Viele, viele bunte Willis

Vermächtnis Mit Willi Lemke verabschiedet sich einer, der polarisierte. Er inszenierte sich als Hanseat, ärgerte Uli Hoeneß und wurde fast Bremer Bürgermeister. Hier die schönsten Storys zwischen KGB, Castro und Zwiebelmett von Ralf Lorenzen und Gareth Joswig

Willi Lemke feiert auf dem Bremer Rathausmarkt 2004 die Meisterschaft von Werder Bremen. Der Rest ist zeitlos: Krawatte, Schnauzer, Fan-Schal Foto: imago/Ulmer

Mann mit Humor

„Ich heiße den Mann, zu dem ich nach wie vor ein miserables Verhältnis habe, herzlich willkommen im Club der alten Säcke“

Willi lemke als gastredner auf uli hoeness‘ geburtstag

Willi, der Werderaner

Willi Lemke war vieles in seinem Berufsleben: Doppelagent, Politiker, Menschenfänger – in Erinnerung bleiben wird er als Werder-Willi, als Manager mit dem Geldkoffer, der ein ganzes Berufsbild prägte. Willi Brandt adelte seinen Parteifreund einst mit dem Satz: „Willi Lemke ist der lebende Beweis dafür, dass Sozialdemokraten auch mit Geld umgehen können.“

So ganz souverän bewegte er sich in der monetären Welt allerdings doch nicht, sonst hätte er sich wohl seinen Daumen nicht ausgerechnet am Panzerschrank der Werder-Geschäftsstelle böse gequetscht. Ein Vorfall übrigens, der in der Stadt für große Erheiterung sorgte. Den aber Ex-Vorstand Jürgen L. Born, den Lemke einst als Aufsichtsratschef kontrollierte, sicher nicht meinte, als er auf dem Schützenfest in Twistringen vor sieben Jahren folgenden Witz zum Besten gab: „Willi Lemke hat sich gerade für ein Management-Seminar auf Helgoland angemeldet. Für ‚Management by Jeans’– an jeder Stelle eine Niete.“ Mitunter ist Vereinskamerad die Steigerung von Parteifreund.

Willi, der alte Sozi

Der Lieblingsfeind von Lemke war über zwei Jahrzehnte sein Münchner Amtskollege Uli Hoeneß. Hier der asketische Hanseat, dort der barocke Bayer, hier der emsige Sozi, dort der CSU-nahe Würstlfa­brikant – ihre Duelle ließen in Zeiten politischer Stagnation Reste von Klassenkampf durchschimmern. Und es war kein Showkampf – sie mochten sich wirklich nicht. Lange Zeit war es unmöglich, dass einer zum anderen ins Büro ging. Als die Süddeutsche Zeitung ein Doppelinterview über die Verteilung der Fernsehgelder mit ihnen führen wollte, war das nur auf neutralem Boden in Frankfurt möglich.

Anfang der 1990er-Jahre kritisierte Lemke Hoeneß dafür, dass dieser mit seinen Geldforderungen das Image fördere, „die Bundesliga sei geldgierig und vermessen“. Hoeneß konterte, Lemke sei der Erste, der nachher die Hand aufhielte: „Nur die Prügel, die lässt er gerne den Hoeneß einstecken.“ Erst im letzten Jahr soll es im Zuge von Dreharbeiten zu einer Hoeneß-Doku zu einer Versöhnung gekommen sein.

Willi, der Zupacker

Wenn es je einen Mann der Tat gegeben hat, dann ihn, der nicht umsonst auch mal als Willi Wichtig bezeichnet wird. Diese Fähigkeit, die ihn heute dazu befähigt, Bolzplätze für Kinder in Afrika zu bauen, hat er sich in all den Werder-Jahren erworben, in denen er eine Truppe satter Müßiggänger auf Trab brachte. So wie am 22. November 1989, als spätabends am Flughafen von Neapel das Chaos herrschte, und die nach dem 3:2 über die Maradona-Elf siegestrunkenen Spieler und Fans ziellos durch die Hallen liefen.

Lemke schnappte sich ein Megafon, stieg auf eine Kiste, und zeigte dem Flughafenpersonal, was Organisation ist. Im Nu war die Maschine gefüllt und konnte abheben. Und vor allem: Sie war rechtzeitig in Bremen, bevor das Nachtlandeverbot eine Landung in Hamburg erzwungen hätte. Dass das Sieger-Bier auf dem Rückflug grad reichte, bis die Flughöhe erreicht war, konnte aber auch Organisationsgenie Lemke nicht verhindern.

Willi, der Retter in der Not

Den Fußball der 1980er-Jahre verklären Nostalgiker gern als die gute, alte Zeit. Denn wenn man mal von Fan-Toten nach Hooligan-Ausschreitungen und Massenpaniken absieht, gab es im damaligen Fußball noch verhältnismäßig wenig Kommerz. Die Spieler waren keine haargeltriefenden PR-Profis, die vor Mikrofonen nur von Spiel zu Spiel denken, sondern „echte Typen“ mit allen dafür notwendigen Eigenschaften: Zweikampfhärte, Trinkfestigkeit, tolles Auto.

Zwei Beispiele dafür sind etwa die Werder-Spieler Jonny Otten und Norbert Meier. Die hatten eines Nachts solange im Bordell „gefeiert“, dass sie ihre Rechnung nicht mehr zahlen konnten. Ihnen ist nichts besseres eingefallen, als um zwei Uhr nachts ihren Manager Willi Lemke anzupumpen. Der war zuerst stinksauer, kam dann aber mit 4.000 Mark vorbei und versprach, die Rechnungen zu bezahlen. Allerdings nur unter einer Bedingung: Wenn Otten und Meier an Ort und Stelle neue Verträge unterschrieben. Wortlaut: „Jetzt ist der Zeitpunkt, einmal zu überlegen, ob ihr eigentlich zufrieden seid bei Werder.“ Den Papierkram hatte Lemke gleich mitgebracht. Otten und Meier unterschrieben an Ort und Stelle und Werder Bremen sparte durch die Verträge eine Menge Geld. Klassische Win-loose-Situation.

Willi, der Computerfreak

2012 wurde Lemke Opfer einer Hacker-Attacke. Gleich 100 seiner Kontakte erhielten einen Bettelbrief von seinem E-Mail-Account. Die Mail bat in gebrochenem Englisch um Geldüberweisungen, weil Lemke überfallen worden sei. Und das, obwohl sein Passwort eigentlich „sehr gut“ (wir tippen auf: „werder#1“) gewesen sei. Für einen UN-Botschafter ist das natürlich besonders peinlich, weil unter den Mail-Kontakten auch Leute wie Prinzessin Haya von Jordanien waren. Geld hat trotz gutbetuchter und adliger Empfänger leider keiner überwiesen. Verdächtige Randnotiz: Die Mail mit der Spendenbitte fällt in den Zeitraum, als Werder Bremen gerade einen Jahresverlust von 13,9 Millionen Euro verkündet hatte. Hm.

Willi, der Realpolitiker

Als die SPD fast noch sozial war, also circa 1974, war Willi Lemke sieben Jahre lang Geschäftsführer des SPD-Landesverbandes Bremen. Vierzehn Werder-Jahre, zwei Meisterschaften, drei Pokalsiege und einen Europapokal später, kehrte Lemke 1995 in die Politik zurück.

1999 wurde er Bremens Bildungssenator in der Regierung von Bürgermeister und Omaknutscher Henning Scherf. Als der zurücktrat, wollte Lemke 2005 sogar als Bremer Bürgermeister kandidieren. Nur leider entschied sich die SPD gegen ihn und für Jens Böhrnsen als Kandidaten. 2007 wurde er schließlich noch Senator für Sport und Inneres.

Trotzdem konnte Willi Lemke in seiner Zeit als Berufspolitiker einiges bewegen. Als es an einem Donnerstag im Jahre 2001 in seiner Bildungsbehörde laut Lemke „entsetzlich stank“, stellte sich schließlich heraus, dass die Kantine daran schuld war. Dort war jeden Donnerstag „Hackepeter-Tag“. Lemke schaffte den Gestank einfach ab. „Das Haus ist sowieso nicht das freundlichste, wir haben aber hier Kundenverkehr und sind eine Dienstleisterin.“ Da dürfe es nicht auch noch nach Hackepeter riechen. Nach dem „Hackepeter-Erlass“ durfte das Küchenpersonal Brötchen mit Zwiebelmett nur noch in Tupperware aufbewahren. Zusätzlich ließ der Law-and-Order-Politiker Lemke die Lüftungsschlitze in der Kantine abkleben. Lemke: „Seitdem riecht es anständig im Haus“. Seine MitarbeiterInnen sollen ihn seitdem übrigens „kleine Zwiebel“ genannt haben.

Willi, der Wohltätige

Lemke ist seit 2008 Sonderberater des UN-Generalsekretärs für Sport im Dienste von Frieden und Entwicklung. Dabei reist er um die Welt und setzt sich für soziale Projekte in bedürftigen Regionen ein. Wohltätig ist er auch zu Hause: Jedes Jahr lädt er Obdachlose in den „Bremer Treff“ zu einem Drei-Gänge-Menü. Gut möglich, dass seine Wohltätigkeit dabei von keinem Geringeren als Fidel Castro inspiriert wurde: 2000 war Lemke als Vorsitzender der Kultusministerkonferenz nach Havanna geflogen. Offiziell ging es um Kultur, aber eigentlich war Lemke als Fanboy da: Als er nach langem Warten endlich Castro trifft, ist er begeistert: „Es war unglaublich spannend. Er rückte unsere Stühle zusammen. Wir saßen Knie an Knie, um über das deutsch-kubanische Kulturabkommen zu reden.“ Lemke ist beeindruckt: „Er hielt einen langen Monolog über Aids in Afrika, sodass wir Deutschen ein schlechtes Gewissen kriegten.“ Danach planen Castro und Lemke ein Projekt für HIV-infizierte Schwangere, das danach leider wieder planwirtschaftlich versenkt wurde.

Willi, der Sprücheklopfer

Schlagfertig ist er, der Willi. Und sportlich: Als er eine Zeit lang Marathon lief und viele Kilos abgenommen hatte, sagt Reiner Calmund zu ihm: „Mensch Willi, du siehst ja aus, als sei eine Hungersnot ausgebrochen!“ Lemkes Antwort: „Und du siehst aus, als wenn du schuld daran wärst.“

Weitere Belege finden sich zuhauf. Stellvertretend für Lemkes Markenkern Hanseatentum: „Manche Vereine sparen und drehen die Mark zweimal um. Bei Werder wird sogar jeder Pfennig geröntgt.“ Oder als Gastredner auf Hoeneß’Geburtstag: „Ich heiße den Mann, zu dem ich nach wie vor ein miserables Verhältnis habe, herzlich willkommen im Club der alten Säcke.“ Und unfreiwillig komisch kann er auch ganz gut. Als er 2001 auf dem Bildungsparteitag der SPD für die Lehrer-Verbeamtung jenseits der 40 und deren gesetzliche Rechtmäßigkeit warb, gab er mit seinen detaillierten Verfassungskenntnissen an: „Das kann ich fast sinngemäß zitieren.“

Willi, der Doppelagent

In seiner Jugend war Willi Lemke wirklich das, was Uli Hoeneß lange in ihm sah: ein glühender Sozialist. Die Suche nach einer besseren Welt führte den Lehramtsstudenten auch in die DDR. Doch als er in Leipzig ankam, ließ man ihn nicht so mir nichts, dir nichts an die Sporthochschule, sondern hatte eigene Pläne mit dem jungen Sucher. „Anschließend wurde versucht, meine Gutmütigkeit und meine Motivation, Menschen zusammenzubringen, auszunutzen“, sagte er in einem Interview. „Ich sollte für ihren Geheimdienst arbeiten. Das fand ich ganz schlicht und einfach eine Sauerei.“ Das sagte er aber nicht dem KGB, um den es sich handelte, sondern dem bundesdeutschen Verfassungsschutz, der seine „Abenteuerlust entfachte“ und ihn davon überzeugte, für sich zu arbeiten.

Der Doppelagent Lemke war geboren, der beide Seiten mit Informationen belieferte, die russische selbstverständlich nur zum Schein und nur mit Sachen „die in jedem Adressbuch nachzulesen“ waren. Nach ein paar Jahren stellte Lemke die Tätigkeit ein und wurde 1974 Landesgeschäftsführer der Bremer SPD.