Ostfriesland für Anfänger
:

Wo liegt Ostfriesland?

Die Gegend, um die es gehen soll, erreicht man nach Oldenburg über eine rumpelige Autobahn mit Tempo 100. Oder man fährt Baustellenslalom auf der A 31 (Ostfriesenspieß) aus dem Ruhrgebiet. Schaut man von Wittmund aus gen Amerika, liegen links die Niederlande, rechts Wilhelmshaven. Dazwischen gibt es seid Jahrhunderten Mord und Totschlag, Lug und Trug und Seeräuberei. „Maritimes Flair“ versprechen die Reiseprospekte. Im Klartext heißt das: Es regnet!

Das Beste am Norden

Weil das Wasser so schlecht war, tranken die Menschen den ganzen Tag Bier. Heute schieben sie schon mal ein Tässchen Tee dazwischen. Der kürzlich verstorbene Filsumer Knochenbrecher Tamme Hanken aus Filsum wurde von den Medien als „typischer Ostfriese, weltoffen, lebensfroh und schlagfertig“ beschrieben. Zumindest letzteres trifft auf Ostfriesen tatsächlich zu.

Die Meere

Ewiges Meer, Ottermeer, Teufelsmeer – in Emden, Rhauderfehn und Wiesmoor gibt es viel Wasser. Das sind die Meere. Keiner käme auf die Idee, die Nordsee als Meer zu bezeichnen. Die ist mal da, mal nicht. Es sollen sich schon Gäste bei einer Kurverwaltung beschwert haben, weil die Nordsee nicht da war. Um den Fremdenverkehr zu schützen, wurde das Wattenmeer sogar zum Weltnaturerbe ernannt.

Natur war mal

Ostfriesisch ist, Natur so weit auszubeuten, bis kein Baum mehr steht, keine Milch mehr zu genießen ist und die letzte Wildgans in der Tiefkühltruhe vermodert. Wenn man sich nicht gerade im hintersten Westoverledigen oder bei Burlage verirrt oder bei Hatzum, Critzum, Jemgum im Rheiderland herumtappt, ist die Landschafschaft extrem versiedelt. Auf dem Fehn, das sind trockengelegte Moore, reihen sich kilometerlang, schnurgerade Häuschen an Häuschen. Da, wo irgendwie noch Platz ist, wird ein Windpark nach dem anderen gebaut.

Die Inseln

Vor dem niedersächsischen Festland türmen sich Sandhaufen. „Idylle und Ruhe“ soll man dort laut Prospekt finden. Jedes Jahr suchen das zigtausend Touristen. Ebenso viele Hunde verwandeln jede Insel in ein Freilaufgehege. Auf den Inseln ist alles „Event“, von Schachspielen im Watt auf Baltrum, Erlebniswandern auf dem Sternenweg, und Höhenfeuerwerken zu allen Anlässen kann man „naturnah entspannen“.

Die Sprachen

Lange Zeit sprach man zwischen Neuenburg und Uplengen nur Niederländisch und Platt. Wegen der vielen Moore war der Landstrich vom Hochdeutschen abgeschnitten. Mit den ersten Straßen begann der Sprachimperialismus: Das Niederländische wurde hinter die nahe Grenze verbannt und Platt wurde den Menschen in der Schule rausgeprügelt. Heute sprechen fast alle hinter der Küste Hochdeutsch. Platt wird wieder immer häufiger gesprochen – in jedem Dorf eine andere Version. Anni Heger aus Spetzerfehn, Schauspielerin und Sängerin, moderiert im NDR die Sendung „op plat“. Sie hat Didi Hallervorden in seinem neuesten Film („Ostfriesisch für Anfänger“) sprachlich gedoubelt.

Glauben wie die Niederlande

Graf Edzard, auch der Große genannt, führte im 16. Jahrhundert die Reformation ein und beendete die Zeit der Klöster. Zusätzlich drangen über die Niederlande unzählige Glaubensvariationen nach Ostfriesland vor. Weil die Kirchenleute lesen und ­schreiben konnten, übernahmen sie vielerorts die Verwaltung. Und weil die Gemeinden niederländisch waren, war die Amtssprache Niederländisch. Das Weltzentrum der Reformierten Evangelischen Kirche ist in Leer, hier residiert der reformierte Präsident. Die Johannes-a-Lasco-Bibliothek in Emden hat eine der umfangreichsten theologischen Büchersammlungen der Welt.

Berühmte Ostfriesen

Gern wird Otto Waalkes als „der Friesenjung“ gehandelt. Gut, wenn man Karikaturen mag. Rudolf Eucken aus Aurich war tatsächlich ein Ostfriese. 1903 bekam der heute vergessene Schriftsteller den Literaturnobelpreis. Auch mit Hermine Heusler-Eden­huizen (1872–1955) aus Pewsum in der Krummhörn kann die Region gut angeben. Sie war die erste Frau, die in Deutschland als Gynäkologin zugelassen wurde. Übrigens, die „härtesten“ Ostfriesen sind meist gar keine. Sie sind Zugezogene. Und die nennt man hier „Fremschiet“. Thomas Schumacher