Neue Software soll Rechtsberatungen ersetzen

DIGITALISIERUNG Eine Bremer Kanzlei bietet online die kostenlose Prüfung von Hartz-IV-Bescheiden an. Gewinnt sie den Widerspruch, zahlt das Jobcenter die Anwaltkosten. Beratungsstellen finden, der Computer könne das Live-Gespräch nicht ersetzen

Hartz-IV-Schriftverkehr: Eine Software soll Jobcenter-Bescheide überprüfen – die Vereinzelung der Betroffenen verhindert sie nicht Foto: Paul Zinken/dpa

Von Elisabeth Nöfer

Fünfzig Prozent der Hartz-IV- Bescheide seien fehlerhaft, sagt „Rightmart“-Gründer Markus Klock. Die Bremer Anwaltskanzlei bietet mithilfe einer Software kostenlos deren Überprüfung an. Laut Klock mit einer Erfolgsquote von 43 Prozent.

Das könnte die Rechtsberatung stark verändern. Besonders in Hamburg und Bremen, wo die Beratungsstellen überlaufen seien, sagt Klock. Diese Stellen berieten ohne Expertenwissen in allen Rechtsbereichen. In anderen Bundesländern stelle das Amt Scheine aus, mit denen Hartz-IV-EmpfängerInnen zum Anwalt gehen können.

Hartz-IV-Fälle lohnen sich für Kanzleien kaum

Solche Fälle lohnten sich für Kanzleien kaum, weil sie für Routinearbeiten keine hohen Stundensätze verlangen können, sagt „Rightmart“-Anwalt Jan Frederik Strasmann. Daher blieben viele Mandate liegen.

Für Strasmann und seine Kollegen dagegen lohnt sich das Angebot, obwohl die Ersteinschätzung kostenlos ist: Denn wenn die Kanzlei Widersprüche gegen Bescheide gewinnt, zahlt das Jobcenter die Anwaltskosten. Seit Firmenstart Anfang Mai hat „Rightmart“ rund 5.000 Mandate betreut – laut Klock über 100 Bescheide pro Tag.

Online-Prüfung kann keinen Anwalt ersetzen

Konkret läuft die Überprüfung ber eine Online-Plattform, auf der Kunden ihre Daten eingeben. Aufgrund des computergenerierten Schriftsatzes fertigen die Rechtsanwälte dann einen Widerspruch gegen das Jobcenter an. „Keine andere Kanzlei steckt so viel Wissen in den einzelnen Fall“, sagt Klock. Allerdings könne die Software nicht – wie zunächst gedacht – einen Anwalt ersetzen, sagt Klock. „Als professioneller Assistent gestaltet sie nur den Workflow.“ Durch die Automatisierung sei das Servicelevel aber deutlich höher. Tatsächlich liegt die Kanzlei auf dem Bewertungsportal trustpilot.com bei 9.6 von 10 Punkten.

Erwerbslosenverband ­Bremen hegt Zweifel

Herbert Thomsen vom Bremer Erwerbslosenverband (BEV) hegt Zweifel. Der ehrenamtliche Berater hält eine Erfolgsquote von 43 Prozent für unrealistisch. „Die Software kann nur einfache Standardfehler und falsche Eingaben prüfen“, sagt er.

Meist gehe es aber nicht um technische Fehler, sondern um politische Sanktionen. Bei vielen Geflüchteten und Menschen aus den neuen EU-Ländern gehe es also eher darum zu verstehen, wie hiesige Ämter funktionierten, und dann die richtigen Schritte zu tun.

Das aber vermittle sich am besten im persönlichen Gespräch. Der BEV bietet hier zum Beispiel Beratung auf Türkisch, Bulgarisch, Serbokroatisch und gelegentlich Arabisch an.

Ehrenamtler schaffen 3.500 Beratungen im Jahr

Beim BEV schaffen drei Ehrenamtliche 3.500 Beratungsgespräche im Jahr. Dafür müssten die Kunden auch schon mal zwei Stunden warten. Bis November ist allerdings Pause, denn die private Förderung reicht momentan nicht aus, und der Verein möchte unabhängig von staatlicher Finanzierung arbeiten.

Beraterin Gitta Barufke hält die Arbeitslosenberatung in Bremen hingegen für besonders gut aufgestellt. Sie arbeitet bei der Aktionsgemeinschaft Arbeitsloser Bürger und Bürgerinnen e. V. (Agab), die gemeinsam mit sechs anderen Stellen aus dem europäischen Sozialfonds gefördert wird.

Gitta Barufke, Aktionsgemeinschaft Arbeitsloser Bürger und Bürgerinnen
„Rightmart“-Angebot in Maßen sinnvoll

Trotzdem hält sie das Online-Angebot von „Rightmart“ für hilfreich, weil es in anderen Bundesländern keine Beratungsstellen gebe. Außerdem sei eine Beratungsstelle nicht mit der Online-Überprüfung von Bescheiden vergleichbar. Für die vielen mangelhaften Bescheide „mit absurden Fehlern“ sei völlig in Ordnung, die Prüfung der Bescheide zu rationalisieren.

Viele Hartz-IV-Empfänger kämen jedoch mit komplexen Problemen und ungeordneten Papieren. „Erklärung und Übersetzungsarbeit kann das Online-Angebot nicht leisten“, meint Barufke. Auch könne die softwaregestützte Kanzlei nicht die Lobbyarbeit der Beratungsstellen ersetzen. So treffe sich Agab regelmäßig mit der Leitung des Jobcenters, um Pro­bleme zu öffentlich zu machen und zu besprechen.

Online-Angebot künftig auch für Abmahnungen

Andererseits führe die Software von „Rightmart“ ja auch zu einer besseren Arbeit der Jobcenter, die durch die komplexen Regelungen, Personalmangel und mangelnde Schulung der SachbearbeiterInnen die Fehler in den Bescheiden erst entstehen lassen.

Und nicht nur das: In Zukunft soll das Online-Angebot auch auf andere Rechtsbereiche ausgeweitet werden. Derzeit lassen sich neben Hartz-IV-Bescheiden auch Fluggast-Entschädigungen prüfen. Bald soll das auch für Bußgeldbescheide aus dem Straßenverkehr sowie für Unfälle und Abmahnungen möglich sein.