Ohne langen Atem geht's nicht

BETREUUNG I Seit drei Jahren haben alle Kinder ab einem Jahr Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Kindertageseinrichtung. Der Weg zu einem Platz ist aber oft steinig

Wer heute einen Kita-Platz sucht, muss häufig zu Kompromissen bereit sein Foto: Mikael Andersson/Mira plainpicture

Von Annika Hennebach

In Krabbelgruppen, PEKiP-Kursen oder beim Rückbildungsyoga ist es das Thema, spätestens wenn sich der erste Geburtstag nähert: Habt ihr schon einen Kitaplatz? Denn ein Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, „hat bis zur Vollendung des dritten Lebensjahrs Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege“. So steht es jedenfalls in Paragraf 24 Absatz 2 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs, Achtes Buch.

Während es in Nordrhein-Westfalen, Leipzig oder München zu dramatischen Engpässen kommt und Eltern zum Teil ihre Rechte einklagen, seit das entsprechende Gesetz 2013 in Kraft trat, ist Berlin vergleichsweise gut aufgestellt, was die Kitas und Kindertagespflegestellen betrifft. Laut Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft gab es Ende 2015 in Berlin 72.148 ein- und zweijährige Kinder, von denen fast 70 Prozent Angebote der Kindertagesbetreuung nahmen. „Mit finanzieller Förderung aus dem Landesprogramm ‚Auf die Plätze, Kitas, los!‘, dem U3-Ausbauprogramm des Bundes, aus städtebaulichen Programmen sowie unter finanzieller Beteiligung der Kita-Träger sind seit dem Jahr 2012 in Berlin 25.000 neue Kita-Plätze entstanden“, sagt Ilja Koschembar von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft.

Und dennoch ist auch hier der Kampf um die wenigen Plätze in den beliebtesten Einrichtungen härter geworden, vor allem in innerstädtischen Bezirken wie Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte oder Prenzlauer Berg. Dort fertigen Eltern aufwendige Tabellen an, in denen sie vermerken, auf welche Kita-Warteliste sie ihr Kind eingetragen haben. Regelmäßig rufen sie die Einrichtungen an, schreiben E-Mails an sie, um mitzuteilen, dass man noch sehr an dem Platz interessiert sei. Es gibt Eltern, die Kuchen für eine Kita backen, in die ihr Kind noch nicht mal geht. Und manche Eltern ziehen bereits in der Schwangerschaft von Kita zu Kita und tragen sich fleißig in die Wartelisten ein. Mitunter stehen so Hunderte von Interessierten auf einer Liste mit nur wenigen Plätzen für Neuzugänge.

Suchmaschine der Senatsverwaltung für freie Plätze in Kitas: www.berlin.de/sen/jugend/familie-und-kinder/kindertagesbetreuung/kitas/verzeichnis

Kurzfristig freie Kitaplätze in Berlin: www.kitanetz.de/kitaplaetze/kitaplaetze.php

Freie Plätze in Berliner Kinderläden: www.daks-berlin.de/marktplatz/platzboerse/index.html

Nähere Informationen zur Kindertagespflege: www.berlin.de/sen/jugend/familie-und-kinder/kindertagesbetreuung/kinder­tagespflege

Wer mehr über den rechtlichen Rahmen wissen will: www.kitaplatz-anspruch.de

Doch solche Zahlen täuschen, sagt Tibor Hegewisch, Sprecher von Fröbel, eines freien Kita-Trägers. „Denn die Eltern tragen sich ja bei mehreren Kitas ein, die für sie infrage kommen. Das liegt auch daran, dass es in Berlin keine zentrale Verwaltung dafür gibt“, so Hegewisch. Derzeit ist es so geregelt, dass Eltern sich in den Jugendämtern ihres Bezirks frühestens neun Monate und spätestens zwei Monate vor dem gewünschten Betreuungsbeginn einen Kita-Gutschein je nach Betreuungsbedarf ausstellen lassen müssen. Dieser kann dann in der auserwählten Berliner Tageseinrichtung eingelöst werden – sofern denn dort ein Platz frei ist. Wer keinen hat oder findet, muss sich spätestens zwei Monate vor Betreuungsbeginn beim zuständigen Jugendamt melden.

Wer einen Platz in einer Waldorf- oder Montessori-Kita wünscht, eine bilinguale oder konfessionelle Einrichtung bevorzugt, der muss darum oft Alternativen in Erwägung ziehen, um am Ende nicht ohne Kita-Platz dazustehen. Trotzdem kläre sich am Ende häufig alles zum Guten, sagt zumindest Tanja Bordien von der Abteilung Kindertagespflege im Jugendamt Friedrichshain-Kreuzberg – auch „wenn vorher die Panik groß ist“. Zu Bordien kommen häufig Eltern, die von der Wunschkindertagespflege noch nichts gehört haben oder die ihre Kinder unter drei Jahren in kleineren Gruppen von qualifizierten Tagesmüttern oder -vätern familiär betreuen lassen. Oft sei das „eine Alternative zur Kita“, meint Bordien. Zumindest, bis die Kinder drei Jahre alt sind.

Wenn der Platz nicht zum gewünschten Termin frei wird, behelfen sich Eltern in anderen Bundesländern gelegentlich damit, dass sie sich zu zweit einen Kita-Platz teilen – in Berlin ist dieses „Platz-Sharing“ laut Ilja Koschembar von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft im Gutscheinverfahren aber nicht vorgesehen. Zudem würden hier überwiegend „Ganztagsplätze gebucht“, sagt Koschembar.

Eltern tragen sich bereits während der Schwangerschaft in Kita-Wartelisten ein

Leif Erichsen von der IHK berichtet indes von Berliner Unternehmen, die helfen, den beruflichen Wiedereinstieg in Kombination mit Homeoffice und durch eine parallele Betreuung des Kindes zu ermöglichen – etwa dadurch, dass Belegplätze in betriebsnahen Kitas für die Mitarbeiter reserviert werden oder eine „zeitlich begrenzte „Notfallbetreuung“ durch gebuchte Betreuungspersonen angeboten wird. Und für selbstständig arbeitende Eltern gibt es in Berlin Projekte wie „Coworking Toddler“ – ein Coworking–Büro unter einem Dach mit professioneller Kinderbetreuung, die mit Kita-Gutschein finanzierbar ist.

Tibor Hegewisch von Fröbel rät: „Gucken Sie sich frühzeitig im Kiez nach Einrichtungen um. Erkundigen Sie sich über das pädagogische Programm und nutzen Sie die Sommerfeste und andere Feierlichkeiten der Einrichtung Ihrer Wahl, um sich zu informieren.“ Vor allem aber empfiehlt Hegewisch: „Geben Sie nicht auf!“ Denn einen langen Atem, den braucht man bei der Kita-Suche schon.