäres Sendeverbot ein.

Als Augustin 1962 mit dem Kohledampfer „MS Erna Legenhusen“ über den Atlantik fuhr, entfloh er einer Welt, in der der Vater Sparkassendirektor war und der Bruder Bundeswehrgeneral wurde. Zwei Jahre später legte er als erster Disc Jockey Deutschlands im „Montparnasse“ am Bremer Ostertorsteinweg auf, später arbeitete er als „Kreativ-Direktor“ bei Liberty Records/United Artists Records in München, damals das progressivste deutsch-amerikanische Label.

Apartheid im Bandhotel

Wenn Augustin aus dem Innenleben des Musikbiz erzählt, sind das nicht in erster Linie die Storys von den berüchtigten tagelangen Partys in Ike Turners kokaingeschwängertem Tonstudio-Bunker. Sondern eher die von rassistisch und daher auch logistisch bedingt schwierigen Tourneen, bei denen die schwarzen und weißen Bandmitglieder nicht im selben Hotel übernachten durften. Oder die von Bill Graham, der ursprünglich Wolfgang und noch ursprünglicher Wolodia Grajonca hieß. Als Achtjähriger entkam er mit einem Kindertransport nach Tanger und schließlich nach Queens, seine gesamte Familie starb im KZ oder auf der Flucht.

Die Dinge zu den Geschichten, die Augustin erzählen kann, lagern zu großen Teilen auf dem Dachboden und in Kellerräumen des Remberti-Stifts. Früher hat sich Augustin um die Einrichtung einer musealen Music Hall bemüht, in die er und seine Freunde ihre Raritäten einbringen könnten. Ein Bremer Beat-Museum schwebte ihm vor, aber dazu ist es nie gekommen. „Jetzt bin ich an einem Punkt“, sagt er, „wo ich es dem Zufall überlasse, was aus meiner Sammlung wird.“ Gelassenheit ist nicht die schlechteste Haltung, um einen 75. Geburtstag zu feiern.