Israelisches InDNegev Musikfestival: Der promiske Sound der Wüste

Beim InDNegev-Festival entdecken Punks und Hipster die Musik des Nahen Ostens neu. Elektropop trifft auf traditionelle arabische Musik.

Festivalbesucher probieren eine Kunst-Installation auf dem InDnegev-Festival aus.

Festivalbesucher auf einer Kunst-Installation auf dem InDnegev-Festival Foto: dpa

Die Kids tanzen Pogo in der Wüste und treten einen Sandsturm los. Die Luft vor der Bühne füllt sich mit einer dichten Staubwolke, an Atmung ist nicht mehr zu denken. Die Quelle dieser Eruption sind Tami Kaminsky und Adi Bronicki, 18 und 19 Jahre alt. Sie nennen sich Deaf Chonky und spielen kurz nach Sonnenuntergang Punkstücke mit vielen Breaks, Coverversionen von veganen YouTube-Propagandisten, aber auch litauische Folksongs.

Wenn die beiden singen, klingt es mal mädchenhaft und unschuldig, mal aggressiv und aufrührerisch. Adi trägt einen neongrünen Rock zu roten Haaren und bearbeitet ihre Gitarre so heftig, dass ihr zweimal Saiten reißen. Die Pausen überbrückt Tami, die mit einem silberglitzernden Jumpsuit und Kriegsbemalung hinter dem Schlagzeug sitzt, mit launigen Kommentaren.

Ende Oktober fand das InDNegev-Festival, auf dem israelische Bands und DJs zu hören sind, zum zehnten Mal in der Wüste statt. Ein paar weiß gekalkte Gebäude stehen im Nirgendwo herum. Hier begann die jüdische Besiedlung des Negev. Nachdem er den arabischen Besitzern das Land abgekauft hatte, errichtete der Jüdische Nationalfonds in den 1940ern einen Wachturm.

Heute beherbergen die Lehmhäuser, die von Schussnarben aus dem Krieg von 1948 übersät sind, ein kleines Museum. In der ehemaligen Backstube befindet sich nun die Bar des Backstagebereichs. Oben auf dem Turm haben die Festivalmacher die israelische Fahne abgehängt und das Festival zur exterritorialen Zone erklärt.

Vor zehn Jahren studierte er eine halbe Stunde entfernt von hier, erzählt Assaf Ben David, einer der Organisatoren. Er wollte nur eine Jamsession mit Freunden organisieren, dann wurde ein Festival daraus. Nun, zum zehnten Jubiläum, wurden vorab 8.000 Tickets verkauft.

Einen Nummer-eins-Hit auf Arabisch hat es bis dahin noch nicht gegeben

InDNegev gilt heute als das wichtigste Festival für unabhängig produzierte Popkultur in Israel. Sponsoring gibt es immer noch keins, auch keine Werbung auf dem Gelände. Aber es gibt Leute, die immer noch aus Spaß mitarbeiten. Einer der Stagemanager ist draußen Psychologe, erzählt Assaf.

Der Bierpreis – es gibt Maccabi und das gute Goldstar – ist moderat. Besoffen ist aber keiner, in Israel wird traditionell weniger getrunken. Nur ein paar Bekiffte sieht man unter Zeltplanen sitzen.

800 Bewerbungen haben sie bekommen. 130 Bands und DJs treten auf vier Bühnen auf. Vor diese sind jeweils große Sonnensegel gespannt. Tagsüber sind nur 28 Grad, aber die Sonne ist stark. Es fühlt sich heißer an, als es ist. Man gewöhnt sich schnell an den dünnen Schweißfilm zwischen T-Shirt und Haut und legt sich einen gemächlichen Gang zu. Wo man gerade ist, ist es gut.

Musikalisch undogmatisch

Auf der großen Elefantenbühne sind Acts zu sehen, die mit der internationalen Konkurrenz mithalten könnten, würden viele nicht auf Hebräisch singen. Es treten dort nachts aber auch schräge Szenebands auf, die man in Europa nur in der Dorfdisco würde spielen lassen. Israel ist ein kleines Land.

Das Festivalprogramm ist auch musikalisch undogmatisch. Hier geht alles munter durcheinander, kann man World Music neben Punk, Neo-Prog-Rock neben Elektropop hören. Letzteren hat Flora perfektioniert, sie tritt auf der Affenbühne auf. Flora ist Liron Meshulams zweiter Vorname und ihr Pseudonym. Sie hat eine verführerische und zugleich distanzierte Stimme. Ihr heimlicher Hit heißt „Fight“. Möglicherweise ist das eine feministische Kampfansage, jedenfalls eine überwältigende Darstellung weiblicher Power: „If you want to fight, let’s fight.“

Die Genrevielfalt spiegelt das Spektrum der Leute wieder, die sich auf den Weg in die Wüste gemacht haben. Die Kibbuz-Rocker sind da, die Neo-Hippies, die Punks, die Hipster, die linksradikalen Antizionisten. Älter als fünfzig ist kaum einer. Einige sind mit kleinen Kindern unterwegs. Mama hat die Kleinste auf dem Arm, Papa tanzt mit den beiden Älteren Ringelreihen. Drei Kinder hat die israelische Normalfamilie.

Matan, einer der Organisatoren, ist vor fünf Jahren religiös geworden. Was tun am Sabbat?, fragte er sich. Da soll man auch nicht auf Popfestivals gehen. Das Judentum ist eine praktische Religion: Außerhalb des Festivalgeländes könne man ein eigenes Zelt für die Riten aufbauen, sagte sein Rabbi. Dort ist zu Beginn des Sabbats aber nicht viel los. Die Säkularen sind hier in der Mehrheit.

Mit den Elementen spielen

Als Amir Pe’er nachts am Mischpult steht, gehen die Jungen im Militärdienstalter ab. Amir spielt ein mitreißendes Set aus Funk und House, dazwischen baut er arabische und indische Melodien ein. Amir hat als Reggae-DJ angefangen, dann sein Spektrum auf arabische und afrikanische Musik, Balkansounds und HipHop erweitert. Inzwischen mischt er alles mit House und Techno. „Als DJ kann ich mit vielen Elementen spielen, und in Israel wird das gut angenommen. Inzwischen ist der orientalische Sound nicht nur legitim, er ist cool geworden“, sagt Amir.

In den vergangenen Jahren hat sich eine Szene gebildet, die sich traditionelle Instrumente und Musik der Region mit einer Punk-Attitude angeeignet hat. Zack Bar steht für die psychedelische Variante dieses Sounds. Er legt auf dem Festival auch Platten seines eigenen Labels auf.

Keine schlechten Nachrichten mehr. Nur Müsli, Kniffel und "Warten auf Godot": Eine tazlerin und ein tazler haben sich nach der US-Wahl in einen Bunker zurückgezogen. Die Reportage von Annabelle Seubert und Paul Wrusch über die Zeit, die sie nur mit sich und einer sehr lauten Klospülung verbrachten, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 19./20. November. Außerdem: In der Republik Moldau ziehen Großeltern ihre Enkel groß – weil die Eltern auswandern. US-Serien werden immer häufiger von Frauen gemacht. Wie kommt das? Und: ein Lob des Berufspolitikers. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Fortuna Records hat es sich zur Aufgabe gemacht, Popklassiker aus dem Nahen Osten auf Vinyl wiederzuveröffentlichen, darunter das grandiose Album von Grazia. Die Sängerin aus Jaffa sang auf Türkisch. Die für die orientalischen Musiken typischen, auf Vierteltonschritten basierenden Melodien ihrer Songs sind mit dem Synthesizer emuliert. Dass das Original ihres Albums von 1978 kaum zu finden ist und die tausend Kopien des Re-Issues von 2013 längst ausverkauft sind, zeigt, wie groß die Liebe zum Sound der Region heute ist.

Das war nicht immer so. Traditionelle arabische Musik und orientalischen Pop, das hörten die aus den arabischen Ländern eingewanderten Juden, die Misrachim. Bei der tonangebenden aschkenasischen, aus Europa stammenden Elite war das jahrzehntelang als proletarisches Vergnügen der Unkultivierten verschrien. Seit die Misrachim 1977 Menachem Begins rechte Regierung an die Macht gebracht haben, ist das Land auch kulturell orientalischer geworden.

Es waren die Schwulen, die den Pop der unterprivilegierten arabischen Juden zuerst in den Tel Aviver Clubs abgefeiert haben, wo sexuelle Promiskuität mit der Hybridisierung der Sounds und einer kulturellen Vermischung einhergeht, die Rechte auf der ganzen Welt so inbrünstig hassen. Sie wollen es lieber rein und sauber haben.

In pinkfarbenen Hidschabs

In diesem Jahr haben es A-wa, drei Schwestern aus einer jemenitischen Familie, geschafft, mit „Habib Galbi“, einem traditionellen Lied, das sie im Stil zeitgenössischer Dance-Music arrangiert haben, wochenlang die israelischen Charts anzuführen. Einen Popsong auf Arabisch, der aus jedem zweiten Autoradio im Land zu hören ist, hatte es bis dahin noch nicht gegeben.

Auch A-wa haben in der Wüste einen kurzen Auftritt. Später frage ich eine der Schwestern, ob sie Feedback aus der arabischen Community im Land bekommen. Klar, antwortet sie. Das sei ja auch der Sinn der Sache, sie spielten ihre Musik für alle. In ihren Videos treten die Schwestern gern auch mal in pinkfarbenen Hidschabs auf.

Die Rückbesinnung auf eine jahrhundertealte Kultur, die Juden mit Arabern teilen, findet nachmittags auf der großen Bühne statt. Noch etwas müde Hipster und Freaks genießen die ägyptischen Klassiker, die Firqat Alnoor zum Besten gibt.

Das „Lichtorchester“ besteht aus säkularen und religiösen, arabischen und jüdischen Musikern. Wenn sie zusammen spielen, kommt kein Sandsturm auf. Es herrscht für einen Moment Peace in the Middle East. Vor der Bühne wandert derweil ein junges Mädchen herum und sammelt die Zigarettenkippen vom Vorabend auf.

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