Zu Hause trauern

RuheGerade wurde in Neukölln das erste alevitische Gräberfeld Berlins eingeweiht. Nach Hamburg das zweite in ganz Europa

Alevitische Gräber auf dem St.-Thomas-Friedhof in Neukölln Foto: Wolfgang Borrs

von Hülya Gürler

Eine türkische Langhalslaute unterbricht in der Kapelle des St.-Thomas-Friedhofs in Neukölln die vormals abendländische Friedhofsstille. Anfang Oktober wurde dort das erste alevitische Gräberfeld Berlins eingeweiht. Nach Hamburg hat die alevitische Gemeinde der Hauptstadt nun das zweite Gräberfeld in ganz Europa bekommen. Drei Jahre lang hat die Berliner Gemeinde an dem Projekt gearbeitet. „Mit dem Gräberfeld haben wir ein Zeichen gesetzt: Die Aleviten sind in Deutschland angekommen. Sie werden hier dauerhaft leben. Sie wollen, dass ihre Nachkommen hier um sie trauern können“, erklärt der Generalsekretär der Alevitischen Gemeinde zu Berlin, Kadir Sahin.

Für Aleviten spiele es keine Rolle, wo man begraben wird. „Für uns ist jeder Ort heilig.“ Für Memet Gün etwa hat sein Wunsch, in Berlin begraben zu werden, auch praktische Gründe: „In meiner Heimat in Erzurum habe ich keine Verwandten mehr. Ich möchte, dass meine Kinder und Enkel, die hier leben, mein Grab pflegen können.“ Der 60-Jährige würde nach seinem Tod eines der 400 Gräber auf dem 3.000 Quadratmeter großen Grundstück bekommen. Schon jetzt ist das alevitische Gräberfeld mit einem Schild am Eingang zum Friedhof als solches markiert.

Zusätzlich wird es an Symbolen des alevitischen Glaubens erkennbar sein. Ein Tor und vier Säulen sollen den Eingangsbereich markieren. Je zwölf Gräber werden zwei Kreise bilden. Letzteres hat mit dem alevitischen Glauben zu tun. „Wir glauben, dass in jedem Menschen ein Funke Gottes ist. Deshalb werden die Köpfe der Toten im Kreis zueinander und nicht wie bei den Sunniten gen Mekka gerichtet liegen.“ Ein so angelegtes Gräberfeld sei ein absolutes Novum, meint Kadir Sahin. „So etwas wie einen alevitischen Friedhof gab es bisher auch in der Türkei nicht.“

Die alevitische Religion wird in der sunnitisch-islamisch geprägten Türkei seit Jahrhunderten unterdrückt. „Wir glauben zum Beispiel nicht an den Tod. Für uns wandert die Seele des Verstorbenen zurück in seine göttliche Wahrheit“, erklärt der Vorsitzende des alevitischen Geistlichenrates in Berlin, Ercan Yildiz. Eine Vorstellung von Paradies und Hölle gibt es anders als bei den Sunniten auch nicht.

„Uns allen war von Anfang an wichtig, dass der gesamte Friedhof ein Ort der Begegnung sein soll. Trauernde sollen sich über Kulturen und Religionen hinweg beistehen können“

Kadir Sahin, Alevitische Gemeinde Berlin

Da die alevitische Gemeinde keine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, kann sie keinen eigenen Friedhof betreiben. Deshalb wird nach wie vor der Evangelische Friedhofsverband Stadtmitte das Gräberfeld verwalten. „Wir arbeiten eng mit dem Verband zusammen. Uns allen war von Anfang an wichtig, dass der gesamte Friedhof ein Ort der Begegnung sein soll. Trauernde sollen sich über Kulturen und Religionen hinweg beistehen können,“ meint Sahin. Auf dem alevitischen Gräberfeld sollen auch Nichtaleviten bestattet werden können. Die alevitische Gemeinde würde lediglich darüber entscheiden, welche Person einen Platz bekommt. „Für uns kommen nur Verstorbene in Frage, die sich zu Lebzeiten zu Pluralität und Menschenrechten bekannt haben.“

Vom neuen Grabfeld hat so jeder etwas, Aleviten wie Nicht­aleviten, und auch der Evangelische Friedhofsverband. Dessen Geschäftsführer Jürgen Quandt erklärt, warum: „Es gibt immer mehr ungenutzte und brachliegende Flächen auf Berliner Friedhöfen.“ Nicht alle konnten bisher belegt werden. Das würde sich ändern, wenn auch andere nichtchristliche oder allgemein migrantische Gemeinden diese Flächen nutzen könnten, statt ihre Verstorbenen wie bisher in ihre Herkunftsländer auszufliegen. Ein paar Meter vor dem Gräberfeld liegen bereits einige alevitische Verstorbene.