Unternehmer im Raubtierkäfig

Start-up-show Wenn Unternehmer sich bei Vox einem Casting unterziehen – treffen sie ab sofort auf den umstrittenen Finanzunternehmer Carsten Maschmeyer: Der sitzt in der Jury der dritten Staffel der Gründer-Show „Die Höhle der Löwen“

Kann nicht erstaunt oder gönnerhaft gucken – und einen grübelnden Gesichtsausdruck bekommt er auch nicht hin: Carsten Maschmeyer Foto: Karlheinz Schindler/dpa

Von Rene Martens

Sind „Dirndl-Unikate nach Maß“ und eine 1.500 Euro teure Mundschiene, die zur Leistungssteigerung im Sport führen soll, weil sie zur Entkrampfung im Wettkampf beiträgt, attraktive Geschäftsideen? Oder doch eher ein Fabrikat, das einem beim Bügeln von Ärmeln hilft, und dessen Erfinder die „Vision“ hat, „in jedem Haushalt“ präsent zu sein?

Das kann man seit Montag in der dritten Staffel der Start-up-Castingshow „Die Höhle der Löwen“ (DHDL) erfahren, in der die „Visionäre“ hinter diesen Produkten für sich werben. In der Sendung versuchen Unternehmer, die eine Finanzspritze gut gebrauchen können, ihre Ideen einer aus sehr reichen Unternehmern bestehenden Jury schmackhaft zu machen. Mehr als 1.000 Kandidaten haben sich dafür beworben, in einer der elf Folgen Geldgeber gewinnen zu können.

Die Idee für dieses Format stammt ursprünglich aus Japan, mittlerweile gibt es Ableger in rund 30 Ländern. Für Vox ist „Die Höhle der Löwen“ ein großer Erfolg: Im Durchschnitt erreichte die zweite Staffel einen Marktanteil von sieben Prozent (zwei Millionen Zuschauer) – damit lag die Sendung zwei Prozent über dem Senderschnitt. Vox-Chef Bernd Reichert sagt, DHDL sei „eine der emblematischsten Marken, die wir haben“.

Um die Quote noch zu steigern, ersonnen die Senderverantwortlichen einen aufmerksamkeitsökonomisch cleveren Schachzug: Sie engagierten als einen von zwei neuen Juroren den Unternehmer Carsten Maschmeyer. „Make Money mit Maschmeyer“, titeln bereits die Stabreim-Giganten von TV Spielfilm. Die Rekrutierung des Milliardärs ist auch ein Politikum. 1998 unterstützte Maschmeyer mit Anzeigen Gerhard Schröders Kanzlerkandidatur („Der nächste Kanzler muss ein Niedersachse sein“), später kaufte „der Häuptling der Hannover-Connection“ (Süddeutsche Zeitung) die Buchrechte für dessen Autobiografie für einen Millionenbetrag und finanzierte Anzeigen für die Autobiografie Christian Wulffs. Über Schröder habe Maschmeyer „die Politik beeinflussen können“, schrei­ben die Journalisten Wigbert Loer und Oliver Schröm in ihrem 2014 erschienenen Buch „Geld. Macht. Politik: Das Beziehungskonto von Carsten Masch­meyer, Gerhard Schröder und Christian Wulff“. „Die Nähe zum deutschen Bundeskanzler brachte Maschmeyer Beachtung und Respekt in der Versicherungsbranche, machte ihn darüber hinaus auch zum attraktiven Geschäftspartner.“

Haben Menschen, die derart politisch Einfluss zu nehmen in der Lage sind, eigentlich etwas zu suchen in den Jurys von Unterhaltungsshows? Die Frage stellte sich unter anderen Vorzeichen auch bereits bei zwei bisherigen Juroren: Die FDP-Politikerin Lencke Steiner ist ausgestiegen, weil sie seit rund 15 Monaten der Fraktion ihrer Partei im Bremer Senat vorsteht, und der frühere SPD-Europaparlamentarier Vural Öger aus Hamburg hat sich verabschiedet, nachdem seine zwei Firmen insolvent gegangen sind. Maschmeyer und das Fernsehen – das war bisher eine nicht immer einfache Beziehung.

In den Jahren 2010 und 2011 waren vor Gerichten in Köln und Berlin 18 Verfahren anhängig, die Maschmeyers Medienanwalt Matthias Prinz aufgrund verschiedener Filme gegen den NDR angestrengt hatte – unter anderem wegen „Abzocker Maschmeyer“. In der im Internet weiterhin abrufbaren Reportage ist die Verzweiflung von Menschen dokumentiert, die hoch verschuldet sind, weil sie sich von Beratern der von Maschmeyer gegründeten und später in dem Konzern Swiss Life aufgegangenen Firma AWD hochriskante Finanzprodukte hatten aufschwatzen lassen.

Haben Menschen mit Einfluss eigentlich etwas zu suchen in den Jurys von Unterhaltungsshows?

Im Vorfeld der Ausstrahlung eines weiteren Films – „Der Drückerkönig und die Politik. Die schillernde Karriere des Carsten Maschmeyer“ – faxte der Top-Jurist Prinz den Intendanten der ARD-Anstalten rund 60 Seiten. Ein unseriöses Werk planten die bösen Buben vom NDR – so der Tenor des Konvoluts. Die juristische Auseinandersetzungen endeten schließlich mit einem Vergleich.

Der frühere „Drückerkönig“ Maschmeyer ist mittlerweile als Start-up-Investor aktiv, vor allem im Bereich Technologie, „Nachdem ich mein Unternehmen an Swiss Life verkauft hatte, habe ich das mal ein halbes Jahr lang genossen. Aber wenn man sich morgens nach dem Frühstück nur noch fragt, ob man nun zuerst ein Buch liest und danach joggen geht oder umgekehrt – dann wird das relativ schnell langweilig“, hat er gerade der Wirtschaftswoche erzählt, und es ist natürlich erfreulich, dass Vox dazu beiträgt, diese unerträgliche Langeweile etwas abzumildern.

Maschmeyer hat allerdings – das machen manche Passagen von „Die Höhle der Löwen“ deutlich – wenig Talent, vor der Kamera zu agieren. Er kann nicht erstaunt, nicht anerkennend und nicht gönnerhaft gucken, einen grübelnden Gesichtsausdruck bekommt er auch nicht so richtig hin, und er formuliert gestelzt („Welche Umsatzgröße steuern Sie für dieses und nächstes Jahr an?“). Ironischerweise wirkt der 57-Jährige somit seriöser als die routinierten Mitjuroren, die teilweise auf dicke Hose machen – allen voran Frank Thelen, der Vorstandsvorsitzende der Risikokapitalfirma E42.

Der zweite neue Mann in der Jury kommt ebenfalls aus dem Norden: Ralf Dümmel, Chef der in Stapelfeld bei Hamburg ansässigen Firma DS Produkte (Tritop, Wassermaxx, Ogima Pro Blase). Er sei ein „Salesman der Superlative“, sagt der Sender. Dümmel selbst sagt, dass „DS Produkte das Leistungsspektrum für die Start-ups abrundet“ – was ein Beleg dafür ist, dass die Sendung nicht zuletzt als Werbefernsehen für jene Firmen dient, die die Juroren repräsentieren. „Unsere Investment-Cases bekommen neben dem benötigten Kapital ein Gesamtpaket bestehend aus einem weltweiten Vertriebsnetzwerk und einer eigenen Produktentwicklung, inklusive Qualitätssicherung. Das Marken- und Patent-Know-how nicht zu vergessen“, schwadroniert Dümmel gegenüber dem Portal „Gründerszene“. Solche Versatzstücke technokratischen Jargons sind nicht gerade selten in der Sendung, weshalb man sogar froh sein darf, wenn der Chef des Buchholzer Gewürzmischunganbieters Ankerkraut zu Juror Thelen sagt: „Wir bieten dir, weil wir Bock auf dich haben, 15 Prozent an.“

Der Jury-Novize Dümmel ist auch unter Cross-Promotion-Aspekten eine wichtige Person für Vox: Seine Firma DS Produkte hat zum Start der dritten Staffel mit dem in Hannover ansässigen Shoppingsender Channel 21 ein neues Format entwickelt. In dieser Sendung kann man die Produkte von Firmen kaufen, die in der Show präsentiert werden. Die neue Verkaufssendung hatte am Dienstag um 23 Uhr Premiere, zehn Minuten nach dem Ende von „Die Höhle der Löwen“.

Reiche Unternehmer von „Visionen“ überzeugen: Das Konzept der Start-up-Show Foto: Boris Breuer/Vox/dpa

Was der Vox-Zuschauer in der Show aus der Löwenhöhle zu sehen bekommt, kann sich später in der Wirklichkeit durchaus anders abspielen. Zwei Drittel der Deals, die in der ersten und zweiten Staffel vereinbart wurden, platzten später. Das ist aber auch wenig verwunderlich, denn niemand kann aufgrund einer kurzen Präsentation, die zudem nach TV-Showregeln inszeniert ist, darüber entscheiden, ob er bereit ist, ein paar 100.000 Euro für einen Anteil an einer Firma auszugeben.

In der dritten Staffel sind bisher die meisten abgeschlossenen Deals zustande gekommen. Achtung, Spoiler! In einer der neuen Folgen gelingt es einem Teilnehmer sogar, sämtliche Juroren zu überzeugen: Dinko Jurcevic, der ein Verfahren entwickelt hat, Klebstoff mit LED-Licht auszuhärten. Maschmeyer macht schließlich das beste Angebot. Er sei „durch alle Höhen und Tiefen gegangen“ und „genau der, den ich jetzt brauche“, sagt Jurcevic über seinen neuen Partner. „Er muss jetzt mit mir kämpfen.“ Maschmeyer als jemanden zu bezeichnen, der „durch alle Höhen und Tiefen gegangen ist“ – darauf muss man auch erst einmal kommen. In den Ohren jener Menschen, die sich bis heute nicht von den finanziellen Verlusten erholt haben, die sie durch AWD-Versicherungen erlitten, dürften solche Formulierungen wie Hohn klingen.

Die Sendung sei „eine unterhaltsame Fortbildung für fast jeden“, sagt Maschmeyer, und das ist natürlich eine leichte Übertreibung. Eine gewisse aufklärerische Wirkung kann man DHDL aber durchaus zugestehen: Die Fehler, die die im Fernsehen präsentierenden Start-up-Unternehmer vor der Kamera machen, halten andere möglicherweise davon ab, im richtigen Leben dieselben Fehler zu machen.